Gebären für die Nation

Arbeiterinnen in Österreich verdienen im Durchschnitt 18.700 Euro, Arbeiter dagegen 27.632. Gibt es also ein Problem? Ja, meinen Sibylle Hamann und Eva Linsinger – in ihrem „Weißbuch Frauen / Schwarzbuch Männer“.

Eine skurrile Titel-Geschichte: Im Herbst 2007 erschien bei Pendo „Das Schwarzbuch zur Lage der Frauen. Eine Bestandsaufnahme“, nun bringt der Deuticke Verlag in seinem Frühjahrsprogramm ein „Weißbuch Frauen / Schwarzbuch Männer“ heraus.

Zunächst zu Ersterem, in der Folge kurz „Schwarzbuch“ genannt: Ausgangspunkt ist das 1979 von den Vereinten Nationen getroffene Übereinkommen „zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ (abgekürzt Cedaw), worin die schlichte Idee verankert wurde, dass Grund- und Menschenrechte explizit und weltweit auch Frauen zugestanden werden sollen. In einer zweijährigen Studie identifizierten die beiden französischen Topjournalistinnen Christine Ockrent und Sandrine Treiner die wesentlichsten Themen, mit denen die Cedaw-Kommission zur Überwachung der Einhaltung der Konvention seither befasst war, und wählten knapp 40 Autorinnen aus aller Welt aus, die dazu Beiträge verfassten. Entsprechend groß ist die Vielfalt der Themen, nicht selten geht es um Leben und Tod.

In Mittelamerika wurden in den vergangenen Jahren so viele Frauen ermordet, dass man dafür einen eigenen Begriff erfunden hat: Femizid. In weiten Teilen Asiens haben selektive Abtreibungen und hohe Sterblichkeitsraten bei Mädchen und Frauen (zurückzuführen auf Vernachlässigung bei Ernährung und medizinischer Versorgung, aber auch auf Morde, etwa den berüchtigten „Sari-Brand“, wenn Inderinnen angezündet werden, weil ihre Mitgift als zu gering erachtet wird) zu einem erheblichen demoskopischen Ungleichgewicht geführt.

Von Afghanistan bis Palästina, von Ban- gladesch bis Jordanien und bis in die USA und nach Europa zieht sich die Spur der „Ehrverbrechen“ an muslimischen Frauen und Mädchen, die von ihren eigenen Angehörigen ermordet werden, weil sie eine arrangierte Ehe nicht eingehen wollen, mit Männern geflirtet haben oder sich haben „vergewaltigen lassen“ (was im Übrigen weder rechtsnationale Politikerinnen berechtigt, sich zum Zweck der Ausländerhetze als Frauenrechtlerinnen zu gerieren, noch linke Intellektuelle, den Kampf für Frauenrechte mit den Machenschaften solcher Politikerinnen in einen Topf zu werfen).

Von Vergewaltigungen als Kriegswaffe, Gewalttaten der UN-Eingreiftruppen, Sextourismus und Frauenhandel bis hin zu Gender Mainstreaming und Medienrepräsentation in Europa reicht die Bandbreite der Themen des Buches, das auch einen aufschlussreichen historischen Überblick über das Frauenwahlrecht enthält (so gewährte Neuseeland 1893 als erstes Land der Welt allen Frauen, einschließlich Maori-Frauen, das Wahlrecht, wohingegen Frauen – wie Männer – afroamerikanischer Abstammung in den USA bis 1965 warten mussten).

Auch im österreichischen „Weißbuch Frauen / Schwarzbuch Männer“ (in der Folge: „Weißbuch“) sind zwei renommierte Journalistinnen am Werk, Sibylle Hamann und Eva Linsinger, die jedoch als Autorinnen, nicht Herausgeberinnen figurieren und sich in ihrer Analyse auf Österreich und Deutschland beschränken. Ausgangshypothese: „Die Idee der Gleichberechtigung der Geschlechter ist eigentlich ganz einfach. Frauen erobern die Hälfte der bezahlten Arbeit, der Produktion. Und geben dafür die Hälfte der unbezahlten Arbeit, der Reproduktion, an die Männer ab. Es war ein guter Plan, doch nicht einmal die Hälfte davon ist bisher geglückt.“

