Was kommt nach Alice?

Keine Frau hat die deutsche Frauenbewegung stärker geprägt als Alice Schwarzer. Und doch: Neue feministische Ansätze hat sie verschlafen, behauptet Miriam Gebhardt. Christine Bauer-Jelinek sieht einen „Staatsfeminismus“ heraufziehen, der für den Niedergang der Wirtschaft verantwortlich sein soll.

Alice im Niemandsland“ betitelt Miriam Gebhardt ihre kritische Bestandsaufnahme der deutschen Frauenbewegung. Was haben gut 40 Jahre Kampf für Lohngleichheit und geteilte Familienarbeit, gegen Gewalt und Pornografie den deutschen Frauen eigentlich gebracht? Wenig, meint Miriam Gebhardt. Deutsche Frauen machen keine Karriere, kriegen keine Kinder und fühlen sich mehr denn je vom Mode- und Schönheitsdiktat unter Druck gesetzt. Sie leiden unter dem „Neosexismus“, sind einsam und fühlen sich schon lange nicht mehr von der Frauenbewegung vertreten. Am allerwenigsten von ihrer Leitfigur, Alice Schwarzer. Verantwortlich dafür sei diese selbst, weil sie Neuerungen nicht zulasse und dadurch die Zukunft der Frauenbewegung gefährde.

Jetzt könnte man durchaus einwenden: Warum sollte eine Frau, wie charismatisch und einflussreich auch immer, für die Zukunft einer ganzen Bewegung verantwortlichsein? Alice Schwarzer selbst weist das von sich, wenn sie sagt: „Hinter mir steht weder eine Partei noch eine Bewegung.“ Doch so einfach, meint Miriam Gebhardt, darf es sich die Ikone der deutschen Frauenbewegung nicht machen. Sie selbst hat durch ihre unermüdliche Medienarbeit dafür gesorgt, dass es heute keine Talkmasterin und keine Zeitungsredakteurin gibt, die bei Themen wiedem „Papamonat“ oder dem Strauß-Kahn-Prozess nicht zuerst an Alice Schwarzer denkt, wenn es um eine Stellungnahme „der Frauenbewegung“ geht.

Gebhardt geht es jedoch nicht um eine bloße Abrechnung mit der Doyenne der deutschen Frauenbewegung; es geht ihr um die Beantwortung der Frage, warum Schwarzer die Frauen nicht mehr erreicht. Die gelernte Historikerin holt dafür weit aus. Sie beschreibt die 200-jährige Geschichte der Frauenbewegung und kommt zu dem Schluss, dass die deutsche Frauenbewegung während der neoliberalen Wende in den 1980er-Jahren die in anderen Ländern auflebende Diskussion um neue, differenzierte feministische Ansätze schlicht verschlafen hat.

Bis heute, so Gebhardt, existiere in der Öffentlichkeit lediglich der von Schwarzer propagierte „Ändere dich gefälligst“-Feminismus existenzialphilosophischer Ausprägung, der stark an jenen von Simone de Beauvoir angelehnt ist. Mit dieser teilt Alice Schwarzer die Überzeugung, dass Frauen nicht als Frauen geboren, sondern dazu gemacht werden und dass sie sich von der ihnen oktroyierten „weiblichen“ Rolle befreien müssten. In letzter Konsequenz wird daraus der für viele Frauen schwer zu befolgende Imperativ: „Heiratet nicht, gebärt nicht, habt keine Lust, geht lieber arbeiten.“

Diese Grundposition, so Miriam Gebhardt, hätte sich im Schwarzer'schen Feminismus nie geändert, die Bereitwilligkeit der Frauen, dieser zu folgen, aber schon. Was Gebhardt Schwarzer vorwirft, ist nicht ihr Theoriedefizit, sondern, dass sie für die nachvollziehbare Suche jüngerer Frauen wie Bascha Mika oder Charlotte Roche nur Spott und Hohn übrighat. Vielleicht sei das einer der Gründe, resümiert Gebhardt, warum sichder intellektuelle Feminismus in Deutschland hinter universitäre Mauern zurückgezogen hat. Glücklicherweise nicht ganz, denkt man an Gebhardts kluges Buch.

