Die kreisenden Frauen des Archäologen

Allzu kunstfertig: Margriet de Moors sinnliches Kaleidoskop von Liebe und Leid.

Es wird viel gegangen im neuen Roman von Margriet de Moor, geschlendert, gewandert und gelaufen. Vor allem auch nachgelaufen, beim Versuch, sich die Liebe zu schnappen und festzuhalten. So sie nicht ohnehin schneller und wendiger ist und sich davonmacht. Margriet de Moor kennt sich da aus, das weiß man aus ihren 18Büchern. „Mélodie d'amour“ heißt ihr jüngster Roman, der einmal mehr das Geheimnis großer Gefühle und Leidenschaften umkreist, und dazu die Projektionen von überirdisch anmutenden Bestimmungen, die hart auf dem Boden der Wirklichkeit zerschellen.

Die Autorin setzt viermal an, immer in einer anderen Tonlage. So sind es dann vier in sich geschlossene, eigenständige Erzählungen, die sie zum Romanbündelt. Zusammengehalten werden sie von der Figur des Archäologen Luuk, dem man in allen Episoden begegnet: als Sohn, Ehemann und Geliebtem. Die Frauen kreisen um ihn, während er selbst eine blasse Erscheinung bleibt. Sein Beruf wird zum Programm – fast alle Hauptdarstellerinnen, die Margriet de Moor beschreibt, graben in ihrer Vergangenheit, um sich so auf die Spur zu kommen.

Da ist Atie, Luuks Mutter, die ihren Mann an der langen Leine lässt, bis er diese überspannt und grausam aus ihrem Leben geworfen wird. Schauplatzwechsel, ein paar Jahre später: Luuk ist verheiratet, als er eine Affäre beginnt, die obsessive Züge annimmt. Cindy verhakt sich in ihm und stellt ihm bis ins Krankhafte nach. Doch sie kann Luuk nicht halten, er fliegt weiter und landet bei Roselynde, die einfacher zu handhaben scheint. Sie gibt die pflegeleichte Geliebte ohne Ansprüche und Erwartungen. Doch eigentlich ist sie in der Liebe zu ihrem verstorbenen Bruder gefangen und steht so dem Glück im Weg.

Erotisch flirrende Wochen

Keine Zukunft also für sie und Luuk. Zuletzt tritt dann noch Myrte, Luuks mehrfach betrogene Ehefrau und Mutter seiner Kinder, vor den Vorhang, scheinbar gelassen und in sich ruhend. Auch sie hatte ihre heimlichen Liebschaften: Als junges Mädchen hat sie den schwer kranken Vater ihrer Freundin gepflegt und damit sich und ihm noch einige erotisch flirrende Wochen beschert, ehe er starb.

Kaum eine Spielart von Liebe und Leid, die Margriet de Moor nicht in ihr Buch packt. Auf diese Weise entsteht ein impressionistisches Kaleidoskop, sinnlich, fiebrig, manchmal rätselhaft. De Moors Novellen, Erzählungen und Romane, die Helga van Beuningen souverän aus dem Niederländischen übersetzt hat, waren immer schon hoch musikalische Texte, elegant gebaut und stimmig arrangiert.

Das spürt und hört man auch in diesem Band. Doch mit den Jahren hat sich Ermüdung eingeschlichen. Die Melodien kommen so kunstfertig daher, die Raffinesse ist so zielsicher eingesetzt, dass man ihnen zu misstrauen beginnt und aufbegehrt. Man wünscht sich den falschen Ton, den schrägen Akkord, einen Stilbruch, der das Gefüge stört. Doch diese Erwartung wird enttäuscht. Ab und zu taucht ein Satz oder eine Wendung auf, die ausscheren und darin wohl kalkuliert irritieren, doch dabei bleibt es.

Alles, was schmerzt, kränkt und grollt, hat es schwer, sich in diesem Roman wirklich zu Wort zu melden. Der wirkliche Stachel fehlt. Man vermisst ihn. ■

Margriet de Moor

Mélodie d'amour

Roman. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. 378 S., geb., € 22,60 (Hanser Verlag, München)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2014)

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