Schweigen, Zeit und Liebe

Realistisch-heiter: Fabio Volos „Zeit für mich und Zeit für dich“ – über die unruhigen Bahnen des Lebens.

Im Original klingt der Titel von Fabio Volos drittem Roman, „Zeit für mich und Zeit für dich“, treffender: „Il tempo che vorrei – Die Zeit, die ich gerne hätte“. Denn tatsächlich geht es seinem Protagonisten Lorenzo um die Zeit, die er (noch) gerne (mit seiner Freundin) (gehabt) hätte. Er hat keine Freundin mehr, weil er dem Schweigen verfallen ist: Er hat die Kommunikation verweigert. Hätte er mit ihr geredet, wäre ihm die Zeit vielleicht geblieben, die er jetzt so gerne hätte. Was ist passiert? Das Leben, das nicht einfach nur in ruhigen Bahnen dahinfließt, wie es auch Volo so schön und realistisch darstellt.

Es gibt zwei Erzählstränge: Der eine – quasi passive – behandelt Herkunft und Entwicklung von Lorenzo, der andere – quasi aktive (in der Folge aber ebenso passive) – die Liebesgeschichte zwischen ihm und seiner Exfreundin. Immer wieder überlagern sich seine Geschichten, fallen ihm zu Stichworten kleine Episoden ein – es geht eben ständig um die Tempi passati.

Lorenzos Eltern führten zwar eine gut frequentierte Bar, hatten aber stets Geldprobleme, der Vater hatte nie Zeit für den Sohn, mit all den Sorgen im Kopf und dem Minus auf dem Konto. Er bat alle möglichen Leute um Geld, und schließlich entwendete er die Sparbüchse seines Sohns. So lernte der kleine Lorenzo schon früh, um Aufschub bei den zuständigen Behörden zu bitten, und musste erfahren, wie sich diese unangenehme Situation anfühlt. Der Augenblick, an dem er die letzte Hoffnung verlor, dass sein Vater ein starker und selbstsicherer Mann sei, bedeutete für den jungen Burschen den inneren Bruch mit ihm, während der Vater die weiter gefassten Lebenspläne des Sohns nicht nachvollziehen kann. Erst viele Jahre später, durch eine Erkrankung des Vaters, beginnen die beiden einander wieder anzunähern. Sie finden eine gemeinsame – wortarme – Sprache, um einander zu verstehen.

Die nie erhaltene Vaterliebe prägt

In der Folge redet sich Lorenzo auf die nie erhaltene Vaterliebe als Kind aus, wenn er im Heute meint, nicht lieben und sich nicht lieben lassen zu können: Er versteckt sich dahinter und sagt: „Man lernt, zu schweigen und den Kopf gesenkt zu halten: Das ist die wahre Sozialpolitik.“ Das soziale Milieu und die soziale Situation sind es, die den Charakter eines Menschen mitgestalten. So erwiesen sich Lorenzos Eltern anstatt als sicherer Hafen, aus dem das Kind ins Leben lossegeln konnte, als brüchiges Ideengerüst.

Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist, dass Lorenzo von seinem besten Freund von der geplanten Heirat seiner Exfreundin erfährt, was ihm einen harten Schlag versetzt. Er trauert ihr nach, noch immer, er denkt viel an sie und ihre gemeinsame Zeit. Und er denkt über das Ende nach: was sie sagte, bevor sie ging – als er einfach nichts tat. Dieses erinnerte Szenario ist für das Verständnis Lorenzos sehr wichtig: Es zeigt einen Menschen in seiner Hilflosigkeit und Ohnmacht – Kräfte, die so vieles zerstören können.

Die erste Trennung erfolgt vier Monate vor der zweiten, endgültigen; beide Male ist es die Frau, die Schluss macht. „Du passt dich an, das ist deine Art zu lieben“, sagt sie. Er sei nie wütend, streite nicht, bitte nicht um Hilfe und ersticke die Gefühle. Selbst als sie im Gehen begriffen ist, für immer, sagt er nichts. Er schimpft, bittet, schreit nicht. Er steht da wie ein begossener Pudel – und versteht sie. ■

Fabio Volo

Zeit für mich und Zeit für dich

Roman. Aus dem Italienischen von Peter Klöss. 272 S., Tb., 15,40 € (Diogenes Verlag, Zürich)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2013)

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