Nur pomadige Schmeicheleien

Die bedrückenden Erfahrungen einer jüdischen Heimkehrerin nach dem Krieg: „Donnerstags bei Kanakis“ – Elisabeth de Waals stimmungsvolles Dokument des Heimwehs aus dem Nachlass.

Die Gier nach Beute, die hierzulande ab dem 13. März 1938 viele raub-lüsterne Ostmärker erfasst hatte, blieb auch nach dem Ende des Dritten Reichs häufig aufrecht. Der Schutt wurde weggeräumt, die Schuld blieb liegen. Schlimmer noch: Sie wurde von den meisten gar nicht wahrgenommen. Ein kollektives Unrechtsbewusstsein wurde weder gefordert noch gefördert. Im Gegenteil, die Opferrolle, die politisch als Grundlage für die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität aufrecht blieb, wurde von vielen auch privat okkupiert.

So blieben aus jüdischem Eigentum geraubte Güter und Kunstschätze meist im Besitz der Täter. Gegen deren Rückerstattung wurde in Amtsstuben und Anwaltskanzleien eifrig gemauert. Bis heute, fast sieben Jahrzehnte nach Kriegsende, hält das schäbige Zaudern und Zerren an verheimlichtem Raubgut an.

Die 1991 in England gestorbene Wienerin Elisabeth de Waal hat nach 1945 solch niederdrückende Erfahrungen in ihrer Heimatstadt erleiden müssen. Sie studierte Philosophie, Jus und Ökonomie, lebte in Paris, der Schweiz und schließlich in England. Als älteste Tochter der berühmten jüdischen Bankiersfamilie Ephrussi hat es die 1938 vertriebene Juristin quälend viel Mühe und Not gekostet, wenigstens das geraubte Palais am Schottenring zurückzuerhalten.

Ihr 1964 in Nottingham geborener Enkel Edmund de Waal hat 2012 in seinem viel beachteten Roman „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ die skandalöse Hinhaltetaktik der heimischen Behörden im Restitutionsfall seiner Familie beschrieben. Er hat auch berichtet, wie weit unter Wert das Palais in der Besatzungszeit von der verarmten Familie verkauft werden musste.

Aus dem Nachlass seiner Großmutter hat der als Professor für Keramik an der University of Westminster tätige Edmund de Waal vor einem Jahr das englisch verfasste Roman-Typoskript „The Exiles Return“ dem Druck übergeben, das nun, von Brigitte Hilzensauer behutsam übersetzt, unter dem Titel „Donnerstags bei Kanakis“ auch auf Deutsch erschienen ist.

Darin schickt die Erzählerin den jüdischen Wissenschaftler Kuno Adler Anfang der1950er-Jahre aus der amerikanischen Emigration zurück in die Heimat, um die ihm zustehende Wiederanstellung an der Wiener Universität zu fordern. Die Behörden ergehen sich in pomadigen Schmeicheleien, favorisieren in der Sache jedoch die alteingesessenen Nazi-Seilschaften und speisen den Heimkehrer mit einer untergeordneten Forscherstelle ab. Als Chef seines Instituts wird ihm ausgerechnet ein Mann vorgesetzt, der einst in Konzentrationslagern medizinische Experimente an Menschen vorgenommen hat – an „biologischem Material“, wie sich der Vivisekteur auszudrücken beliebt. Von österreichischen Gerichten war er post bellum von jeder Schuld freigesprochen worden.

Noch lange nach dem Krieg war diese Verwahrlosung der Sitten spürbar, die im Roman zudem mit betrügerischen Immo-bilienmaklern und Antiquitätenhändlern illustriert wird. Die bedrückenden Erfahrungen einer unwillkommenen Heimkehr, die sie selbst kennengelernt hatte, weiß die Autorin im Rahmen der von ihr gewählten traditionellen Erzählform stimmungsvoll, in fühlbarer atmosphärischer Dichte wiederzugeben. Dieser Teil des Romans ist mehr als eine Retrospektive: Es ist ein Manifest wider die Gleichgültigkeit und Verdrängung, ein beeindruckender Appell an das Erinnern. Und es ist ein Dokument des Heimwehs, das die Autorin in behutsamen Stadt- und Landschaftsschilderungen spürbar werden lässt.

Das Buch enthält indes noch zwei weitere Handlungsstränge, die sich nur sehr heterogen in das scharf gezeichnete Wiener Sittenbild der 1950er-Jahre einfügen. Denn da gibt es auch einen in Amerika zu Reichtum gelangten griechischstämmigen Bankier namens Theophil Kanakis, der donnerstags in seinem neu erworbenen Hinterhof-Palais junge Künstler und verarmte Adelige empfängt und sich so amüsieren will, „wie man sich nur in Wien amüsieren kann“.

Und da gibt es die 18-jährige Marie-Therese, Tochter einer emigrierten österreichischen Aristokratin, die zu ihren bodenständigen Verwandten auf den tief naturgrünen Landsitz entsandt und dort in eine tragische Liebesgeschichte verstrickt wird, die stilistischstreckenweise wie in Zuckerwasser ertränkt wirkt. Diese Kapitel hinken ästhetisch so schwer hinter der Hauptgeschichte desHeimkehrers Kuno Adler her, dass sie nirgends zu deren zeitgeschichtlicher Anschaulichkeit aufzuschließen vermögen. ■

Elisabeth de Waal

Donnerstags bei Kanakis

Roman. Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Mit einem Vorwort von Edmund de Waal und einem Nachwort von Sigrid Löffler. 336 S., geb., €20,50 (Zsolnay Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.