Christine Bauer-Jelineks Buch „Der falsche Feind“ beschäftigt sich nicht mit der deutschen Frauenbewegung, sondern mit dem Zustand unserer Gesellschaft. Damit scheint es sehr schlecht bestellt zu sein. Männer und Frauen, so analysiert die Psychotherapeutin und Wirtschaftscoach, definieren sich nur mehr über die Erwerbsarbeit, sind mehr denn je von Depressionen, Burn-out und Überforderung heimgesucht. Der Zusammenhalt zwischen den Geschlechtern nimmt ab, Kinder verwahrlosen, Alte und Kranke werden vernachlässigt. Der Homooeconomicus scheint sich endgültig durchgesetzt zu haben. Schuld daran ist, so Bauer-Jelinek, der „Allmachtsfeminismus“.

Hinter diesem von Bauer-Jelinek geprägten Begriff verbirgt sich ein bunt zusammengewürfeltes Theoriekonglomerat aus der Werkstatt einiger 1970er-Feministinnen wie Anette Kuhn, Claudia von Werlhof, Heide Göttner-Abendroth, die in der heutigen feministischen Diskussion bestenfalls historische Bedeutung haben. Trotzdem verschmelzen sie in Bauer-Jelineks Abrechnung mit der Frauenbewegung zum „Allmachtsfeminismus“-Subjekt, das den – nicht näher definierten – „Staatsfeminismus“ manipuliert hat, um Institutionen der Macht von Politik bis Wirtschaft zu „unterwandern“. Nicht, um die Macht zu teilen, argwöhnt Bauer-Jelinek, sondern, um sie ganz zu übernehmen.

Noch ist das zwar Zukunftsszenario, aber eines, das verheerende Folgen nach sich ziehen würde. Folgt man Bauer-Jelineks Argumentation, kämen nämlich mit den Frauen Menschen an die Macht, denen es an „Führungskompetenz“ (Durchsetzungskraft, Frustrationstoleranz, Konkurrenzbereitschaft) mangelt. Bauer-Jelinek konnte in jahrelanger Führungskräfte-Coaching-Praxis feststellen, dass Männer karrierewillige Frauen als Nervensägen empfinden, wofür sie Verständnis zeigt, denn „anstrengende Frauen haben die meisten Männer schon genügend in ihrem Privatleben, davon können sie nicht noch mehr in ihrem Arbeitsumfeld brauchen“. Frauen, so hört Bauer-Jelinek oft hinter vorgehaltener Hand, sind nicht beliebt, weder als Mitarbeiterinnen noch als Kolleginnen.

An diesem Punkt hätte das Buch auch interessant werden können. Christine Bauer-Jelinek hätte sich fragen können: Wie kommt das eigentlich? Warum verhalten Frauen sich so, beziehungsweise warum werden sie so wahrgenommen? Sie wäre dabei vielleicht beispielsweise über Cordelia Fines hervorragendes Buch „Geschlechterlüge“ gestolpert, in dem sie hätte lesen können, dass sich Geschlechterstereotype zwangsläufig immer bestätigen, da wir sie ständig unbewusst reproduzieren.

Wenn Bauer-Jelinek ein „Allmachtsfeminismus“-Subjekt konstruiert, das sich aus grundverschiedenen feministischen Positionen zusammensetzt, und diesen Homunkulus dann bitter bekämpft, muss man das wohl als Spiegelfechterei bezeichnen. Aber vielleicht wollte sie mit ihrem Buch auch gar nichts beweisen, sondern einfach ihrem Ärger (auf wen eigentlich?) Luft machen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2012)

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