Macht, Mord, Meinung

Olga Flor erfindet sich mit jedem Roman neu. In ihrer Neudeutung von Shakespeares „Macbeth“ für die Gegenwart überrascht sie durch einen „bösen Blick“ und mit unterkühlter Sprache: „Die Königin ist tot“ – es lebe die Autorin!

Shakespeare in love. Die jüngste literarische Liebeserklärung an den englischen Dramatiker stammt von der Wiener Prosaistin Olga Flor. Ihr Roman „Die Königin ist tot“ paraphrasiert Shakespeares Tragödie „Macbeth“. Mit Konsequenz treibt der Fluch der bösen Tat die Handlung zum Ende – das nur ein Ende des Lebens sein kann.

Die in Graz lebende Autorin verlegt die Handlung ihres Königsdramas vom Schottland des elften in die Vereinigten Staaten des 21.Jahrhunderts. Duncan, einst König von Schottland, ist hier und heute unumschränkter Herrscher über ein Medienimperium. Keine Burg Inverness in den schottischen Highlands repräsentiert nunmehr die Macht, sondern ein Büroturm mitten in Chicago. Eine Aufwertung erfährt die Figur der berüchtigten Einbläserin des Königsmörders. Lilly heißt hier die Lady, die sich vom Liftgirl zum Luxusweibchen hocharbeitet, indem sie dem Medienzaren während der Fahrt in den 68.Stock einen Blowjob macht; eine realistische, wenn auch nicht gerade feministische Variante des amerikanischen Traums.

An der moralischen Rehabilitation ihrer Geschlechtsgenossin scheint Olga Flor auch nicht gelegen zu sein, eher an der literarischen. Denn verliert Lady Macbeth im Stück des Stratforders etwa ab der Mitte allmählich an Bedeutung, so lässt Flor die ganze Geschichte aus ihrer Perspektive Lillys erzählen. Das macht die Protagonistin nicht unbedingt sympathischer, aber sie wird dadurch zur Akteurin. „Tatsache ist, dass ich zielgerichtet an Mr. Duncan herangegangen bin.“ Nun ist der Medienboss mittlerweile in einem Alter, in dem ihn der Gedanke an einen Erben erstmals nicht beunruhigt. Dazu kommt die Vorstellung von einem „Haus
in den Dünen und seinem offenen Kamin und dieser wunderschönen amerikanischen Wirtschaftskrisen-Moderne“, die eine Ehe fürihn in den Bereich des Möglichen rückt.

Diese Schwäche weiß sich die erst 26-jährige Lilly zunutze zu machen, und so wird sie bald schwanger. Wäre da nicht ihr eiskaltes Kalkül, das an Choderlos de Laclos' „Gefährliche Liebschaften“ denken lässt, man könnte sich fast in einer Hollywood-Liebeskomödie wähnen. „Was meine eigenen Gefühle betrifft, habe ich manchmal den Eindruck, als seien sie von mir abgetrennt und sicher unter Glas verwahrt.“ Das ist eben der Unterschied zwischen dem armen Immigrantenmädchen, das sich in den amerikanischen Milliardär verliebt, wie es die Traumfabrik produzieren würde, und der nüchtern berechnenden Europäerin, die „Gefühle konstatieren muss, ohne zu wissen, wie sie empfunden werden“. Und so kommt es, wie es kommen muss. Mit der Zeit wird Duncan seiner jungen Frau überdrüssig und versucht sie loszuwerden. Sie merkt das allerdings – und das ist sein Todesurteil. Aus dem Hollywood-Märchen wird das Shakespear'sche Königsdrama. Und darin geht es archaisch zu. Nichts mehr vom spätbürgerlichen Zivilisationskitt, der die Instinkte, Intrigen und Infights in manierliche Umgangsformen ummodelt. Die Grammatik des Machterhalts bestimmt das Geschehen und die Sprache – und lässt den Leser dementsprechend frösteln.

Das ist vielleicht auch ein Grund dafür, weshalb sich die Stücke Shakespeares so gut als Vorlage für moderne Inszenierungen eignen: „Von Tragik, von tragischer Schuld, wie sie sehr wohl im Phänomen der Eifersucht gelegen sein könnte, keine Spur“, konstatierte der österreichische Sprachphilosoph Ferdinand Ebner schon vor 100 Jahren und sprach von der „Kinodramatik“ Shakespeares. Dass er sich damit gegen das Urteil der öffentlichen Meinung von zwei Jahrhunderten stellte, war ihm bewusst. Tatsächlich gewinntseine Einschätzung jedoch gerade durch die Kälte in Flors Geschichte an Plausibilität. Möglicherweise bleibt man als Leser deshalbunberührt von den Schicksalen, weil die gelernte Physikerin Flor ganz im physiologischen Bereich verbleibt, die Tragik der griechischen Tragödie mit ihrer metaphysischen Dimension ausspart. Der Engländer ist eben moderner als die Griechen.

Orakel oder auch Hexenprophezeiungen mit Deutungshoheit sind heute die irdischen – allzu irdischen – Medien. Keineswegs ohne Bedacht ist deshalb von Olga Flor die Medienwelt als Schlachtfeld gewählt. Wer die öffentliche Meinung beherrscht, der regiert. Und Wirklichkeit entsteht nicht, sie wird gemacht. Wie, das scheint hier etwa vom Abhörskandal um Rupert Murdochs „News of the World“ inspiriert zu sein: „Der Verdacht des gezielten Anzapfens der Anschlüsse politischer und wirtschaftlicher Schlüsselfiguren habe schon genug Staub aufgewirbelt.“ Das sind die Momente, in denen Flor an ihre bisherigen Romane („Erlkönig“/2002, „Talschluss“/2005, „Kollateralschaden“/2008) und deren Gesellschaftskritik anknüpft. Formal erfindet sich die 1968 geborene Autorin mit jedem Buch stets neu, treu geblieben ist sie sich jedoch in ihrer Kritik an den Brecht'schen „Verhältnissen“.

Mit dem Roman „Die Königin ist tot“ überrascht Olga Flor ihre Leser nunmehr mit einem „bösen Blick“ und einer unterkühlten Sprache. Nicht, dass Emotionen darin keine Rollen spielten, aber sie scheinen ausschließlich dem Katalog der „sieben Todsünden“ entnommen zu sein. Wie formuliert es die moderne Lady Macbeth ihres Buches so treffend? „Um bedeutsam zu sein, muss man grausam sein können, vor allem zu sich selbst.“ Die Grausamkeit hat sich gelohnt, weshalb die Literatin Olga Flor in diesem Jahr auch mit dem Outstanding Artist Award für Literatur sowie dem Literaturpreis Rotahorn ausgezeichnet wurde. ■


Am 13. November liest Olga Flor um
19 Uhr in der Wiener Alten Schmiede, Schönlaterngasse 9, aus ihrem Roman.





Olga Flor
Die Königin ist tot
Roman. 224S., geb., €19,50 (Zsolnay Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2012)

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