Zum Bereich „Produktion“, also der Berufswelt, fördern die Autorinnen eine Fülle aktueller Daten zutage, die größtenteils bereits in den Medien thematisiert wurden, aber dennoch immer wieder verblüffen. Im Gegensatz zur „gefühlten“ Chancengleichheit scheinen sich einige Anachronismen doch recht hartnäckig zu halten, etwa ungleiche Bezahlung für gleiche Arbeit: „Deutschland und Österreich landen im hinteren Drittel der EU-Staaten, wenn die Brutto-Stundenlöhne zwischen Frauen und Männern verglichen werden.“ Konkret für Österreich: Vollzeitbeschäftigte Arbeiterinnen verdienen durchschnittlich 18.700, Arbeiter hingegen 27.632 Euro, weibliche Angestellte 27.651, männliche 42.497, bis hin zu den Rechtsanwälten, die um 77 Prozent mehr verdienen als Rechtsanwältinnen. Detailliert analysieren die Autorinnen auch
die unterschiedliche Bewertung klassischer „Frauen-“ beziehungsweise „Männerberufe“ und wie sich diese in der Bezahlung niederschlägt: „Männer arbeiten mit Dingen, Frauen mit Menschen“, Ersteres wird erheblich besser entlohnt. (Zwischenfrage: Nach Jahrzehnten redlicher Bemühungen, Mädchen den Duft von Motoröl schmackhaft zu machen, scheinen sich immer noch viele mehr für Hairstyles als für Getriebeteile zu interessieren, sprich, sie wollen Friseurin werden und nicht Automechanikerin. Könnte man das nicht vorläufig einfach akzeptieren und vielmehr die Löhne und Lehrlingsentschädigungen angleichen? Schwingt nicht auch in den Bestrebungen, die Mädchen „umzuinteressieren“, die Grundannahme mit, dass sie selber schuld sind, wenn ihnen nicht etwas „Ordentliches“, also ein klassischer Männerjob Spaß macht?)

3,60 Euro für eine Pflegestunde

Wie skandalös das Ganze ist, zeigt sich besonders in jenen Bereichen der Arbeit, von denen man sich offenbar nach wie vor erwartet, dass sie gratis erbracht werden sollten: „Das Pflegegeld für einen bettlägrigen Angehörigen basiert in Österreich auf einem Richtsatz von drei bis 3,60 Euro pro Betreuungsstunde.“ Ungeachtet dessen, dass ein Platz im Pflegeheim für denselben Bettlägrigen die Solidargemeinschaft das Vielfache einer anständigen Bezahlung der betreuenden Angehörigen kosten würde. An diesem Beispiel sieht man, dass nicht „Vernunft“ und nicht einmal „Wirtschaftlichkeit“ die Kriterien sind, die hier zur Anwendung kommen. Es seien daher Zweifel angebracht, ob die optimistischen Appelle der Autorinnen – „Die gleichberechtigte Teilnahme der Frauen auf dem Arbeitsmarkt ist ein Gebot rationaler Effizienz“ – so ohne Weiteres fruchten.

Das Argument, man könne es sich nicht leisten, auf das intellektuelle Potenzial der Hälfte der Bevölkerung zu verzichten, hätte schließlich in den vergangenen Jahrhunderten auch schon gelten können, stattdessen hat man etwa im Feudalismus ganz hervorragend damit gelebt, auf das intellektuelle Potenzial von weitaus mehr als der Hälfte der Bevölkerung zu verzichten – sofern man sich auf der richtigen Seite befand. Auf heute umgelegt: Kein Mensch gibt freiwillig einen gutdotierten Aufsichtsratsposten ab, nur weil es gut für die Wirtschaft, die Gesellschaft oder andere Altruismen ist.

Zu den Themen, die in beiden Büchern angesprochen werden, gehört der Umstand, dass für die „Versorgungslücke“ durch die Berufstätigkeit westeuropäischer Frauen der Einsatz von Migrantinnen als Billigarbeitskräfte zur individuellen Standard-Notlösung geworden ist, wodurch die Hausarbeit unhinterfragt in Frauenhänden bleibt. Dazu ist zu sagen, dass dies auch für die klassisch „männlichen“ Tätigkeiten im Haushalt gilt: Das Schleppen schwerer Gegenstände, Reparaturen und handwerkliche Tätigkeiten werden vom heimischen Businessman ja auch nur mehr selten selbst erledigt, sondern schwarzarbeitenden Polen, Moldawiern und so weiter übertragen. Das verweist auf ein Dilemma, das über die Geschlechterproblematik hinausgeht: Unsere Haushalte profitieren von der wirtschaftlich schlechten Situation in anderen Ländern, sind nicht selten sogar auf sie angewiesen. Wer würde die delegierten Arbeiten übernehmen, sobald der Lebensstandard in den betreffenden Ländern dem unseren angeglichen wäre? Schon jetzt zeigen sich „globale Betreuungsketten“, etwa wo „Ukrainerinnen die Kinder der Polinnen betreuen, die selber als Kindermädchen für Schweizer oder deutsche Familien dienen“ (Schwarzbuch). Und welche ethisch einwandfreien Lösungen bieten sich eigentlich jenen westeuropäischen Eltern, denen schmerzhaft bewusst ist, dass ihrer beider Berufstätigkeit nur durch den Einsatz einer bosnischen Putzfrau, eines weißrussischen Kindermädchens und einer slowakischen Altenpflegerin ermöglicht wird?

