Glanz in der neuen Zeit

Die Wiener City leidet am modernen Goldrausch, ihre Dachlandschaft an unsensiblen Erwei-terungen. Es geht aber auch anders, so man guten Willens ist: zu entdecken in der Herrengasse Nummer 19 und 21.

Die einheitliche Stimmung, die vornehme Stille und ein Jahrhundertder Poesie aus der Großväterzeit, sie sind aus der Herrengasse gewichen“, schrieb die Schriftstellerin Auguste Groner Anfang des 20. Jahrhunderts in ihren heimatkundlichen Skizzen „So war mein Wien“. Heute darf man behaupten, dass wieder einiges an Vornehmheit in die Herrengasse zurückgekehrt ist. Daran hat die unaufgeregte Umgestaltung der Straße in eine Begegnungszone mit neuer Pflasterung auf einheitlichem Niveau und Rückführung der Straßenbeleuchtung auf Wandkandelaber nach historischem Vorbild großen Anteil. Es lässt sich entspannt flanieren, man muss sich nicht mehr auf schmalen Gehsteigen die Fassaden entlangdrücken, deren Pracht man früher höchstens von der gegenüberliegenden Straßenseite gewahr wurde.

Die Planung verantwortet Architekt Clemens Kirsch; die Initiative für die Neugestaltung ging von Anrainern aus. Die Kosten tragen die Eigentümer der angrenzendenLiegenschaften, den Löwenanteil trägt die Karl Wlaschek Privatstiftung, die entlang der Gasse die Palais Ferstel, Hardegg, Harrach, Kinsky sowie Batthyány-Strattmann und Trauttmansdorff besitzt. Dass aus der Herrengasse keine Luxusmeile à la Goldenes Quartier wurde, ist posthum dem Billa-Gründer Karl Wlaschek danken, der in der Stiftungsurkunde als Stiftungszweck „die Begünstigung der Allgemeinheit“ festschreiben ließ, die „beispielsweise durch den Erwerb, die Sanierung und die Erhaltung denkmalgeschützter sowie sonst für das Stadtbild Wiens bedeutsamer Gebäude“ erfolge.

Dies zeigte sich zuletzt sehr löblich bei der Adaption der Häuser Herrengasse 19 und 21. Die beiden Palais Batthyány-Strattmann und Trauttmansdorff harrten nach Auszug der Redaktion der Tageszeitung „Der Standard“ einer neuen Nutzung. Der Fantasie, was hier alles reichlich Gewinn hätte abwerfen können, sind keine Grenzen gesetzt. Man entschied sich für Wohnungen. Mietwohnungen zu marktkonformen Preisen wohlgemerkt, denn die Stiftung agiert weitsichtig und verkauft nicht. Den beiden ehemaligen herrschaftlichen Residenzen wieder jenen Glanz zurückgeben, der durch zahlreiche Umbauten abhandengekommen war, lautete der Anspruch.

Um hier nicht zu scheitern, brauchte es eine Strategie. Mit dem Bestand in Dialog zu treten und Räume zu schaffen, in denen das Gebäude in einer architektonischen Kontinuität weiterleben kann, die nicht bloßimitiert, ist jene, die Architekt Martin Mittermair für den Umbau der beiden geschichtsträchtigen Palais wählte. Dazu wurde zunächst von den Besitzern eine gründliche Gebäudeuntersuchung beauftragt, die wertvolle Erkenntnisse zur Baugeschichte lieferte und eine hervorragende Basis bildete, um im Pingpong mit Bauforschern und Denkmalpflegern zu planen und zu bauen.

Die meisten der im 20. Jahrhundert vorgenommenen Öffnungen wurden geschlossen, Zumauerungen wieder aktiviert, undder zur Nutzung als Archiv mit Kunststoffkuppeln überdeckte Innenhof im Palais Batthyány-Strattmann wurde geöffnet. Tragkonstruktionen in unterschiedlichen Techniken, die von zahlreichen Umbauten herrühren, galt es in ein statisches Gefüge zu bringen, das den Erfordernissen gerecht wird. Von all der Mühsal des Planungs- und Bauprozesses ist nun nichts mehr zu spüren.

Schon an der Farbgestaltung der restaurierten Fassaden kündigen sich die wiedergewonnene Lebendigkeit und Noblesse des Barock an. Da im Zuge der Putzuntersuchungen zwar Dutzende Anstriche vorgefunden wurden, aber keine authentische Fassung nachgewiesen werden konnte, entschied mansich für Weißtöne, die den an Fenstergewänden und bei der Bauplastik verwendeten Sandsteinen nahekommen; die Fensterrahmen erhielten einen kühlen, hellen Blauton. Unter den Gewölben der ehemaligen Stallungen und Wagenremisen entstanden Geschäftslokale, kleinteilig genug, um für internationale Ketten als Standort nicht infrage zu kommen. Um Eingangsportale und Schaufenster zu schaffen, wurden in Abstimmung mit dem Denkmalamt einzelne Fensterparapete geöffnet.

Von den 22 Wohnungen gleicht keine der anderen. Zuschnitt und Größe reagieren jeweils auf die spezifische Lage im Bestand, auf vorhandene Öffnungen, Niveauunterschiede und Raumhöhen. Einer besonderen Behandlung bedurfte jene in den Prunkräumen der Beletage des Palais Trauttmansdorff, deren Ausstattung sorgfältig restauriert wurde und in neuer Herrlichkeit erstrahlt. Und auch sonst wurde bis ins letzte Detail auf palaisgemäße Ausführung geachtet. Küchen und Bäder wurden nach Entwürfen des Architekten maßgefertigt. Die historischen Fenster wurden in den Prunkräumen zur Gänze erhalten, ansonsten wurden neue Kastenfenster mit Innenflügeln aus Isolierglas und mit nach altem Vorbild gegossenen Beschlägen angefertigt.

Die Dächer wurden unter hohem konstruktiven Aufwand für den Ausbau mit Wohnungen samt zugeordneten Terrassen und Loggien gewappnet. Die denkmalgeschützten, rund 300 Jahre alten straßenseitigen Kehlbalkendachstühle waren selbstverständlich zu erhalten. Um den Brandschutzanforderungen gerecht zu werden, wurden sie jedoch von ihrer tragenden Funktion befreit. Diese Aufgabe übernimmt nun die Stahlkonstruktion der neuen Dachhülle. Viele Details spielen zusammen, damit das im Grunde völlig neue Dach aus der Vogelschau nicht als störend wahrgenommen wird. Sämtliche Außenwände der Dachzone sind im gleichen Rostrot wie die Dachdeckung verputzt, womit sie als homogener Körper erscheint. Technikaufbauten wurden gut verborgen, und dank elektrochromer Verglasung der Dachfenster konnte auf Außenjalousien verzichtet werden. Qualität manifestiert sich auch in jenen Dingen, die man nicht sieht!

Eine ordentliche Bauforschung im Vorfeld; die Möglichkeit, auf handwerklichhöchstem Niveau, mit dauerhaften Materialien und ohne das Schielen auf Moden oder schnelle Rendite zu bauen – das sind Voraussetzungen, wie sie heute in Immobilienwirtschaft und Baubetrieb rar sind. Klar, dass bei solch einem kulturellen Statement eine umfassende Gebäudemonografie, die Geschichte und Gegenwart beleuchtet, nicht fehlen darf. Demnächst erscheint im Birkhäuser Verlag das Buch „Palais Batthyány-Strattmann. Palais Trauttmansdorff. Zwei Wiener Palais – Geschichte und Gegenwart“. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2016)

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