Verderbliche Langsamkeit

Wien, 8. November 1866. Die „Wiener Abendpost“ theilte die Grund-Ideen mit, nach welchen das österreichische Armeewesen reformirt werden soll.

Der Telegraph meldete, daß Preußen den Plan zur Umwandlung der in den annectirten Provinzen bestehenden militärischen Institutionen schon zum Gesetz erhoben und proclamirt hat. Der Contrast zwischen der preußischen und österreichischen Verwaltung kann nicht schlagender dargelegt werden. So war es bei der Mobilmachung und im Kriege, und so ist es nach dem Kriege: im Norden durchgreifende Energie, die mit rauher Hand in die Verhältnisse eingreift, aber doch auch etwas fertig bringt; bei uns die ererbte Langsamkeit, die zwar recht gemüthlich, in ihren Folgen jedoch zehnfach verderblicher ist als die preußische Rücksichtslosigkeit.

So niederschlagend aber für uns der Hinblick auf die militärischen Institutionen Preußens ist, wir sind doch nicht ganz ohne Trost. In Oesterreich findet die Einführung einer volksthümlichen Wehrverfassung nur in der Energielosigkeit und Unfähigkeit der Verwaltungs-Maschinerie ein Hindernis; in dem demokratischen Frankreich stößt die Demokratisirung des Heeres auf einen Widerstand, den wenigstens das Empire nicht besiegen kann. Der Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht ist von der ersten französischen Revolution geboren, Carnot schuf „das Volk in Waffen“; aber in keinem Lande wird das Grundprincip dieses Wehrsystems mehr mißachtet, als gerade im Vaterland des letzteren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2016)

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