Leitmotiv: Schwarz

Das Prinzip: ausräumen, freilegen und möglichst roh belassen. Der Umbau eines Wohn- und Geschäftshauses am Wiener Franz-Josefs-Kai.

Es ist im Grunde ein ganz normales städtisches Wohn- und Geschäftshaus. Baujahr 1904, Franz-Josefs-Kai 3, hübsch, neobarock mit ein bisschen secessionistischen Anklängen halt, nichts Revolutionäres. Architekt war Julius Goldschläger, geboren im einst deutschen Bessarabien und 1940 in Wien gestorben, bevor er, wie es mit seiner Frau geschah, deportiert und ermordet werden konnte. Sowohl als Auftraggeberin wie als ausführende Firma fungierte die Familie Schwadron, die im Erdgeschoß am Kai einen Showroom für ihre renommierte Baukeramik-Produktion einrichtete. Der Bauunternehmer Victor Schwadron, aus Galizien stammend, hatte es in Wien zum Stadtbaumeister gebracht, sein Sohn Ernst studierte an der Kunstgewerbeschule Architektur. Ernst Schwadrons 1930 eingerichtetes, stilvolles Atelier-Penthouse im obersten Stock des Gebäudes, mit selbst entworfenen Möbeln, Teppichen der Künstlerin Erna Lederer-Mendel und großstädtischem Dachgarten, wurde in der deutschen Fachzeitschrift „Innendekoration“ vorgestellt. Schwadrons Ehe mit Erna Lederer hielt nur ein Jahr, das Wiener Bohèmeleben des Architekten, der sich auf Einrichtungen von Cafés und Geschäftslokalen spezialisierte, hielt bis 1938, als Schwadron nach New York und Erna Lederer nach Haifa emigrierten. Die noch heute oft in Hauseingängen zu findenden secessionistischen Fliesen der Firma Brüder Schwadron, bei der auch der später nach Shanghai emigrierte Wiener Architekt Viktor Lurje beschäftigt war, sind unterdessen Gegenstand von Fotoessays aufmerksamer Wien-Flaneure.

Seit 1934 war das Haus am Donaukanal im Besitz der Phoenix Lebensversicherung, 1936 kaufte es ein Textilfabrikant. Nach mehreren Stationen, darunter einer neuerlichen Nutzung durch die Firma Brüder Schwadron nach dem Zweiten Weltkrieg, Auftritt eines neuen Besitzers vor zirka zehn Jahren: kunstsinnig, interessiert an der Geschichte der Immobilie und ihrer Nutzer – ein Glücksfall. Außerdem familiär verbunden mit einem Mitglied des Architekturbüros propeller z – noch ein Glücksfall für das Haus, für dessen Erdgeschoßzone sich sein nunmehriger Eigentümer dezidiert eine Nutzung als Kunstraum wünschte.

Das Haus ist wohl prototypisch für die Wiener Bausubstanz mit ihrer Überlagerung unterschiedlichster historischer Schichten, die meist auch Schlaglichter auf das vertriebene Leben jüdischer Bevölkerung werfen. So lassen sich auch die Umbaumaßnahmen von propeller z im Wesentlichen als Ausräumen beschreiben: Wegnehmen von Gipskartonwänden und abgehängten Decken in nicht weniger als 24 kleinen Gelassen, die Anfang der Achtzigerjahre im Zuge des Einbaus einer Röntgen-Ordination und eines Hörgeräte-Geschäftes eingezogen wurden und unter anderem eine großartige secessionistische Deckenverfliesung im Eingangsbereich verbargen.

Der auffälligste Eingriff von propeller z, die den Umbau planten, bevor der künftige Mieter feststand, ist das Freilegen einer neuen Sichtachse, beginnend rund 35 Meter vom Kai bis zur rückwärtigen Wiesingergasse, über einen mit Treppen überbrückten Geländesprung von zirka 80 Metern und einen Grundrissknick des zweitraktigen Gebäudes, in dem ein jetzt zum Teil des Innenraumes gemachter kleiner glasüberdachter Hof liegt. Die durch die baulichen Gegebenheiten entstehenden Lichtwirkungen geben dem 630 Quadratmeter großen Raum einen eigenen spannungsvollen Rhythmus.

