Digitalisierte Spionin

Getwittert: Jennifer Egans Roman in Ein-Satz-Perioden.

Das erste Mal las ich „Black Box“ voriges Jahr im „New Yorker“. Die Geschichte besticht durch streng formale Vorgaben: In Erzählschritten, die sich jeweils auf einen Satz beschränken, stellt Jennifer Egan eine als unbedarfte Schönheit getarnte Spionin vor, die sich im Zuge eines Badeurlaubs am Mittelmeer dem männlichen Feindobjekt nähern soll.

Ihre weiblichen Waffen, Ursula Andress im Bikini lässt grüßen, sind durch einige in den Körper implantierte Aufzeichnungs-, Sende- und Ladegeräte ergänzt. Der ausspionierte Inhalt ist auch nach dem möglichen Ableben seiner Trägerin fürs Vaterland höchst wertvoll, weshalb sie darauf achten muss, ihren Körper unversehrt zurück an den Auftraggeber zu liefern.

Leser, die mit dem Roman „Der größere Teil der Welt“ von Pulitzer-Preisträgerin Egan vertraut sind, können als Spionin Lulu erkennen, die jüngste Protagonistin eines kunstvollen Erzählreigensum den Niedergang der Musikindustrie und den Aufstieg diverser elektronischer Gadgets. Schon damals experimentierte Egan eindrücklich mit einer Story, die ins bisher außerliterarische Format von Powerpoint gebracht und mit Grafiken ergänzt wurde. Dass „Black Box“ nun mit reduzierten Sätzen hantiert, meist Anweisungen, die der Agentin von höherer Stelle als Verhaltensmaßregeln in verschiedenen gefahrvollen Situationen nahegelegt werden, überrascht daher nicht. Trotzdem ist bewundernswert, was Egan in äußerster formaler Beschränkung erzählerisch zustande bringt.

Neue Form seriellen Erzählens

Der Clou: Die im „New Yorker“ publizierte Geschichte war weder als solche geplant noch verbreitet worden, sondern wurde vorerst als Serie von Tweets an Follower verschickt, die den Ablauf der Story aus aufeinanderfolgenden Kurznachrichten zusammensetzten. Leider habe ich keinen Bericht einer dieser Leser auffinden können, der über die ungewöhnliche Rezeptionserfahrung Auskunft hätte geben können. Stattdessen ausführliche Beschreibungen des Prozedere sowie hoffnungsvolle Ausblicke auf eine „Twitteratur“, die eine Fortsetzung seriellen Erzählens, wie in den Zeitschriftenromanen des 19. Jahrhunderts, darstelle. Dem Medium Twitter entsprechender wäre es gewesen, hätte die Spionin Nachrichten in erster Person aus ihrem Einsatzgebiet gesendet.

Die mittels Tweets verbreitete Geschichte illustriert die Ratlosigkeit der Verlage gegenüber digitaler Beeinträchtigung. Eine im Netz aufbereitete Präsentation des literarischen Ereignisses enthält Abbildungen von Egans Arbeit am Text: Mit der Hand chronologisch in ein Notizbuch geschrieben, samt Überschreibungen, Ausstreichungen; eine Dokumentation klassischen Schreibens also. Ein Jahr dauerte es angeblich, um die Story schlüssig und spannend zu erarbeiten.

„Black Box“ wurde als ganzer Text im „New Yorker“ gedruckt, danach als E-Book publiziert, ins Deutsche übersetzt und zwischen zwei Buchdeckel gebracht. Gipfel der Absurdität: Erst nach dem Erscheinen des Buchs wurde der Text exklusiv von „Spiegel“-Online an ausgewählte Leser Absatz für Absatz per Twitter verschickt! Was sollte damit bewiesen beziehungsweise erneuert werden?

Andererseits: Wer immer Egans spannende Geschichte, die mit Kritik am Patriotismusgehabe nicht spart und zudem noch Raum für wunderbar poetische Sätze findet, lesen will, sollte das tun und das Getue rundherum vergessen. Es lohnt sich. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2013)

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