Gläsernes Nest für 4000 Eier

Wie eine riesige Vitrine, die über dem Boden schwebt, sieht es aus, das neue Eiermuseum im burgenländischen Winden am See. Sehenswert!

Ein Bauherr, der durch sukzessives Ankaufen schmaler „Hosenträgergrundstücke“ Besitzer eines von einem Quellbächlein idyllisch durchzogenen Mühlengrundstücks in Winden am See im Nordburgenland geworden ist. Der in seinem Leben schon mit einigen Größen der österreichischen Architektur zusammengearbeitet hat. Der aus einer anhaltenden Faszination heraus in 50 Jahren rund 4000 eiförmige Objekte aus aller Welt und allen Epochen zusammengetragen hat. Und der das motorisierte Rasenmähen als meditative Tätigkeit und Inspiration seines eigenen künstlerischen Schaffens nicht missen möchte.

Alle diese Faktoren, neben anderen, prägten die Ausformung eines Baus, bei dem Bauherren und Architekten schlussendlich in kongenialer Weise zusammengefunden haben. Vor mehr als 50 Jahren, 1955, baute Roland Rainer das Grinzinger Atelierhaus des Bildhauers Wander Bertoni. Der Wunsch nach einem geräumigeren Atelier für großformatige Arbeiten führte zum Erwerb jener Mühle aus dem 19. Jahrhundert, die sich nach jahrzehntelanger Restaurierung heute als Teil eines ziemlich singulären Freilicht-Museums-Arbeits-Wohn-Ensembles präsentiert.

Der Adaptierung der großen Steinscheune zum Atelier folgte 1991 ein Galeriezubau durch Johannes Spalt. Der 2000 ebenfalls von Spalt entworfene frei stehende Museumsbau, eine leichte ebenerdige Holzkonstruktion mit verglastem Atriumhof, machte das Mühlen-Areal zu einem spannungsreichen Ensemble miteinander korrespondierender Einzelbauten, zu dem auch die spiegelnde Wasserfläche des kleinen Quellteichs gehört. Über niedrige Steinmäuerchen geht der Blick in die Weinberge. Museumsbesucher bleiben am Weg stehen, betreten zögernd den Hof und werden vom in der Galerie mittagessenden Ehepaar Bertoni freundlich eingeladen, doch nur hereinzukommen.

Seit Kurzem ist das Areal um einen das Ensemble komplettierenden Neubau bereichert. Gefragt war eine Herberge für die von Waltraudt Bertoni kuratorisch betreute Eiersammlung. Auf der planerischen Seite des Neubauvorhabens, das Wander Bertoni sich selbst (nach dem Museum zum 75.) zum demnächst anstehenden 85. Geburtstag schenkt, stand das Wiener Büro gaupenraub. Der ursprüngliche Gedanke, die beiden Spalt-Schüler Alexander Hagner und Ulrike Schartner Spalts Skizze eines Rundbaus ausarbeiten zu lassen, wurde während des Planungsprozesses aufgegeben. Eine Änderung des vorgesehenen Standortes ging mit einer architektonischen Neukonzeption einher, die am Ende auch Johannes Spalts Zustimmung fand.

Der Bau, ein Quadrat von zehn mal zehn Quadratmetern, präsentiert sich als im Erdgeschoß vollständig verglaste Vitrine, die es erlaubt, die Objekte in von der Decke abgehängten Regalen auch von außen zu betrachten, ohne das Innere des Gebäudes zu betreten. Darüber sitzt ein auskragendes Obergeschoß in Form einer Empore, auf der in speziellen Display-Modulen lichtempflindlichere bemalte Eier ausgestellt sind. Andere werden schon bald, mit Magneten unsichtbar befestigt, kopfüber an überhängenden Ausstellungsflächen schweben. Eine Leseecke mit Bücherregal ergänzt die intime Emporenzone, die ihre spezielle Lichtsituation durch ein schräg nach außen gekipptes Fensterband über dem Fußboden erhält. Der Blick geht so auch immer wieder zum Grün rundum.

Trotz der optischen Massivität des kupferblechverkleideten Holzdaches scheint der gesamte, in mattem Weiß gehaltene Raum schwerelos in seiner Umgebung zu balancieren. Auch das Mobiliar berührt den Fußboden nicht, mit Ausnahme zweier Vitrinen, die in den Dreißigerjahren vom Architekten Walter Loos entworfen wurden.

Konstruktiv ist das Gebäude – kongeniale Leistung des Statikbüros Werkraum Wien – hinter seinen Glasflächen durch dünne Edelstahl-Zugstangen in seiner Stahlbeton-Bodenplatte verankert. Man möchte glauben, es würde sonst abheben wie eine Montgolfière. Grundgedanke war der Wunsch der Architekten, einerseits im Erdgeschoß den grandiosen Blick in die Weinberge nicht aufzuhalten und andererseits mit dem schützenden Obergeschoß auf die Wuchsform der umgebenden knorrigen Baumkronen zu antworten.

Wichtig war dabei, den Bau eindeutig architektonisch und nicht bauplastisch zu definieren, um nicht mit Bertonis im Gelände verteilten stelenartigen Skulpturen zu konkurrieren. Nicht zuletzt deshalb entschied man sich für die per se introvertierte, statische Form des Quadrats. Das „Spalt-Dach“ mit weit heruntergezogenen Rändern ist dabei ebenso eine Hommage an den Lehrer wie das – durch die Schräge neu interpretierte – Lichtband über der Traufe, das entscheidend zur angestrebten Großzügigkeit und Leichtigkeit beiträgt.

Einziger augenzwinkernder Bezugspunkt zum Thema Ei (beziehungsweise Vogel) ist die „Zweibeinigkeit“ der Konstruktion, die auf zwei – in Analogie zu den windgeformten Bäumen des Ortes Winden – schräg stehenden Stahlstützen ruht. Sie werden ergänzt durch die dritte Stütze der diagonal auf die Empore führenden Stiege – mit ihren weiß gebürsteten Lärchenschichtholz-Stufen gemäß dem Wunsch des Bauherrn eine bequeme, einladende Treppe, die man gern beschreitet. Wie das von Friedrich Kurrent, einem alten Freund der Bertonis, im Nachbarort Sommerein gebaute Maria-Biljan-Bilger-Museum ist die Bertoni'sche Eiersammlung ein Low-Tech-Bau, ohne Heizung oder gar Klimaanlage, ohne fließendes Wasser; die Haustechnik beschränkt sich auf einen Stromanschluss für die Beleuchtung der Vitrinen auf der Empore.

Das Bauen buchstäblich „auf grüner Wiese“ schien Alexander Hagner – auch hier liegt ein Bezugspunkt zur Wiener Tradition der kritischen Moderne – eigentlich weniger interessant als das Sich-Reiben am Bestand. Der – nach mehreren Um- und Zubauten – erste frei stehende Bau des Büros gaupenraub wurde indessen kurz nach seiner Fertigstellung bereits mit dem Architekturpreis Burgenland ausgezeichnet. Das Projekt wäre nicht denkbar ohne seine ebenso gastfreundlichen und aufgeschlossenen wie auch kritischen Auftraggeber. „Normaler könnte ich mir das Verhältnis zwischen Architekten und Bauherren nicht vorstellen“, resumiert Architekt Alexander Hagner.

Entlang der von innen nach außen durchgehenden runden Stahlbeton-Bodenplatte des Eiermuseums zieht derweil Wander Bertoni ungehindert seine Rasenmähtraktor-Kreise um den Bau. Es ist, als wäre es schon immer so gewesen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2010)

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