Das Budget von 500 Euro pro Quadratmeter ging, wie der planende Architekt Philipp Tschofen berichtet, großteils in die Statik. Der Grundsatz des Belassens von möglichst viel entkernter Bausubstanz in einem gestalterischen Minimalzustand ist natürlich trotz aller budgetärer Einschränkungen dennoch ein bewusst gewählter. So wurde der vormals nur vom Stiegenhaus zugängliche Keller als untergeschoßiger Ausstellungsraum über eine optisch „schwebende“, filigrane schwarze Stahlblechtreppe zum Teil des sich über mehrere Ebenen erstreckenden Innenraumes gemacht. Selbst das Souterrain erhält über Oberlichter einiges an Tageslicht von der besonnten Wiesingergasse.

Originale Glasbausteine und das Drahtglas der wieder freigelegten Hofüberdachung wurden, wo noch vorhanden, ebenso erhalten wie Teile der Schwadron'schen Keramikverkleidung an der aufgrund zahlreicher Veränderungen und Umbauten heute sympathisch heterogenen Kai-Front. Hier wie im Inneren ist die Farbe Schwarz Leitmotiv der neuen Interventionen – an der Fassade als auf die historische Verfliesung Bezug nehmende Vertikalstrukturierung einer strichcodeartigen vorgesetzten Raumschicht, im Inneren an den Stahlträgern, der Treppe und dem zum Manövrieren größerer künstlerischer Arbeiten teils öffenbaren Boden, an der Rückfront mit den Fensterrahmungen, die leicht kastenartig vorspringen, aber mit den Wandpfeilern bündig abschließen. Eines von vielen Ergebnissen des subtilen Form- und Proportionsverständnisses des Büros. Ein anderes Detail wäre der durch Aussägen eines Schlitzes entstandene Handlauf der Kellertreppe.

Industrie-Estrich als Boden, Leuchtstoffröhren an den roh belassenen Sichtbetondecken, schlichter orangeroter Lackanstrich der Wände in den Sanitärbereichen und ein kommandobrückenartiger Büroraum mit teils Milch-, teils Klarglaswänden und Ausblicken nach drei Seiten sprechen natürlich die Sprache schicker Galerien in den gentrifizierten alten Gewerbegebieten internationaler trendiger Metropolen. Obwohl man sich hier nicht in einer ehemaligen Schlachterei oder Bierbrauerei, sondern in einem großbürgerlichen städtischen Wohn- und Geschäftshaus befindet, wirkt das Prinzip der, wo nötig, mit architektonischen Eingriffen ergänzten Ausgeräumtheit nirgends aufgesetzt und gibt sich viel entspannter als etwa beim vom französischen Büro Lacaton & Vassal gestalteten Pariser Palais de Tokyo – wie der Wiener Raum ein Ausstellungsort zeitgenössischer Kunst. Dort ist das Prinzip des Roh-Belassens von Vorgefundenem mitunter mit großem Aufwand und einer der Benutzerfreundlichkeit eher abträglichen Über-Konsequenz betrieben.

Auch ohne eine psychologische oder metaphorische Dimension des Freilegens zu bemühen, ist das Ergebnis des Wiener Umbaus von propeller z schlüssig und überzeugend. Die richtige Balance zwischen Eingreifen und Belassen, Wegnehmen und Tolerieren, Gestaltung und Zurücknahme ist gefunden, das Potenzial des heterogenen Raumes gerade auch für die Präsentation von Gegenwartskunst mit einer Vielfalt von Dimensionen und Lichtzonen von direktem über indirektes Tageslicht aus verschiedenen Richtungen bis zum fensterlosen Raum etwa für Projektionen gut genutzt. Unterdessen bewähren sich die Räumlichkeiten in der ersten Ausstellung des neuen Mieters, der Bawag Contemporary. Auf die Möglichkeiten, die die Räume künftigen Präsentationen bieten, darf man jedenfalls schon gespannt sein. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2010)

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