Bleistifte der Härte zwei

Düstere Bösewichte, lächer-liche Tyrannen, scheinheilige Kirchenmänner, herrschsüch-tige Damen, alternde Dichterfürsten: Die Welt des Paul Flora beherrschen Menschen, Raben und andere Tiere. Zu seinem 85.Geburtstag schenkt ihm sein Verlag ein Buch.

Vom höchsten Wesen hat jeder Mensch seine eigene Vorstellung, Marion Gräfin Dönhoff aber eine besondere. Die Gräfin meinte einmal über Paul Flora, er wirke „nie böse aggressiv, immer liebevoll spöttisch“ und er stehe „immer augenzwinkernd und ein wenig amüsiert außerhalb – so ein bisschen wie der liebe Gott“.

Eine andere Gräfin, Felizitas von Schönborn, hat nun nach Gesprächen mit dem berühmten Zeichner, der am 29.Juni sei-nen 85.Geburtstag feiert, eine Biografie „aufgeschrieben“, aus der nicht nur ein weiser Mann heraus blickt, sondern ebenso ein tiefgründiger Schalk und ungewöhnlicher Zeitgenosse, nämlich der Herrscher über ein fantastisches, mit Feder und Tusche geschaffenes Reich, in dem sich düstere Bösewichte, lächerliche Tyrannen, scheinheilige Kirchenmänner, herrschsüchtige Damen, Harlekine, venezianische Masken, alternde Dichterfürsten an der Hand von Musen und viele, viele Raben tummeln, „Menschen und andere Tiere“, die sich mit feinen und von sanfter Tücke gelenkten Strichen in „Floras Fauna“ stellen lassen.

Der Rabe ist zu Floras Wappentier geworden, was bald einer weiß. Vieles andere wird man aus dieser Biografie erfahren, deren Titel ein typischer Spruch des Meisters ist, wenn er ins Erzählen gerät: „Wie's halt so kommt“. Beispielsweise wird man lesen, dass der Innsbrucker Alpenzoo einmal ein Rabenpaar erworben und dann Namen für Männchen und Weibchen gesucht hat. 95 Prozent aller Stimmen – der ORF hatte zu einer Abstimmung aufgerufen – lauteten auf Paul für den Raben und Flora für seine Artgenossin.

Die wichtigsten Daten aus der Schönbornschen Biografie über diesen „Rabenvater“ sind schnell aufgezählt: Am Peter-und-Paul-Tag vor 85 Jahren in eine Südtiroler Ärztefamilie geboren, übersiedelte er im Alter von fünf Jahren aus Glurns, der kleinsten Stadt Italiens, nach Innsbruck, das für immer seine Heimat werden sollte. Paul Peter Flora ist in zweiter Ehe mit Ursula Flora-Ganahl verheiratet, Vater dreier Kinder, mehrfacher Großvater, und es ist ihm lieb, „wenn Gesellschaften aus nicht mehr als sechs Personen bestehen“.

Große Pläne habe er, wie seine ehrgeizigen Weggenossen, nie geschmiedet: „Ich habe mich nie um etwas bemüht und doch ist mir fast alles gelungen.“ In seiner „Zeichnerei“, wie er seine Werkstatt nennt, wo gutes Zeichenpapier, filigrane Stahlfedern, Bleistifte der Härte zwei und Farbstifte warten, sei er aber täglich anzutreffen, zumal Transpiration entscheidender sei als Inspiration. Trotzdem meint er, bliebe er lieber bürgerlich, wenn Arbeit tatsächlich adeln sollte. Erste und nachhaltige Berühmtheit erlangte er durch seine 14-jährige Mitarbeit bei der „Zeit“, für die er zwischen 1957 und 1971 3500 Karikaturen zeichnete, wofür ihm das Große Deutsche Bundesverdienstkreuz verliehen wurde, das nicht die einzige Auszeichnung blieb. Flora ist Ehrenlokführer der Zillertalbahn, österreichischer Professor, zweifacher Ehrenbürger und noch viel mehr. Am meisten zeichnet ihn aber, meine ich, seine souveräne und sympathische Ehefrau Ursula aus.

Die Biografie liest sich wie ein lebendiges Panoptikum der österreichischen Kultur- und Zeitgeschichte, gezeichnet mit feinsten und leicht stichelnden Flora-Strichen. Es entsteht der Eindruck, er sei mit Riesen befreundet gewesen. Die Feinde werden wohlweislich ausgespart. Es kann aber durchaus sein, dass dieser Mensch keine hat, da „ihm Selbstschutzanlagen der unsicheren Talente, Neid und Ressentiment, gänzlich“ fehlen, was das Zusammenleben von Künstlern wesentlich erleichtert.

„Wie's halt so kommt“, treten der Reihe nach Alfred Kubin, Oskar Werner, Ludwig von Ficker, Thomas Bernhard, Herbert Rosendorfer und Ingeborg Bachmann auf, später Claus Gatterer, Arthur Koestler, Fritz Wotruba, Oswald Oberhuber, Gregor von Rezzori, Wolfgang Hildesheimer, natürlich der Diogenes-Verleger Daniel Keel, dessen „dienstältester Autor“ er ist, und Loriot. Nicht zu vergessen der ehemalige „Presse“-Chefredakteur Milan Dubrovic, Oskar Kokoschka, Friedrich Dürrenmatt, Friedrich Torberg und die „Wildsau von Meran“. Und mit Kurt Moldovan hat ihn überhaupt „eine lange und ungetrübte Freundschaft“ verbunden. Eine besondere Freundschaft hält er seit Jahrzehnten mit Wolfgang Pfaundler.

Es gehen einem in den Anekdoten und „Tatsachenberichten“ dennoch einige ganz besondere Freunde ab, Leonhard Paulmichl oder Alois Hotschnig, um nur zwei zu nennen, was wohl darin begründet ist, dass die Zeit ab den Neunzigerjahren weniger dicht erzählt wird.

Viel berichtet Paul Flora über die Kriegszeit, die er als Soldat erst ab Februar 1944 miterleben musste, „als der totale Krieg auch auf mich angewiesen“ war. Seine „martialische Epik“ ist eher amüsiert denn traumatisiert, hat er doch den ganzen Krieg lang lediglich eine wild gewordene Kuh erschießen müssen und sonst kein Lebe-
wesen, „ohne je einen Feind belästigt zu
haben oder von ihm belästigt worden zu sein“. Nach dem Krieg war Flora kurz Beamter der Tiroler Landesregierung, und zwar im „Büro für Nichtzuständigkeiten“, sonst immer wieder Mitglied von Gremien zur Kollegenprämierung, in denen er gesehen habe, wie man auf dem österreichischen Weg zu einem Stipendium oder Preis komme. Besonders peinlich sei es, wenn die Ehefrau eines Jurymitglieds mit Barem geehrt werde.

Paul Flora, der tiefverwurzelte Tiroler mit großer Liebe zur Landschaft Südtirols, ist Bilderschriftsteller sowie Dichter, und sagt in seiner bescheidenen Art über sich: „Ich bin kein großer Denker, ich habe nur einen guten Instinkt, das ist alles.“ Und Du hast ein großes Herz, lieber Paul! Alles Gute zu Deinem Geburtstag! ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.