„Lebe das Leben eines Flüchtigen“

Der Briefwechsel Gottfried von Einems mit seiner Nichte Andrea Liebrecht: „Mein geliebtes Liebes“.

Und jetzt ist für mich die Zeit, da ich alle Frauen liebe, wenn sie nur schön und nicht zu ahnungslosund nicht zu dumm sind“, notierte der 23-jährige Gottfried von Einem in sein Tagebuch. Sechs Jahre später war er weltberühmt durch den Uraufführungserfolg seiner Oper „Dantons Tod“ bei den Salzburger Festspielen 1947. Auch in der Liebe schien der, wie er spät erfuhr, uneheliche Sohn eines ungarischen Grafen, in Lianne von Bismark –sie hatte er durch die Pianistin Gerty von Herzog, die Frau seines Lehrers Boris Blacher, kennengelernt – das seit frühester Jugend ersehnte Glück gefunden zu haben.

Als 1962 innerhalb weniger Monate seine Lianne und der ihm freundschaftlich verbundene, hoch geschätzte Bühnenbildner Caspar Neher starben, stürzte dies den Komponisten in eine tiefe Depression. „Der Zugang zur Musik ist mir noch immer verschlossen. Ich lebe ein für mich sinnloses Leben, das Leben eines Flüchtigen“, schrieb er im Dezember 1962 seinem früheren Lehrer Karl Christian Jensen. Und obwohl er in diesen Tagen auch meinte, „in einer Art von Niemandsland zu leben“, hatte er den Glauben an die Liebe keineswegs aufgegeben, wie sein im Mai 1962 begonnener Briefwechsel mit seiner Nichte Andrea Liebrecht, der Tochter der Schwester seiner verstorbenen Frau, Lianne, beweist. Er war von dieser „anmutigen und bezaubernden Frau“, wie er sie in seiner Autobiografie „Ich hab' unendlich viel erlebt“ beschreibt, von Anbeginn so fasziniert, dass er sie am liebsten gleich geheiratet hätte. Schon das erste Geschenk, das er ihr gemacht hat, spricht für sich: ein anlässlich der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper herausgebrachtes Batisttaschentuch mit der Unterschrift bedeutender Musiker, der des Onkels selbstverständlich inklusive.

„Nenn ihn Freund, heiß ihn Geliebten, Ehemann“, liest man in einem der ersten dieser Briefe, deren delikates Umfeld man sich vergegenwärtigen muss: Ein 44-jähriger weltberühmter Komponist, eben erst zum Witwer geworden, mit seinem 14-jährigen Sohn, dem die Mutter seiner verstorbenen Frau den Haushalt führt und der in größter Leidenschaft, wie man jenem seiner zahlreichen Briefe entnehmen kann, zu seiner 17-jährigen Nichte entbrannt ist. Immer heftiger bedrängt er sie, ihm das Jawort für ein gemeinsames Leben zu geben, wenngleich seine Angebetete bald deutlich macht, sich das mit ihrem Onkel nicht vorstellen zu können. Bei aller Zuneigung, die sie empfand, die sie allerdings nicht mit so kunstvoll gedrechselten Sätzen wie von Einem in ihren Briefen immer wieder durchklingen lässt.

Ende Juli 1965 endete dieser Briefwechsel, den Andrea von Wiedebach – wie die gelernte Orthopädistin und Lehrerin für Sehbehinderte heute heißt – nun einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Versehen mit einem Rückblick, in dem sie mit von Einems Sohn, Caspar, diese Jahre nochmals Revue passieren lässt – nicht zuletzt in Hinblick auf von Einems während dieser Zeit komponierte Nestroy-Oper „Der Zerrissene“. Keine Frage, dass er sich darin mit der Figur des Herrn von Lips identifiziert, während sich in Kathi gleichermaßen Züge seiner früheren Frau, Lianne, wie seiner Nichte ausmachen lassen, wie die Lektüre dieses Briefbands bestätigt.

Schließlich ist dieser nicht nur ein Zeugnis über eine zur damaligen Zeit gegen die Konvention gebürstete mutige Beziehung, sondern dokumentiert auch wesentliche Stationen im Schaffen und Leben Gottfried von Einems. Darunter die schwierige Entstehung seines Violinkonzerts und die Querelen mit den Salzburger Festspielen, die schließlich zu seinem Ausscheiden aus dem Direktorium führten. ■

Gottfried von Einem

„Du und ich sind ein Einfall“

Briefe an Andrea. Hrsg. von Andrea von Wiedebach. 400 S., geb., € 25,60 (Zsolnay Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2014)

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