Mit Thomas Bernhard auf dem Mozartsteg

Erinnerungen, Reflexionen über Dichter, Studien zu Romanen, Traumprotokolle, Weltbeobachtungen: Walter Kappachers kunstvolle kleine Prosa.

Nach zwei Fotobüchern legt der Salzburger Verlag Müry Salzmann nun mit „Die Amseln von Parsch“ verstreut erschienene Prosastücke und bisher ungedruckte Manuskripte von Walter Kappacher vor. Wer über den in Sachen Eigen-PR immer zurückhaltenden Autor etwas mehr erfahren will, sollte das Buch unbedingt lesen. Auch für das Verständnis seines Werkes lässt sich daraus viel lernen. Enthalten ist etwa die Keimzelle seines dritten Romans „Rosina“ in der Erzählung „Fräulein Helga“ oder ein nicht aufgenommenes Kapitel zum Roman „Selina oder Das andere Leben“ (2005) mit dem Titel „Abschied von Cerreto“, der berührende Abgesang auf eine toskanische Idylle. Ein Waldbrand hat die Landschaft ebenso nachhaltig zerstört wie die Umwandlung der alten Bauernhäuser in Sommersitze für sonnenhungrige Nordländer die Sozialstruktur der Region.

„Sie arbeiten nicht viel am Tag?“, soll Peter Handke ihn bei einer zufälligen Begegnung auf dem Salzburger Mozartsteg gefragt haben. Der zu seinem langjährigen Bürojob hastende Kappacher muss sich die Frage erst für seine „andere“ Realität, jene des Schriftstellers, „übersetzen“. Freilich fragt Handke mit dem ihm eigenen Gespür auch: „Haben Sie es schwer hier?“ Der Mozartsteg, dieser leicht schwankende Salzachübergang, scheint ein idealer Schriftstellertreffpunkt zu sein, auch Bernhard ist Kappacher hier wiederholt begegnet. Bezaubernd sind die Traumprotokolle „Der Maulwurf. Träume mit Thomas Bernhard“ aus den Jahren 1970 bis 1989, benannt nach jenem Traum-Maulwurf, den Bernhard persönlich kennt und auf seiner Grabstätte beherbergt. In Ohlsdorf, so ein anderer Traum, waren gegenüber von Bernhards Bauernhof eine ganze Reihe seiner Autos abgestellt; als Kappacher in eines davon einsteigen will, muss er „eine Leiter hinaufklettern“.

Erinnerungen und Reflexionen überDichterkollegen nehmen einen breiten Raumein, berührend sind die Berichte seiner regelmäßigen Begegnungen mit Erwin Chargaff, die zuerst 2007 unter dem Titel „Hellseher sind oft Schwarzseher“ in einer kleinen Auflage erschienen sind. Die Sensibilität, mit der Kappacher von Menschen berichtet, lässter auch Orten angedeihen, selbst wenn es „kein Ort“ sein mag, „der die Herzen der Reisenden im Handumdrehen gewinnt“, wie Mühlbach am Hochkönig mit den Bauhütten und Halden des einstigen Kupferbergwerks. Und natürlich auch seinen Lektüren. „Kaum zu glauben: In einem Roman des noch jungen 19.Jahrhunderts zeigen Männer Einsicht, wenn Frauen sie kritisieren, bekennen ihre Charakterschwächen – und versuchen sich zu ändern“, schreibt er über JaneAustens Roman „Stolz und Vorurteil“, der ihn erst in einem späten zweiten Lektüreanlauf zu fesseln vermag.

Als Erzähler aber gebietet Kappacher über die Welt und kann aus potenziellen Störfaktoren Fantasiegebäude bauen. In der Titelgeschichte lehrt der Erzähler Nachbars Papagei eine Tonfolge aus der Zauberflöte, dann aber lehren ihn die Amseln, aus ihren Gesängen die kunstvollen Variationen über ein Lied aus Schuberts „Schöner Müllerin“ herauszuhören. Ein Künstler, so habe er einstvon seinem Yogalehrer gelernt, darf für die Verbreitung seiner Werke nichts unternehmen. Diese Haltung generiert auch Nähen und Freundschaften. Fassungslos, aber unkommentiert notiert Kappacher im letzten Abschnitt des Bandes seine Erinnerung an ein Telefonat mit Wilhelm Muster, der ihm aufgeregt mitteilte, dass er endlich „berühmt“geworden sei, denn die „Kronen Zeitung“ habe ausführlich über ihn berichtet.

Versammelt sind in diesem letzten Abschnitt auch jede Menge kleiner, aber feiner Weltbeobachtungen, wie sie ein geduldiger Zuseher wie Kappacher anhäuft. Die wochen-ends an den Flachgauer Seen einfallenden Badegäste erinnern ihn an Berufstätige, „die zu spät aufgestanden sind, an ihre Arbeitsplätze hetzen, zu der schweißtreibenden Arbeit des Sich-Bräunens“; kommentarlos notiert er, wie ein Fernsehsprecher auf dem Kultursender arte nach einer Übertragung der Johannespassion mit den Berliner Philharmonikern ankündigt: „Nächste Woche wenden wir uns wieder der innovativen Musik zu.“

„Er aber steht geduldig an der Pforte des 20. Jahrhunderts und wartet lächelnd, bis sein schleichend Volk ihm nachkomme“, zitiert Kappacher in seinem Essay über Jean Paul aus Ludwig Börnes Grabrede. In der Community der Lesenden treffen immer die richtigen Geister aufeinander. ■

Walter Kappacher

Die Amseln von Parsch und andere Prosa
216 S., geb., €19 (Müry Salzmann Verlag, Salzburg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2013)

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