Wozu wir Kinder überhaupt brauchen, ist in der allgemeinen Debatte zurzeit ziemlich klar: zur Sicherung der Pensionen, zum Erhalt des Gesundheitssystems und so weiter. Auch die Autorinnen des Weißbuchs verweisen in dem Kapitel „Gebären für die Nation“ auf das Vorbild Frankreich: „Der Code de la Famille“ begründete 1939 die erste moderne pronatalistische Bevölkerungspolitik. Deren zentrale Regel ist einfach: je mehr kleine Franzosen und Französinnen, desto besser.“ Die Grundlagen für den Code wurden bereits in den frühen Zwanzigerjahren gelegt: Nach dem Ersten Weltkrieg mussten alle Kriegsparteien feststellen, dass es galt, Millionen von Gefallenen „nachzuproduzieren“. So lobenswert es ist, wenn sich der Staat für seine jüngsten Bürger einsetzt, sollte man sich doch auch fragen, wieweit die Forderung, Kinder „zum Erhalt des Pensionssystems“ zu gebären, von der nach „Soldaten für das Vaterland“ eigentlich entfernt ist. In beiden Fällen wird der Wert des Menschen auf utilitaristischen Output reduziert. Kinder als wandelnde kleine Sparkassen anzusehen, die man später einmal knacken kann, ist auch ganz schön menschenverachtend.

In der Frage, wann staatliche Kinderbetreuung einzusetzen hat, regieren derzeit die Extreme: Während es in Teilen Österreichs noch nicht einmal Kindergärten für Fünfjährige gibt, die über Mittag offenhalten, dräut über uns schon das deutsche Beispiel von überhaupt nur mehr zwölf Monaten Karenz plus zwei Vätermonaten (was eine klare Benachteiligung der Kinder von Alleinerzieherinnen und somit Neuauflage der Diskriminierung von „ledigen“ Kindern darstellt: Die Kinder von Frauen, die sich keinen Mann „gesichert“ haben, haben eben Pech). Während man es Pandabärchen Fu Long und seiner Mama feinfühligerweise selbst überlässt, wann sie den geeigneten Zeitpunkt für das Verlassen der Wurfbox für gekommen halten, sollen Menschenkinder einheitlich und immer früher in die Öffentlichkeit expediert werden (Island: insgesamt neun Monate Karenz für beide Elternteile). Es lohnte, dazu die Erfahrungen der frühen Kibbuz-Bewegung nachzulesen, wo man das Experiment der „Frauenbefreiung“ durch früheste Kollektivierung der Kindererziehung ja bereits einmal durchgespielt hat: Aus den Leidensgeschichten der damaligen Kinder (und Mütter!) könnte man durchaus seine Lehren ziehen.

Das Problem häuslicher Gewalt

Wie im deutsch-österreichischen Diskurs üblich, wird auch Schweden im Weißbuch als rosarotes Paradies vorgeführt (wofür interessanterweise ausschließlich schwedische Männer als Zeugen aufgerufen werden) – dazu nachzulesen im Schwarzbuch wäre ein Artikel, der der Vorstellung von Schweden als idyllischer „Ausnahme“ widerspricht: „Ein großes Problem ist häusliche Gewalt, sie kommt in Schweden genauso häufig vor wie im übrigen Europa.“ Leider gibt es Fälle, in denen der Auftrag an die Frauen, sie mögen sich doch bei den häuslichen Aufgaben auf die Männer verlassen, reichlich zynisch klingt. Und falls es irgendwelche Zweifel über die Verhältnismäßigkeiten bei Gewaltdelikten gibt, hier noch eine Zahl aus dem Schwarzbuch: „Der Frauenanteil in deutschen Gefängnissen betrug 2005 rund fünf Prozent.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2008)

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