Mit dem Taxi über die Grenze

Im Nachlass Friedrich Torbergs fand man das fertige Manuskript eines Romans: „Auch das war Wien“. Darin verliebt sich ein jüdischer Autor 1937 in eine „arische“ Schauspielerin. Nun wird das grob autobiografische Buch einem größeren Publikum zugänglich gemacht.

Friedrich Torbergs Roman „Auch das war Wien“ war nach seinem Tod als Band XV der „Gesammelten Werke in Einzelausgaben“ 1984 bei LangenMüller erschienen – und schnell vergriffen. Das Typoskript war im Nachlass gefunden worden, hergerichtet zum Druck, aber der Autor hat es nie zum Druck gegeben. Über die Gründe dafür können wir nur mutmaßen. Warum wird gerade dieses Werk neu auf den Markt gebracht? Torberg ist ja nicht vergessen – als Autor der Anekdotensammlung rund um die legendäre Tante Jolesch ist er präsent. Wie viele geflügelte Worte verdanken wir ihm? Nur zwei aus dem ständigen Gebrauch in meinem Umfeld seien erwähnt: „Alles, was a Mann schöner is' als a Aff', is' a Luxus!“ und „Gott soll abhüten von allem, was noch a Glück is'!“ Manche erinnern sich an seinen sensationellen Romanerstling „Der Schüler Gerber hat absolviert“ (1930), immer noch lesenswert.

Torberg war in meiner Studentenzeit von 1959 bis 1969 ein ständig präsenter, heiß umfehdeter, angriffslustiger und wirkmächtiger Schriftsteller, Journalist, Herausgeber des „FORVM“, witziger und bissiger Literaturpapst, Marcel Reich Ranicki vergleichbar! Viele seiner Lesungen im ORF sind gottlob als DVD erhältlich. Was Torberg auszeichnete, war seine ungewöhnliche, vielschichtige Persönlichkeit und seine damit verbundene Aura: liberaler, überzeugter Jude, nach dem Anschluss 1938 aus Prag über Umwege mühsam in die USA geflohen, aber immer in Österreich verliebt. Edwin Hartl, der große Literaturkritiker, nannte ihn 1984 gar „heimattreu“! Torberg war sozialdemokratischer Antikommunist und letztlich erzkonservativ, einer der ersten, überzeugten Vertreter einer eigenen österreichischen Nation, und damit einer österreichischen Sprache – damals durchaus noch etwas Exotisches. Im Buch umreißt er sein Österreich deutlich: „Budapest aber und Prag, in Wien zusammengewirkt mit jüdischem Ferment: vier Elemente innig gesellt, die den kompletten Begriff des Österreichischen ergaben.“

Ich hatte Friedrich Torberg schon als Student natürlich regelmäßig gelesen und geschätzt, seine Kreuz- und Feldzüge (Stichwort: Brecht-Boykott) hatten mich früh begeistert. Persönlich kennenlernen durfte ich den Altmeister dann über meine Schwester, damals Schauspielerin an der Josefstadt, und hatte mehrere sehr politische Gespräche mit ihm, zuletzt beim Bögler in Alpbach. Ich fand es angemessen und gerecht, dass er sein Ehrengrab in Wien neben dem von mir gleichermaßen geschätzten Arthur Schnitzler fand. Seinen posthumen Roman „Auch das war Wien“ kannte ich nicht, diesen habe ich erst jetzt, wieder in Alpbach, gelesen und bald verstanden, warum gerade dieses Werk neu aufgelegt wird. Sein Inhalt, wie der Schüler Gerber autobiografisch, in groben Zügen. Der erfolgreiche jüdische Schriftsteller Martin Hoffmann verliebt sich bei den Salzburger Festspielen im Sommer 1937 in die ebenso erfolgreiche „arische“ Schauspielerin Carola Hell. Es beginnt eine rauschende Liebesgeschichte, die in die politischen Entwicklungen in Österreich und Deutschland hineinverwoben ist. Carola, auf Gastspiel in Berlin, wird abgehört, denunziert, von Gesandten der Reichskulturkammer ob ihres im Nazi-Reich bereits verfemten jüdischen Partners bedroht.

