Seid nicht unvorbereitet!

Hardts und Negris Streitschrift für organisierten Widerstand.

Es ist paradox: Ausgerechnet zwei der Säulenheiligen der Globalisierungskritiker, der US-amerikanische Literaturtheoretiker Michael Hardt und der italienische Politikwissenschaftler mit auffälliger Vergangenheit, Antonio Negri, rufen in ihrem Buch „Demokratie!“ Säulenheilige des Neoliberalismus als Zeugen dafür auf, dass die von ihnen vorgeschlagene Überwindung des Kapitalismus und der repräsentativen Demokratie gelingen kann und wird. Man müsse nur auf ein Ereignis „mit ungewissem Datum“ ausreichend vorbereitet sein.

Ihre Beweisführung verläuft so: Milton Friedman und die „Chicago School“ hätten ihre neoliberale Wirtschaftslehre lange vor deren Umsetzung bereits fertig entwickelt. Als 1973 in Chile das Militär die Macht übernahm und von den „Chicago Boys“ ein Wirtschaftsprogramm erbat, musste dieses nur aus der Schublade gezogen werden. „Sie waren vorbereitet“, heißt es in dem Buch in einem Anflug von Bewunderung.

Mehr als zehn Jahre nachdem die beiden Autoren mit „Empire“ eine neue Weltordnung auf den Weg bringen wollten, versuchen sie es noch einmal: Es geht um die Errichtung einer neuen Gesellschaft. Darauf müsse man eben vorbereitet sein, wenn sich die Gelegenheit durch bisher nicht vorhersehbare Ereignisse, wie Revolten in mehreren Ländern, auch aus unterschiedlichen Gründen, oder den Kollaps der Finanzmärkte oder eine globale Weigerung der Schuldenrückzahlungen, dazu bieten werde.

Die Macht zurückholen

Diese neue Gesellschaft kann ihrer Meinung nach nur nach „Überwindung der repräsentativen Demokratie“, der Tyrannei der Politik und der Banken, gelingen und müsse auf den Grundsätzen „Gleichheit, Freiheit, Nachhaltigkeit sowie freier Zugang zu Gemeingütern“ aufgebaut sein. „Multitude“ ist das Zauberwort. Zuerst aber müssten sich die Bürger die Macht holen, Gewalt nicht ausgeschlossen: „In einer Bewegung des organisierten Widerstands können wir erkennen, was aus uns geworden ist, und einen neuen Weg einschlagen“, heißt es in dem Buch.

„Was aus uns geworden ist“, kann jeder Einzelne für sich quasi im Selbsttest überprüfen. Er kann sich einer oder allen der beschriebenen Kategorien zuordnen und in jeder „gefesselt“ wiederfinden: Den „Verschuldeten“, die ein Leben lang Opfer ihrer eigenen oder der Schulden ihrer Staaten sind, den „Vernetzten“, die in der Fülle der verfügbaren Informationen sich selbst verlieren, den „Verwahrten“, die aus Angst vor Gefahren, die andere ihnen einreden, ihre Überwachung akzeptieren, den „Vertretenen“, die nicht erkennen, dass das „Prinzip der Volksvertretung“ echte Demokratie verhindere.

Inspiriert auf ihrem Weg in eine „neue schöne Welt“ wurden die Autoren ausdrücklich von den Protestbewegungen des Jahres 2011 in Tunesien, Ägypten, Spanien, Israel, England und von der Occupy-Wall-Street-Bewegung in den USA. Sie nennen das Buch selbst eine „Streitschrift“ – mit ganz spezifischer Handlungsanleitung allerdings: Verweigert die Schulden! Schafft neue Wahrheiten! Befreit euch von Angst! Verfasst euch! Empört euch, musste nicht ausdrücklich erwähnt werden. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2013)

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