Platz da!

Steirische Kindergartenoffensive: Das heißt wenig durchdachte Konzepte neben geglückten baulichen Umsetzungen. Eine Bestandsaufnahme.

Artig aufgestellt in Reih und Glied verkündete die Bundesregierung bei ihrer Klausur am Semmering zu Beginn dieser Woche eine erste Vereinbarung: Für den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung, vorwiegend für unter Dreijährige, werden in den nächsten vier Jahren 55 Millionen Euro frei gemacht. Diesen Fördermitteln wird, wie bei der 2008 initiierten ersten Kindergartenoffensive, eine Kofinanzierung der Länder und Gemeinden folgen müssen. Es soll also weiter kräftig in Einrichtungen für die Jüngsten der Gesellschaft investiert werden, die in diesen „Schutzräumen“ ihre frühe Sozialisierung erfahren.

In der Steiermark hat man 2008 den Kindergarten nicht nur für Fünfjährige, wie in der 15a-Vereinbarung mit der Bundesregierung festgelegt, kostenlos gemacht, sondern für alle Drei- bis Sechsjährigen: ein Angebot, das die steirische Landesregierung im März dieses Jahres allerdings wieder zurückgenommen hat. Eine Vollversorgung mit Kindergartenplätzen bis 2011 wurde angestrebt, und tatsächlich ging man eilig ans Werk. Nach Auskunft der zuständigen Verwaltungsabteilung des Landes sind bis zum von der Bundesregierung vorgegebenen Stichtag im Herbst 2010 mehr als 200 Umbauten, Erweiterungen und Neubauprojekte errichtet worden, die ein Bauvolumen von fast 62 Millionen Euro erreichen. Derzeit werden die Projekte abgerechnet. Evaluierung? Ja, geprüft werden die Einhaltung der gesetzlichen Grundlagen, die Erfüllung des Raumprogramms und der geforderten Größe von Freiflächen und die Kosten.

Kinderkrippen sind die ersten Aufenthaltsorte, in denen sich die Kleinsten ohne familiäre Nestwärme zurechtfinden müssen und Geborgenheit spüren sollen; Räume, in denen Interaktion und Lernen, Kommunikation und auch Rückzug und Ruhe optimal möglich sein sollten – kurz: wo sich Kompetenzen und die Persönlichkeit des Kindes bestens entfalten können. Solche Räume müssen viel können, und ihre Planung muss daher mit jener Sorgfalt erfolgen, deren Basis die Zeit ist und die auf Engagement, Wissen und Erfahrung der Planer aufbaut. Die Zeit war knapp, und man nahm sie sich kaum, weder für vorbereitende inhaltliche Diskussionen noch für die Ausschreibung von Architekturwettbewerben. Ach, höre ich die Pragmatiker sagen, schafft mir diese unverbesserlichen Idealisten vom Hals, wenn alles schnell gehen muss, kann man sich nicht mit Ideologiefragen und Festlegungen von Qualitätskriterien aufhalten. Die Bürgermeister werden das mit ihren Hausplanern schon schaffen. Was, sagt der Zyniker, soll ein Wettbewerb außer zusätzlichen Aufwand, Mehrkosten und Zeitverzögerung bringen?

Immerhin hat es die Stadt Graz geschafft, für die beiden Kinderkrippen am Rosenhain und im Bezirk Andritz geladene Wettbewerbe durchzuführen und beide in einer äußerst kurzen Zeitspanne vorbildlich zu realisieren. Auch aus einigen wenigen steirischen Gemeinden sind Ladungen bekannt. Standortsuche, Förderansuchen, Gemeinderatsbeschlüsse, die Durchführung eines Wettbewerbs und seine bauliche Umsetzung waren also auch trotz knapper Fristen möglich – Bewusstsein und guter Wille vorausgesetzt. Hier wäre die Möglichkeitsform angebracht, denn die Mehrheit der Gemeinden wählte die einfacher scheinende Lösung der Direktbeauftragung.

Die Ergebnisse in Straß, Mellach, Unterpremstätten, Irdning, Ratsch und anderswo geben im besten Fall Anlass, sie kritisch zu hinterfragen, und sind im schlechtesten ein Skandal. Beim Kindergarten in Ratsch an der Weinstraße von Albertoni & Winterstein wurde von der Standortwahl abseits des Ortes am einsamen Waldrand neben dem Bauhof bis zur Situierung des Baukörpers am geneigten Grundstück, von der Wegeführung und räumlichen Funktionsgliederung bis zur Außenraumgestaltung alles falsch gemacht: ein Gruppenraum, der nur vom Norden und Westen belichtet ist, obwohl der Kindergarten zu Mittag schließt, keine Terrasse, die als sommerliche Erweiterung des Gruppenraums dienen könnte, keine Öffnung des Bewegungsraums zum Garten, keine Erweiterungsmöglichkeit. Vergeblich sucht man behindertengerechtes Bauen, denn der einzige Weg in den Garten und zu dem als Spielfläche genützten Bereich unter dem aufgeständerten Bauteil führt über eine lange Freitreppe. Sitzgelegenheiten und Bewegungsflächen, ein Hügel als stilisierter Weinberg mit Klapotetz – so lieblos wurde selten ein Freiraum für Kinder gestaltet.

Dass es auch anders geht, zeigen die beiden aus Holz errichteten Kinderkrippen von Martin Strobl in der Grazer Schönbrunngasse und von Hubert Wolfschwenger in der Prochaskagasse. Letztere ist besonders dazu angetan, das räumliche Erleben und Wohlbefinden von Kindern nachhaltig zu prägen. Die Kleinen werden in einem großen, hellen Zentralraum empfangen, der Orientierung und erste Durchblicke in den Garten bietet, sich aber auch vorzüglich fürs gemeinsame Feiern von Festen eignet. Sie erleben differenziert gestaltete Räume als Spiel- und Ruhezone, einen kaum merklichen Übergang vom Innen- zum Außenraum der geschützten Terrasse und einen Garten mit Rampen und Mulden, mit Verstecken und schützenden Bäumen. Die Entdeckung der Welt ist bei den hier aufgenommenen unter Dreijährigen auch ein räumliches Erlebnis. Wolfschwenger gelang ein Beispiel von großer Nachhaltigkeit – nicht nur, weil das Gebäude Passivhausstandard erreicht, sondern ebenso, weil seine atmosphärische Ausstrahlung zeitlos sein wird.

In solcher Güte hätte man sich alle neuen Kinderbetreuungseinrichtungen gewünscht. Eine substanzielle Kindergartenoffensive müsste das Bewusstsein dafür stärken, dass nicht nur die Qualität der Betreuung, sondern auch die des Raums den Sozialisierungsprozess von Kindern prägt. Die Durchsetzung von höchster Qualität bräuchte jedoch politischen Willen, Steuerung und Koordinierung. Baupolitische Leitsätze für das gute Bauen hat die Steiermark 2009 festgeschrieben. Die bisherige Bauoffensive hätte die Möglichkeit geboten, sie in Baukultur real werden zu lassen. Sie hätte der Steiermark außerdem die Chance geboten, sich im nationalen Architekturgeschehen neu zu positionieren. Das wurde versäumt. Nun winkt eine neue Chance: Das Land möge sie mit Weitblick nützen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2011)

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