Der Prophet in Brüssel

„Europa und das kommende Kalifat“: Die in der Schweiz lebende Historikerin Bat Ye'or befürchtet eine schleichende Islamisierung Europas. Sie hält dasKonzept des europäischen Multikulturalismus für gescheitert.

Die Kassandrarufe zum Niedergang des alten Europa sind mittlerweile unüberhörbar. Spätestens seit Thilo Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ dürften auch Gutwillige Zweifel hinsichtlich der Zukunft Europas und seiner Gesellschaften beschlichen haben. Zu dem demografischen Niedergang der alteuropäischen Einwohner, der den bestehenden Generationenvertrag bedroht, da immer weniger Menschen eine zunehmend überalterte Gesellschaft finanzieren müssen, gesellen sich die Probleme einer drohenden Altersarmut und unvorstellbarer Staatsverschuldungen.

Hinzu kommen eine weitgehend gescheiterte Integration muslimischer Migranten und eine absehbare Verschiebung der Zusammensetzung der Gesellschaft, die dazu führen kann, dass sich die einheimische Mehrheit bald als Minderheit unter Minderheiten wiederfindet. Der namhafte Doyen der Islamwissenschaften, Bernard Lewis, malt die Zukunft des Kontinents in düsteren Farben: „Nach den aktuellen Trends wird Europa spätestens Ende des 21.Jahrhunderts muslimische Mehrheiten in der Bevölkerung haben.“ Da es sich beim Islam um eine wenig friedfertige und wenig tolerante Religion handelt, beschleicht die Angst vor einer Islamisierung immer mehr Bürger. Zumal den Muslimen durch göttliche Offenbarung die wie immer geartete Missionierung der Welt aufgegeben ist.

Eine der mahnenden Stimmen hinsichtlich der Islamisierung Europas ist die unter Pseudonym schreibende jüdische Historikerin Bat Ye'or (Tochter des Nils), die in Ägypten geboren wurde und seit vielen Jahren in der Schweiz lebt. Ihre Bücher zur Geschichte der Juden und Christen unter der Herrschaft des Islam und über die Herabsetzung nicht muslimischer Gemeinschaften und deren Angehörige zu Menschen minderer Wertigkeit gehören mittlerweile zu den Standardwerken über den Islam. Ihre historischen Belege, dass es in diesen Gesellschaften niemals ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen gegeben hat, passen selbstverständlich nicht in das Klischee der multikulturellen Ideologie.

In ihrer jüngsten Publikation, die nun in der deutschen Übersetzung mit dem Titel „Europa und das kommende Kalifat“ vorliegt, ist der Ausgangspunkt ihrer Argumentation, dass es zwischen Muslimen und Andersgläubigen keinen dauerhaften Frieden geben kann: „Aus islamischer Sicht ist die ganze Erde eine Stiftung, ein Territorium, das Allah gehört. Der muslimischen Gemeinschaft ist versprochen, es unter die Herrschaft der dem Propheten einst offenbarten, islamischen Ordnung zu bringen. Der Jihad bildet den Kampf um die Rückgewinnung desStiftungslandes, das von den Ungläubigen illegal besetzt und den Muslimen zurückzugeben ist.“ Vor diesem Hintergrund thematisiertsie die europäische Politik gegenüber den islamischen Ländern des Mittelmeers respektive des Nahen Ostens und Israel. Eine zentrale Stelle in dieser Entwicklung nimmt eine scheinbar unbedeutende Moschee in München ein (siehe auch „Die vierte Moschee: Nazis, CIA und der islamische Fundamentalismus“ von Ian Johnson).

Während das offizielle Westdeutschland seit Konrad Adenauer mit Israel eine Politik der Versöhnung betrieb, bestanden die alten Seilschaften zwischen den Nazis und den islamischen Nazi-Kollaborateuren, die im Zweiten Weltkrieg auf dem Balkan und in der Sowjetunion eigene SS-Einheiten stellten, weiter. München wurde zum Gravitationspunkt der Zusammenarbeit von muslimischen SS-Angehörigen und Muslimbrüdern mit der CIA und Nazis im Kampf gegen den Kommunismus.

