Verantwortliche Minister?

(6. Mai 1862) Es kann kaum etwas Originelleres erfunden werden, als der Hexentanz, den die verfassungsfeindlichen Organe in Oesterreich während der letzten Tage aufgeführt haben.

(6. Mai 1862) Es kann kaum etwas Originelleres erfunden werden, als der Hexentanz, den die verfassungsfeindlichen Organe in Oesterreich während der letzten Tage aufgeführt haben. Wer, ohne von den Motiven, welche diese wunderherrliche Gesellschaft erfüllten, etwas zu wissen, dieses Heulen und Johlen mitangehört, hätte glauben können, der jüngste Tag für die österreichische Monarchie sei da. Stimmführend war das Junkerblatt, als ob mit der kaiserlichen Botschaft, durch welche der Grundsatz der Minister-Verantwortlichkeit als nothwendige Konsequenz der Verfassung anerkannt wurde, die Monarchie zu Grabe getragen würde. Der gar herrliche Karl I. Von England ward als Zeuge dafür angerufen, daß ein König mit verantwortlichen Ministern nur der Schatten eines Königs sei.

Die andere Clique aber, die die Verfassung haßt, nicht weil sie eine constitutionelle Grundlage, sondern weil sie ein Band ist, das die einzelnen Sonderverfassungen zusammenhält und die Zerlegung des Reiches in historisch-politische Individualitäten nicht gestattet, zog bei der kaiserlichen Mittheilung vom 1. Mai 1862, die in jedem anderen Staat als ein glückliches Ereignis allgemein begrüßt worden wäre, eine jener mephistophelischen Grimassen, die das Theaterpublikum bald erschreckt, bald zum Lachen bringt. Die Einen lächelten mitleidsvoll über ein Princip, zu dessen Durchführung noch die Paragraphe fehlten, die Anderen spotteten eines Zugeständnisses, das einer noch nicht existent gewordenen Körperschaft, dem Gesammt-Reichsrath, gemacht sei. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2012)

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