Ein Hund namens Mensch

Über viele Jahre stand Peter Strasser in der „Presse“ für das „Prinzip Vollmops“. Nun liegt ein bearbeitetes „Best of“ seiner möpsischen Glossen in Buchform vor. Über Austromops und Vollbuddha.

Es muss einmal gesagt werden, lieber Strasser Pauli, namhaft gemachter, titulierter und mützenverliehener Austrobuddha (wenngleich auch nur von deinem Rudelführer, dem Herrn Professor), was wir alle durch Denken oder auch durch das positivistische Nichtdenken, also das durch Denken inhaltslose Nichtwissen, oder auchumgekehrt durch das Nichterkennen der Inhalte der Inhaltslosigkeit bemühte Falschdenken übersehen haben – wenn man den doch anzweifelbaren philosophischen Anekdoten des Doxografen Diogenes Laertius (3. Jahrhundert) über Diogenes von Sinope glauben will.

Zuerst aber, Pauli, treuer Freund deines philosophischen Nährvaters, lebst du bei deiner Sacher-Würferl-Diät tatsächlich immer noch? Frag doch einmal nach einem Sacher-Masoch-Würferl, mit Schlag natürlich! Was sollen sich bloß deine Verwandten, der Sauhund etwa oder der Hatzrüde und der Bärenbeißer, denken, wenn du dich stets zum Pinkeln auf den Arm nehmen lässt?! Vom Herrn Professor noch dazu! Wir sind da plötzlich in eine wilde Art von Kynismus geraten, wobei wir erst später erfragen werden, ob Peter Strasser ein Zyniker ist oder doch ein liebevoll positiv denkender, ein wenig „altgvatterische“ Traditionen (auch des Sinnens) hochhaltender und zugleich der Neuzeit zumodelnder Wissenschaftler ist.

Es ist klar und auch logisch, dass Peter Strasser sich eine vollmöpsige vierbeinige Süßigkeiten-Vernichtungs-Apparatur halten wollte (musste – eigentlich), denn ein jeder, der etwas auf sich als Philosoph hält und hielt, „trägt Hund“: Diogenes war so einer, Platon sagte: „Ein Hund hat die Seele eines Philosophen“, Rousseau rief seinen Hund „Sultan“, Schopenhauer hatte einen Pudel (jaja, ich weiß: Goethe auch und Faust auch) namens „Atman“, den er immer, wenn er ihn ärgerte, zur Strafe nur mehr „Mensch!“ rief. Es gibt auch Bücher, alte und junge, die über Philosophenhunde berichten: Michel Onfray etwa, der in „Der Philosoph als Hund“ vom Ursprung des subversiven Denkens bei den Kynikern berichtet, oder Raimond Gaita mit seinem Roman „Der Hund des Philosophen“.

Loriot sagte mehrmals: „Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos.“ Goya malte einen Mops zu Füßen der Marquesa de Pontejos, Joséphine de Beauharnais' Mops hieß „Fortune“, William Hogarth bevorzugte als Vorbilder Möpse, die er „Rosenohr“ nannte; Ernst Jandl meinte, dass einen Mann an einem Mops besonders der erstrebenswerte Dual „Möpse“ aufrichte? Und irgendwer (Peter Strasser würde vermutlich hier wieder Meister Eckhart vorschieben) sagte einmal: „Möpse sind die Philosophen unter den Hunden, sie blicken ein wenig sorgenvoll, aber auch mit viel Humor in die Welt.“