Hexensabbat der illegalen Nazis

In Österreich zurück, keimt plötzlich Hoffnung auf, gibt es eine neue Regierung? Werden die Linken ins Boot geholt? Dann der tiefe Fall in die Hoffnungslosigkeit: Der 12.Februar 1938, Kurt Schuschnigg, der letzte Bundeskanzler des autoritären Ständestaats, geht vor Hitler in Berchtesgaden in die Knie. Das Ende? Am 24.Februar plötzlich wieder die Hoffnung auf ein Wunder: Schuschnigg ruft zur Volksabstimmung auf und löst eine Welle der Begeisterung für Österreich aus. Aber es folgt in rasantem Tempo das deutsche Ultimatum: Absage der Volksabstimmung, sonst gewaltsamer Einmarsch! Schuschnigg weicht der Gewalt, dankt ab, die Deutschen marschieren ein, es folgen „die Walpurgisnacht und das Finis Austriae“, ein Hexensabbat der plötzlich auftauchenden österreichischen illegalen Nationalsozialisten, und das Ende Österreichs.

Carola erwartet ein Kind, das Paar will über Prag in die USA fliehen. Im packend geschilderten Tohuwabohu der drei Tage nach dem Anschluss wird das Paar am Bahnhof getrennt. Ihr gelingt die Reise nach Prag, ihm wird der Pass von der Polizei abgenommen, und er steht ohne Papiere vor der versiegelten Tür der gemeinsamen Wohnung, findet bei Freunden, nicht aber bei der Schwiegermutter Unterschlupf, erlebt dramatische Morde und Selbstmorde, früher heimliche, jetzt triumphierende Nazis, aufrechte Helferinnen, aber auch schäbige Opportunisten, und er kommt – so steht es am Ende im Raum – mithilfe eines aufrechten linken Taxlers über die grüne Grenze ins rettende Prag. Das dichte Netz des Staatsterrors gegen andersdenkende Bürger im Deutschland des Jahres 1938 wird ebenso plastisch wie die tiefe Spaltung Österreichs und der widerliche vorauseilende Gehorsam vieler in Österreich: Als gälten die Nürnberger Rassengesetze (der Inbegriff von Unrecht im Gewande des Gesetzes) auch schon in Österreich! Ebenso spannend und facettenreich schildert Torberg die Kulturszene rund ums Theater und die Welt der Journalisten und Schriftsteller in Wien.

Das Ganze klingt wie das Drehbuch einer „Doku-Soap“. Die Liebesgeschichte, die persönlichen Entwicklungen der beiden Liebenden, sie im Theater, er als Schriftsteller und Drehbuchautor, die Beziehungen zur Wiener Umwelt, zur Schwiegermutter und dem kroatischen Berufsoffiziersonkel – das alles prägt das Buch, steht eigentlich im Vordergrund. Die politischen Läufe der Zeit gehören ganz einfach zur Story dazu! Der innere Dialog, den Schnitzler so meisterhaft in seinem Leutnant Gustl darstellte, dient Torberg als Mittel, die dramatischen Entwicklungen am Ostbahnhof, beim Fluchtversuch, und dann beim panischen Umherirren in Wien, ohne Papiere, ohne Wohnung, von der Schwiegermutter beschuldigt und verfolgt, darzustellen.

Auch das war Wien – wir kennen die Abläufe aus heutiger Sicht, von der hohen Kanzel der Geschichtswissenschaft. Die Schilderung des Zeitzeugen, des „heimattreuen“ österreichischen, nicht assimilierten, aber voll integrierten Juden zeigt uns ein vielfältigeres, menschennahes verständliches und nachvollziehbares Bild. Das Symbol der 300.000 auf dem Heldenplatz dem Usurpator zujubelnden Wiener wird dadurch ergänzt und zurechtgerückt – von durchaus glaubwürdiger Seite. Gerade diese Vielfalt und die menschliche Nähe rechtfertigen die Neuauflage. Ich habe das Buch am vergangenen Sonntag vom Anfang bis zum Ende gelesen – ohne Pause, in Alpbach. ■


Torbergs Roman wird am 3.September um 18 Uhr im Jüdischen Museum,

Dorotheergasse 11, präsentiert.

Friedrich Torberg

Auch das war Wien

Nachwort von Edwin Hartl. 340 S., geb., €24,90 (Milena Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2013)

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