Mehr Palais, mehr Bordell?

Die Stadt vor 100 Jahren: David Vogels „Wiener Romanze“. Es sind die Langeweile und der Lebenshunger der Sorglosen, dieder 1891 in Statanow, im damals russischen Podolien, geborene David Vogel in seinem Roman „Eine Wiener Romanze“ beschreibt.

Es sind die Langeweile und der Lebenshunger der Sorglosen, dieder 1891 in Statanow, im damals russischen Podolien, geborene David Vogel in seinem Roman „Eine Wiener Romanze“ beschreibt. Die Hauptfigur, Michael Rost, ist ein junger Mann, dem das Glück hold ist: Eben erst ist der 18-Jährige aus der fernen Provinz der Donaumonarchie in die Hauptstadt gekommen, und schon fliegen ihm die Herzen der Frauen zu. Er hat weder finanzielle Sorgen noch Pläne für Studium oder Arbeit. Rost mietet ein Zimmer in einer geräumigen Innenstadt-Wohnung und beginnt ein Verhältnis mit der Zimmerwirtin. Alsbald wird er ihrer überdrüssig und macht sich an ihre 16-jährige Tochter heran.

Der bisher kaum bekannte Autor David Vogel wird gerne in einem Atemzug mit Arthur Schnitzler genannt. Wie bei diesem wird auch Vogels Wiener Bühne von der saturierten, mitunter lebensüberdrüssigen Gesellschaft der untergehendenMonarchie bevölkert, den Adeligen, Offizieren, Fabrikanten. Auch bei ihm knistert es unüberhörbar im Gebälk der bürgerlichen Moral. Wie Schnitzler zeigt auch Vogel eine hohle Welt am Abgrund. Doch anders als Schnitzlers gelangweilte Protagonisten wie Anatol oder dessen Freund Max kommt Vogels Hauptperson Rost nicht aus echtem oder Geldadel.

Um ihn dennoch mit sorgenfreier Existenz auszustatten, erfindet der Autor für ihn eine Zufallsbekanntschaft, den Millionär Peter Dean, der es mit zweifelhaften Geschäften in Amerika zu großem Reichtum gebracht hat und in Rost sich selbst in jungen Jahren wiederzufinden meint. Deshalb stellt er ihm ausreichend Mittel zur Verfügung, damit dieser ein luxuriöses Leben führen kann. Offenbar lässt der Autor bei der Darstellung seiner Hauptfigur auch Autobiografisches der eigenen frühen Jahre in Wien einfließen, lediglich hatte der junge Vogel, als er nach Wien kam, keinen Millionär, der ihn seiner Geldsorgen hätte entheben können. Vogel lebte hier zwischen 1912 und 1925, später in Paris, schrieb aber auf Hebräisch.

2010 im Nachlass entdeckt

Vogel zeichnet manche Charaktere – jüdische Immigranten in einem Gasthaus in der Leopoldstadt etwa – in allzu grellen Farben. Einen genauen Blick hat er auf die Kulisse, vor der sein Roman spielt: die Sonne, die sich ihren Strahlenweg durch Wien bahnt, den Regen, die Farben der Nacht. Dienstmädchen, die Krüge mit Bier aus Lokalen in die Häuser ihrer Herrschaften bringen, rufende Eisverkäufer, dösende Kutscher – Wiener Zeitdokumente kurz nach 1900.

Zwei Schwachpunkte des Romans:Zum einen handelt es sich um ein Jugendwerk des Autors aus den 1920er-Jahren, liest sich also nicht so geschliffen wie etwa ein Schnitzler-Roman; zum anderen hat Vogel das Werk zu einer späteren Fertigstellung zur Seite gelegt und nie vollendet. Vogel, der Gedichte, Novellen und Romane schrieb, wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Erst 2010 wurde das 15 eng beschriebene Bögen umfassende Manuskript in seinem Nachlass in Tel Aviv entdeckt.

Und so werden in dem Buch wesentlich erscheinende Handlungsstränge später nicht mehr aufgenommen, bleibt eine Rahmenhandlung bezugslos. Der Roman läuft zum Schluss irgendwie aus. Dennochgelingen Vogel facettenreiche Bilder, Milieus und Personen. Seine Geschichtependelt wie deren Hauptfigur zwischen der Scheinwelt der Besitzenden und der Halbwelt der Besitzlosen, zwischen Palais und Bordell. ■

David Vogel

Eine Wiener Romanze

Roman. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. 316S., geb., €22,30 (Aufbau Verlag, Berlin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2013)

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