Die Nullen müssen laufen

Als antikapitalistische Allegorie wurde Wagners „Rheingold“ schon gelesen. Elfriede Jelinek reichert den Stoff mit aktuellen Skandalfällen an: Ihr Bühnen-essay „Rein Gold“ liegt nun erweitert in Buchform vor.

Bei der Urlesung am MünchnerPrinzregententheater im Juli 2012 ließ Nicolas Stemann, wie schon bei seiner Inszenierung der „Kontrakte des Kaufmanns“ 2009, die 129 abzuarbeitenden Textseiten per Abreißkalender herunterzählen. Nun liegt Elfriede Jelineks Bühnenessay „Rein Gold – um einiges angewachsen – in Buchform vor.

Jelinek macht aus Wagners „Rheingold“, das die Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ eröffnet und die basalen Konflikte entwickelt, „Rein Gold“ und ist damit mitten in ihren angestammten Untersuchungsfeldern von Macht, Kapital, Gier, Diebstahl, Heldentum und Schuld. Als antikapitalistische Allegorie ist Wagners „Ring“ schon gelesen worden; auch Jelinek zitiert Marx und Engels, vor allem aber greift sie aktuelle Skandalfälle auf, etwa die Zwickauer Nazizelle „aus ihres Hauses heimischem Stamm“, die zehn Jahre lang Banküberfälle und rassistische Morde begehen konnte, oder den Kreditskandal des deutschen Exbundespräsidenten Christian Wulff. Es ist die Literatur, die angesichts des medialen Kurzzeitgedächtnisses verhindern hilft, dass „Helden“ des öffentlichen Lebens, die über diverse Part-of-the-Game-Affären stolpern, rasch wieder an ihrer Rückkehr arbeiten.

„Rein Gold“ ist ein aus langen Monologen gewirkter Dialog zwischen Wotan und Brünnhilde – wie im dritten Aufzug von Wagners „Walküre“, als Wotan seine Tochter zur Rechenschaft zieht, weil sie sich nicht am Mord an ihrem Stiefbruder beteiligt hat. Zur Strafe soll sie auf dem Felsenberg schlafend den erstbesten Freier erwarten. Das Urteil wird dann etwas abgemildert: Per Feuerzauber wird dem Zukünftigen ein wenig Mut abverlangt, also eine Art Auslese im Zeichen heldischen Draufgängertums.

Jelineks Text hingegen setzt ein mit Bünnhildes Kritik an Wotans Eigenheimbau, umbenannt in „Burg Wedel“ nach Wulffs Haus in Großburgwedel. Im Fall Wotans besteht das Dubiose der Finanzierung in undurchsichtigen Winkelabmachungen. Damit sind wir bei der Immobilienblase, mit Wotans Weigerung, die Bauarbeiter-Riesen Fasolt und Fafner ordnungsgemäß zu entlohnen, bei der Willkür der (Geld-)Macht genauso wie beim Ende des Bedarfs an Arbeitskräften. In den Textfluss eingewoben sind unzählige Motivbezüge zum „Ring“, aber auch zu früheren Texten Jelineks; das wie verrückt hin- und her laufende Geld aus den „Kontrakten“ ist genauso da wie die Stigmatisierung des „Fremden“ aus „Wolken.Heim.“ oder die für den Verkauf herausgeputzte Bank-Braut aus „Winterreise“.

Im „Nebelheim“ ist jedenfalls nichts mehr in Ordnung. „Viele schaffen, einer schafft an“, das ist noch normal, genauso dass aus den „Häkelarbeiten“ der Nornen da unten nicht einmal ein Topflappen wird. Aber der Held will nicht eintreffen, „wir sind mit dem Erlösungswerk bereits in Verzug“, mahnt Brünnhilde und prophezeit Wotan, dass er noch herabgestuft werden wird. Allerdings, wer soll das tun? Schließlich hat Wotan die Gesetze selbst geschaffen; da er sich aber nicht an sie hält, entstehen fortwährend neue „Sachzwänge“. Gibt er den Riesen die als Sold versprochene Freia, ist es aus mit der ewigen Jugend der Götter, denn sie hütet die goldenen Zauberäpfel. Ein Sachzwang. Die wirkliche Arbeit heißt nun einmal „Aneignung: Diebstahl. Bruch von Verträgen“. „Was ein Dieb stahl, das stiehlst du dem Dieb. Ward leichter ein Eigen erlangt?“, heißt es bei Wagner. Der Hort aber, also „der Schatz, der bleibt“, geht leer aus, „keine Zinsen, kein Kursanstieg, kein Weiterverkauf“. Der Wurm, „ein großer und nicht im Rechner“, bewacht ihn, aber das Kerngeschäft ist immer mühsam. Damit aus dem Schatz etwas wird, muss er wandern, die „Nullen müssen laufen“ und es über „die lichte Steingrenze“ schaffen. Statt der Unschuldsvermutung gibt's die Tarnkappe.