Peter Strasser war schon vor 40 Jahren am Leben, damals noch jünger als jetzt. Er fiel in den Runden seiner Mitstudenten schon damals (die 68er waren, soferne sie überhaupt jemals in Graz waren, gerade vergangen und 70er geworden) durch gehörigen Mutterwitz auf, durch scharfes Denken, als Gegen-alle-über-30-Kämpfer, exzellenter Diskutant und als vollendeter Durchdenker alles Unmöglichen. Es war erwartbar, dass er sich mit seinem Lehrer und geistigen Mentor Topitsch irgendwann in der ursprünglich gemeinsamen Denkungsweise uneins werden würde, weil Topitsch ein eher starrer Anhänger des Kritischen Rationalismus à la Karl Popper war, Strasser hingegen den Spagat versuchte, eine Versöhnung der Positionen von Popper und der Negativen Dialektik eines Adorno hinzukriegen (zum Glück für die Philosophie stieß Peter Strasser, der sprachlich Feinziselierende, nicht auch noch in Wien auf den wissenschaftlichen Methusalem Gabriel!). Peter Strasser konstruiert in seinen beiden neuen Büchern „Immer wieder dasselbe und am besten nichts Neues“ und „Kümmre dich um deine Angelegenheiten!“ eine sehr oft aus religiösen, sozialen Traditionen kommende Neuinterpretation, Neuexegese, Neuformulierung des menschlichen Zusammenlebens – der Communitas eben. Es geht ihm dabei nicht darum, ein neues Weltbild zu entwickeln, ein neues Dogma des Lebens zu entwerfen oder neue soziale oder intellektuelle Maximen zu postulieren. Nein: Strasser möchte, dass aus dem Bestehenden, aus dem Vorhandenen und aus dem Vergessenen durch „fühlendes Denken“ das Wertvolle (ja: auch die Wesens- und Wirkungsform etwa des Heiligen Geistes) herausgefiltert, purifiziert und neu in unser Lebensbild eingebracht wird.

Gerfried Sperl (auch ein Grazer 68er) missversteht, scheint mir, Strassers Hoffen auf eine Symbiose aus gewerteter Tradition, aus Erleben des Gegenwärtigen und aus erwünschter (geplanter?, geht das?) Hoffnung für die Zukunft. Es geht nicht darum, den pointiert-provokativen Satz Strassers der „Vermopsung“ der Menschheit dahin zu interpretieren, dass die Menschheit sich in eine Hunderasse verwandeln werde (oder solle). Das „Prinzip Vollmops“ (Pauli verzeih!) steht für aufgeblähte Bäuche und leere Hirne, für geistige Anämie bei gleichzeitiger Charity-Hypertonie, für Behaglichkeit, Getragenwerden, Des-Lebens-Süßigkeiten-Erleben imGlauben daran, dass durch das ferngesehene Beobachten und gesellschaftsfähige Erschüttern schon „den Leidenden und Armen“ Hilfe genug gespendet wurde.

Strasser ist in seinen Aussprüchen und Ansprüchen ein wenig Leopold Khor gleich –auch wenn dieser seinen Theorien keine rein philosophische Grundlage angedeihen ließ. Bemerkenswert an beiden ist jedoch die Anbindung an Verhaltens- und Denktraditionen, an den Glauben, dass auch in früher Getanem und in früher Gedachtem Wertvolles für zukünftiges Verhalten, Denken, Glauben, Tun und Denken liegt.

Die beiden genannten Bücher von Peter Strasser sind weder philosophisches Handbuch noch eine reine Sammlung von Essays geworden. Einmal in spitzfindig pointierter, kurzweiliger Art mit manchmal beinahe literarischen Schmankerl-Geschichten über das Sein der Österreicher und ihrer Gesellschaft, das andere Mal ein zu vertiefter Sachkenntnis der Seelenkunde führender Wegweiser in typisch trockenem, hintergründigem Strasser-Wort- und -Hinterfragungswitz.

Zum Schluss noch einmal, Pauli: Denk einmal nach, ob auch die Lipizzaner (immerhin Artverwandte der Hunde) Sacherwürferln kriegen! Ich glaub, die müssen eher den Gürtler enger schnallen, um fit zu sein? ■

Peter Strasser

Immer wieder dasselbe und am besten nichts Neues
Die Weisheit des Austrobuddhismus. 168S., brosch., €14,90 (Braumüller
Verlag, Wien)

Peter Strasser

Kümmre dich um deine Angelegenheiten!

Über die Selbstsorge. 152S., brosch., €20,50 (Fink Verlag, Paderborn)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2014)

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