Die politische Elite nach 1945 war durchsetzt von Nazis, die mittlerweile in hohe Staatsämter aufgestiegen waren. Stellvertretend seien hier zwei Autoren der Nürnberger Rassengesetze genannt: Walter Hallstein wurde der erste Präsident der Europäischen Kommission (von 1958 bis 1967), und Hans Globke stieg zur grauen Eminenz im Bundeskanzleramt (von 1953 bis 1963) auf. Das offizielle Deutschland stand somit an der Seite der USA und Israels, das inoffizielle blieb dem Antisemitismus und dem Antiamerikanismus treu. Eine zentrale Figur wurde Ende der Fünfzigerjahre Said Ramadan, der Schwiegersohn des Begründers der Muslimbrüder Hassan al-Bannā. Mit der Unterstützung alter Nazis baute er die Münchener Moschee zum globalen Gravitationszentrum der Islamisierung aus.

Das Jahr 1973 markiert den Wendepunkt der europäischen Politik gegenüber dem Islam: Die Europäische Gemeinschaft anerkannte die PLO und deren Führer Yassir Arafat, obwohl sie die Existenz Israels ablehnten. Der Terrorismus der PLO und später der Hamas wird zwar von europäischer Seite immer wieder bedauert, dieser sei aber „tiefer liegenden Ursachen geschuldet“.

1974 wurde die Parliamentary Association for Euro-Arab Cooperation (PAEAC) gegründet, deren Ziel eine gemeinsame arabisch-europäische Zivilisation ist. Ein weiterer wichtiger Partner für die Europäische Union ist die 1969 gegründete Organization of Islamic Conference (OIC), der heute 56 islamische beziehungsweise mehrheitlich islamische Staaten angehören. Hinter den Floskeln des interreligiösen Dialogs lassen sich leicht die Ziele dieser Organisation erkennen: die globale Stärkung des Islam und die Islamisierung Europas. Deshalb betont die OIC besonders den Kampf gegen die „Islamophobie“, den die EU freudig unterstützt und durch vermehrte islamische Migration nach Europa nachhaltig bestärkt.

Der wichtigste Beitrag der EU zu einer gemeinsamen Zivilisation ist seit Jahrzehnten die Durchsetzung des Multikulturalismusund der Diversität, um die europäischen Nationalstaaten zu schwächen respektive zu überwinden. Dieses Konzept garantiert den muslimischen Migranten die Bewahrung ihrer kulturellen und religiösen Identität, während das christliche Europa weitgehend untergehen soll. Eine große Anzahl von Stiftungen der EU wie zum Beispiel die Anna-Lindh-Stiftung oder die Allianz der Zivilisationen propagieren die Ziele dieser euroarabischen Utopie. Bat Ye'or belegt diese Entwicklungen zur Islamisierung Europas akribisch, auf die hier im Einzelnen nicht eingegangen werden kann.

Die Autorin wirft der Europäischen Union und vielen europäischen Politikern politische Blindheit und eine fast grenzenlose multikulturelle Naivität vor: Sie verkennten die politischen Ziele des Islam und seiner Institutionen, Verbände und Vereine. Das Ziel der Muslimbrüder, der Salafisten und der Wahhabiten sei ein europäisches Kalifat.

PS: Die Eröffnung des König-Abdullah-Zentrums für interreligiösen und interkulturellen Dialog in Wien im Jahr 2012 war ein weiterer, glänzender Erfolg der Islamisierung Europas durch Saudiarabien und die Muslimbrüder: dank der Unterstützung der österreichischen Christ- und Sozialdemokraten. ■

Bat Ye'or

Europa und das kommende Kalifat

Der Islam und die Radikalisierung der Demokratie. Aus dem Englischen von Hans-Peter Raddatz. 228 S., brosch., €23,50 (Duncker & Humblot, Berlin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2014)

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