Wenn das Reibeisen ins fettige Bratrohr reinfährt

Vulgär, zugleich poetisch: Petra Hulovás intensive Auseinandersetzung mit Prostitution in Prag.

Die gegenwärtige tschechische Literatur befindet sich in einer Krise: Es gibt nicht genügend Autoren, die in der Lage wären, ein größeres Publikum im deutschsprachigen Raum für sich zu gewinnen. Es wird ihnen nach Kundera, Hrabal, Havel und Co. auch nicht gerade leicht gemacht. Die Erwartungen sind hoch, die Enttäuschungen oft programmiert.

Petra Hulová ist zuzutrauen, eine prägende Rolle einzunehmen. Waren ihre zuvor auf Deutsch erschienenen Bücher inhaltlich von Landschaft, epischer Weite und fremdländischen, exotischen Kontexten geprägt, so ist ihr neuer Roman, „Dreizimmerwohnung aus Plastik“, schwer einzuordnen. Eine Erzählung? Eine Novelle? Eine Art Monolog? Essay? Die tschechischen Rezensenten waren sich nicht einig, aber im Grunde spielt eine Genrezuweisung gar keine Rolle.

„Echte Muttifickisten haben daheim schon genug kleine Dramen, und der trostspendende Fickstubenhafen ist für sie im Gegensatz dazu ein stilles Örtchen zum Wehwehchenbepusten; was nämlich die Ehefrauen von diesen Männern unter Orgasmus verstehen, haben denen die schlecht gemachten Sexszenen von Multiplexfilmen ins Hirn gebrannt.“ Petra Hulová überraschte alle, ohne an Kontinuität einzubüßen. Zwar ist das Buch inhaltlich ein Wagnis, doch sprachlich folgt die Autorin weiterhin ihren Visionen. Sie kreiert neue Wörter, setzt sich detailliert mit dem Tschechischen auseinander und webt sich gleichermaßen einen sprachgewaltigen und ironischen Text, von dem andere ihrer Generation nur träumen können. Viele im tschechischen Literaturbetrieb hätten Petra Hulová eine intensive Auseinandersetzung mit Prostitution gar nicht zugetraut. Eine etwa 30-jährige Prostituierte erzählt in poetischer und vulgärer Sprache (die Autorin beweist, dass dies kein Widerspruch sein muss) von ihren Erlebnissen in Prag. Sie setzt sich hierbei der Leserschaft förmlich aus, und man kann ein ganzes Buchlang in ihrem Kopf herumspazieren.

„Sie streicheln mir erst mal ein paar Minuten die Rundungen und schütteln die Titten auf, und erst nach einiger Zeit gehen sie ein Schrittchen weiter, eigentlich näher zu mir und in mich, auch wenn das Reibeisen schon eine beachtliche Weile habt acht gestanden und nichts es aufgehalten hat, ins fettige Bratrohr reinzufahren.“

Die Autorin fokussiert ihr Erzählen voll und ganz auf ihre Protagonistin – sie bleibt dadurch angenehm zeitlos, Eltern, Bekannte, Geschwister, Freunde, Feinde, all das, was man sich in einem Roman erwarten würde, spielt keine Rolle. Dafür lässt die Frau vom Fach auch nichts aus, was mit ihrem Fach zu tun hat; sie referiert, beschreibt, kommentiert und desillusioniert. Auffällig ist hierbei die tendenzielle Lächerlichkeit ihrer Kunden, die nur ein Schatten ihrer selbst bleiben. Und auffällig ist auch die Thematisierung der mit dem kommerziellen Sex verbundenen Langeweile, die von der Autorin fabelhaft in Szene gesetzt wird.

Hulová – das ist ihr hoch anrechnen – ist nicht auf Pointen aus ist. Sie folgt darin Elfriede Jelinek, deren Wichtigkeit für ihr Werk sie unlängst betont hat. In einem Interview merkte sie an, dass ihr viele von einer Publikation abgeraten hatten. Es hieß, dass sie sich damit zu einer peinlichen Figur machen, der Freund sie verlassen, die Großmutter aus dem Fenster springen würde. Es ist eigentlich erstaunlich, wie viel Sprengkraft die Themen Prostitution, Sex, Pornografie nach wie vor in der Literatur haben.

„Die Mutterfickergattinnen, die sich für aufgeklärt und voll funktionstüchtig halten, wissen nur zu gut, dass ein Orgasmus kein Nachttischlämpchen ist, und darum piesacken sie ihren Muttificker mit allzu hohen Ansprüchen: mit der gemeinsamen Suche nach dem bescheuerten G-Punkt oder dem Ausprobieren von unterschiedlichen Nümmerchen, die sie aus Zeitschriften haben und bei denen der Gatte einen auf Buschjäger Bill machen soll.“

Wer zu Petra Hulovás neuestem Buch greift, darf sich auf lange, mäandernde Sätze freuen, die voller Melodie und Verve sind; sie stecken aber auch voller roher Kraft, Wut und Ohnmacht, der es zu begegnen gilt. Am besten mit einem Lächeln – denn dies bleibt, selbst für einen Buschjäger Bill, die beste Methode, der Welt die Zähne zu zeigen. ■

Petra Hulová

Dreizimmerwohnung aus Plastik

Roman. Aus dem Tschechischen von Doris Kouba. 192S., geb., €18,50 (Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2013)

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