Norden so grün

Dänemark gilt als Musterland der Baukultur und Nachhaltigkeit. Dabei ist die Öko-Bilanz des Landes miserabel. Das soll sich nun ändern. Wie Kopenhagens Architektur und Stadtplanung versuchen, dazu einen Beitrag zu leisten.

Die dänische Hauptstadt hat sich in den letzen Jahren zu einem Hotspot für Architekturtouristen entwickelt. Neben den neuen Kulturgroßbauten im Binnenhafen wie der Oper von Henning Larsen und dem Königlichen Schauspielhaus von Lundgaard und Tranberg wurde ein umfangreiches Bauprogramm vor allem in Hafengebieten und aufgelassenen Industriearealen in Angriff genommen. Trotz des rapiden Wachstums scheint Kopenhagen nicht an Übersichtlichkeit, urbaner Qualität und der sprichwörtlichen Gemütlichkeit einzubüßen. Der demnächst zur Klimakonferenz eintreffenden internationalen Community muss sich die fußgänger- und radfahrerfreundliche Stadt in der grauen Winterzeit präsentieren, wo dievielen Hafenterrassen und Strandpromenaden nicht so mit Leben erfüllt sind wie während der wärmeren Jahreszeit. Bereits im Vorfeld wurde einiges unternommen, um zum Image als Musterland der Baukultur undNachhaltigkeit beizutragen. Dabei ist derzeitder ökologische Fußabdruck Dänemarks unter den weltweit schlechtesten. Das soll sich bald ändern. Bis 2025 hat sich Kopenhagen zum Ziel gesetzt, eine ausgeglichene CO2-Bilanz zu erreichen. Der Beitrag von Architektur und Stadtplanung wird in diesem Prozess intensiv thematisiert, schließlich ist der Gebäudesektor für 40 Prozent des Energieverbrauchs verantwortlich.

Das Dänische Architekturzentrum betreibtmit Unterstützung von Realdania, einem Fond, der sich die Verbesserung der Lebensqualität durch die gebaute Umwelt zum Ziel gesetzt hat, das Projekt Copenhagen X. Die Informationsplattform richtet sich an Bewohner und Besucher der Stadt und will denDialog zwischen professionelle Planern und Laien stimulieren und Stadtentwicklung transparent machen. Eine aufwendige Website informiert über abgeschlossene und geplante Bauprojekte und führt auch umfangreiche Programme für ein nachhaltiges Kopenhagen an. Publikationen, ein Angebot an geführten Bauvisiten und Fahrradtouren sowie Audioführungen, die kostenlos zum Download angeboten werden, komplettieren das Vermittlungsprogramm.

Schon im Vorjahr schickte man die Ausstellung „Building Sustainable Communities“, die 29 Architekten als Impulsgeber für eine bessere Welt präsentiert, auf eine internationale Reise. Thematisiert werden wenigerdie messbaren Fakten wie Energiekennzahlenund Dämmstoffdicken, sondern spürbare Annehmlichkeiten von Städten und Gebäuden wie Raumqualität und Tageslicht und auch, dass Bauen und Stadtentwicklung eineFrage von Respekt sowohl der Natur gegenüber als auch der Menschen untereinander ist. Umweltfreundlich agieren und gleichzeitig die Lebensqualität steigern ist die Botschaft, die stets mitklingt.

Noch bis zum 18. Dezember zeigt das Louisiana Museum für Moderne Kunst im Humlebæk, nördlich von Kopenhagen, die Ausstellung „Green Architecture for the Future“, die das komplexe Feld nachhaltigen Bauens anhand einer Fülle nationaler und internationaler Beispiele „intelligenter Architektur“ im Spannungsfeld von Ökologie, Ökonomie und Sozialem versammelt. Die an Themen und Beispielen dichte Schau im Untergeschoß des Museums endet im weitläufigen Skulpturenpark. Dort werden anhand architektonischer Strukturen nachhaltige Technologien und neue Materialien für die Besucher physisch erfahrbar gemacht. Eigens für die Ausstellung wurde unter Federführung der dänischen Architekten 3XN der Pavillon „Learning from Nature“ entworfen. Die heiter und unbekümmert wirkende, grellgrüne Konstruktion in Form einesendlosen Möbiusbandes wird mit Begeisterung von Jung und Alt als Klettergerüst in Beschlag genommen. Erst bei eingehenderer Auseinandersetzung erschließt sich das technische Innenleben. In und unter seiner poppigen Oberfläche birgt das Gebilde eine Reihe an innovativen Technologien.

Die energieautarke, biologisch abbaubare Struktur ist das Ergebnis eines intensiven Entwicklungsprozesses unter Beteiligung vonan die 20 Industrieunternehmen. Hauptbaumaterial ist schichtweise verklebter Kork. Verstärkend wirken Lagen eines Leinengewebes, das in Polyersterharz, gewonnen aus nachwachsendem Mais und Sojabohnen, eingebettet wurde. Auf die Oberfläche laminierte, nur einen Millimeter dünne Solarzellen liefern die Energie für die LED-Module zur Beleuchtung. Auch das Herumturnen der Besucher liefert Strom, indem die Energie aus Gewicht und Bewegungen mittels piezoelektrischer Kontakte in elektrische Energie umgewandelt wird. Eine Oberflächenbeschichtung sorgt dafür, dass sich die Hülle gleichsam von selbst sauber hält, und ist zudem in der Lage, 70 Prozent der Schadstoffe aus industriellem Smog im näheren Umfeld für die Menschen unschädlich zu machen.

Vor diesem Hintergrund an demonstrierter Leistungsfähigkeit von Planern und Industrie stellt während des Klimagipfels ein Symposium unter der Moderation von Peter Weibel und Hans-Ulrich Obrist die Frage, wie es von nun an weitergehen kann.

Viel näher an der Realität der Baupraxis und damit ein aus aktuellem Anlass beliebtes Demonstrationsobjekt ist das „Green Lighthouse“ des Architekturbüros Christensen & Co auf dem Kopenhagener Universitätscampus. Das zu Beginn des Herbstsemesters eröffnete Modellhaus ist Kopenhagens erstes CO2-neutrales öffentliches Gebäude. Die Initiatoren – die Universität in Kooperation mit dem VELUX-Konzern, dem Wissenschaftsministerium und der Stadtverwaltung – wollen damit ein internationales Leuchtturmprojekt nachhaltigen Bauens schaffen.

Der zylindrische Dreigeschoßer beherbergt auf rund 1000 Quadratmeter Nutzfläche Serviceeinrichtungen für Studierende der naturwissenschaftlichen Fakultät. Tageslicht als primäre Lichtquelle in allen Räumen und ein natürliches Lüftungs- und Kühlungssystem garantieren ein angenehmes und gesundes Raumklima. Die Energieversorgung erfolgt in einer Kombination aus Solarkollektoren, Fernwärme, einer Wärmepumpe und Photovoltaik. Das Gebäudekonzept fußt weniger auf revolutionären, kostenintensiven Technologien als vielmehr auf ausgeklügelter Planung unter Einsatz marktüblicher Komponenten. 70 Prozent der Energieeinsparung haben ihre unmittelbare Ursache im Entwurf, behaupten die Architekten. Die Botschaft: Wir haben bereits die Mittel, um den Klimawandel zu bremsen. Man muss sie nur richtig einsetzen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2009)

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