Eine Audienz oder auch keine

Paris, 24. Mai 1867. Weltausstellung, Marsfeld, Park und Palast, Besuch fremder Souveräne, Zufluß von Fremden aus allen Ecken und Enden der Welt – das sind Themata, welche sich mit zwingender Kraft dem Geiste des Chronisten aufdrängen, wenn dieser die gegenwärtige Physiognomie der Hauptstadt Frankreichs schildern will.

Zwar setzt das große Triebrad des Pariser Lebens, unbehindert von allem dem, seine Schwingungen ruhig fort; zwar verschwinden die zwei- oder dreimalhunderttausend Fremdlinge, welche dermalen die Hotels von Paris füllen, fast gänzlich in dem gewaltigen Strome von zwei Millionen Menschen, der zu allen Zeiten hier auf- und niederwogt, aber die indirecten Rückwirkungen des großen Ereignisses muß dochjeder Einzelne mitfühlen.

Der Eine empfindet sie durch unaufhörliche Besuche vieler Landsleute, von deren Existenz er zwar nicht die geringsteAhnung gehabt hat, die aber, mit einem Empfehlungsschreiben an ihn versehen, oder die Karte eines gemeinsamen Bekannten überbringend, in seine Wohnung dringen und mit wahrhaft rührender sans façon seine Führerdienste durch die fremde Stadt in Anspruch nehmen. Es ist ja selbstverständlich, daß der in Paris Einheimische nur darauf wartet und seine Dispositionen danach getroffen hat, um die Freunde eines längst seinem Gesichtskreise entrückten und halb vergessenen Bekannten nach dem Pflanzengarten und dem Triumphbogen, nachSt. Denis, namentlich aber nach dem Marsfelde zu geleiten. Und sollte ihn sein Weg einmal zufällig in die Heimat seiner Besucher führen, so werden diese sich glücklich schätzen, ihm ebenfalls die Honneurs von Tripstrill oder Buxtehude zu machen!

Glücklich der deutsche Pariser, der in der Lage ist, seine Thüre zu verschließen, und einen getreuen Ceberus, vulgo Hausmeister, dahin zu instruiren, daß er allen eintreffenden Fremdlingen mittheilt: sie möchten sich schriftlich anmelden, um dann, wie von einem Minister eine Audienz oder auch keine zu erhalten. H–ff.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2017)

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