Mit Variationen entlang von Begriffen wieWert / mehr wert, verheißen / nichts heißen, Schulden / schuldig, oder auch Schatz im Sinne von Hort wie Geliebter, schreibt sich der Text an die konkreten Kriminalfälle ebenso heran wie an eine Fülle zentraler Problemzonen unserer Tage. Etwa der aktuelle Kampf der Deutschen um den Schatz, schließlich wollen wieder einmal alle „den Hort der Niegelungen“, denen die Revolution nie gelungen ist. „Bloß arbeiten will keiner. Nur wir arbeiten“, mit neoliberal umdefinierten Gesetzen. „Nicht werden Öffnungszeiten mich knechten können“, so Wotan. Wie nebenbei aufgespießt werden viele Schräglagen unseres Alltags, etwa der Mülltrennwahn, der aus einer recycelten Dose zwei macht oder umgekehrt, mit einer Lasche „zum Rheingreifen“, als wären damit alle Probleme der globalisierten Welt gelöst.

In Jelineks Texten ist seit Langem nichts mehr festhaltbar, am wenigsten Identitäten. Wer antwortet etwa hier auf die Frage „Wie geht's, wie steht's?“ mit: „Danke, gut. Etwas abgerutscht, aber das holt es leicht wieder auf.“ Und wer sagt, dass „diese Drogerie-Kette nicht unterbrochen werden“ darf? Undwas spricht die Erde/Erda „auf ihrer Geberkonferenz, die sie selbst einberufen hat“? Sehr wohl aber weiß man, wer das Jesus-Zitat gesagt hat: „Ich bin die, die ihr sucht“; es war die „Nazibraut“ der Zwickauer Zelle, die eben lange keiner gesucht hat.

„Der Schatz wieder im Rhein, das Schätzchen in seiner Zelle“, aber nichts ist bereinigt, denn „wild und kraus kreist die Welt“, so Wagners Erda. Und so wartet alles auf den Helden, der aber nicht kommt, nur lauter Surrogate des Heldischen, Neonazischläger, die Talk-show-Tagesqueen Waltraud aus Königswusterhausen, eine Neukonfiguration der Walküre Waltraute, der Facebook-King unter den heimischen Politikern, der rosa Panther, ein Wetten-dass-Selbstverstümmler, der Erfinder der „Tablettenrechner“ im schwarzen Rolli oder auch nur all die Mittelklasse-Helden in ihren „tiefergelegten Gefährnissen“, die sich selbst – manchmal freilich auch andere – im Straßenverkehr dezimieren.

„Jeder will, dass ich aufhöre, endlich schlafe“, wie die „echte“ Brünnhilde, doch Jelineks Erzählstimme interessieren dieSplitter der Weltenesche oder der Gaul Grane nicht, ihr Schwert ist eine Feder, also „ein Witz“, oder ein Nordic-Walking-Stock. Gegen Ende werden immer längere Passagen des Wagner-Textes eingespielt, die zur finalen Götterdämmerung im Netz-Portal hinführen: Jeder sein eigenes Portal. Immer häufiger fällt dabei die aktuelle Jugendphrase „Keine Ahnung“, und der Schlusssatz ist die Ergebenheitsfloskel der Generation Prekariat: „Mal sehn, was draus wird.“ ■





Elfriede Jelinek
Rein Gold

Ein Bühnenessay. 224 S., brosch., €20,60 (Rowohlt Verlag, Reinbek)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2013)

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