Paranoia light

Sie sind der Stoff, aus dem die Quoten sind: die Geheimbünde. Sie setzen Verschwörungen voraus und umgekehrt. Gisela Graichens und Alexander Hesses Anthologie versammelt Wissenswertes über die Gesellschaften im Dunklen – vom alten Ägypten bis in die Gegenwart.

Paranoia light macht Quote. Das spricht sich herum, und deshalb ist das Logo des ZDF auf den Umschlag des neuesten Buchs über Geheimbünde gerutscht. Im Untertitel bitten Freimaurer und Illuminaten, Opus Dei und Schwarze Hand um Aufmerksamkeit – Kraut und Rüben durcheinander, zusammengebunden lediglich durch ein Reizwort.

Das Opus Dei wirkt als Machtfaktor im heutigen Vatikan, die fünf Millionen Freimaurer sind weltweit immer noch respektabel, auch wenn sie ihre beste Zeit hinter sich haben. Illuminaten und Schwarze Hand dagegen finden ein Plätzchen hauptsächlich in den Bestsellern von Dan Brown.

Das Stichwort zu all dem Unsinn: Verschwörungstheorien. Wenn sich Eingeweihte gegen den Rest der Welt abgrenzen, erzeugen sie in den Unwissenden ein Paranoid, hat der Sozialwissenschaftler Leon Festinger herausgefunden. Das kann böse enden, wie die Zerschlagung des Templerordens im Hochmittelalter (Kapitel8), kann aber auch Unterhaltungswert transportieren, wie der Marsch der Rosenkreuzer durch die ganze Neuzeit bis ins Internet (Kapitel7).

Gespenstisch ist die Lektüre allerdings bereits im sechsten Kapitel geworden, in dem der Reichsführer SS Heinrich Himmler enttarnt wird. Streng katholisch erzogen, war der diplomierte Landwirt nach der Machtergreifung Hitlers rasch zum führenden Geheimpolizisten mutiert, der sich als Ordensgründer verstand. Über seinen Schreibtisch gingen die Weisungen über den Betrieb der sogenannten Konzentrationslager. Was in ihnen verbrochen wurde, unterlag höchster Verschwiegenheitspflicht.

Als die Rote Armee im März 1945 das Schloss Schlesiersee eroberte, schreibt der Autor des Kapitels6, traf sie auf eine surreale Szenerie. Der riesige Hof der Residenz war mit Papieren übersät, überall brannten Haufen von Dokumenten, den Beständen des Sonderarchivs Himmlers, 140.000 Bände über Geheimbünde und Hexenverfolgungen.

20 Bände aus Himmlers Sonderarchiv gelangten nach Moskau, wurden 1957 an die DDR übergeben und können im Geheimen Staatsarchiv Berlin eingesehen werden, mit einer Ausnahme. BandX blieb in Moskau unter Verschluss, bis heute. Über den Inhalt kann lediglich spekuliert werden. Nicht einmal dem ZDF ist es geglückt, das letzte Geheimnis der Illuminaten zu lüften. In der ordinären Wirklichkeit sind die Illuminaten 1790 ausgestorben. Der Rest ist Paranoia, teils unterhaltsam, teils gespenstisch.

Die fünf Autorinnen und Autoren der Neuerscheinung über Geheimbünde unter der Patronanz des ZDF bemühen sich wacker, in Wahnfried zu bleiben, historisch seriös, mit Literaturverzeichnis und Fußnoten, schön bebildert. Sie schreiben, dass die Hochblüte der neuzeitlichen Geheimbündlerei ins 18.Jahrhundert fällt, dass die Freimaurer keine Kryptomanen waren, sondern fortschrittliche Könige, Minister, Komponisten, Schriftsteller, Künstler ohne sonderlichen Respekt vor der Klerisei.

Bleibt nur der Tropfen irrationalen Öls in der Mixtur des Zeitalters der Aufklärung. Geheimbünde setzen Verschwörungen voraus, und umgekehrt. So steht es in der Einleitung. Sie unterscheidet zwischen Sekten, Religionen, Geheimbünden und Serviceklubs wie den Rotariern, verweist aufs „Heute“ in den Zeiten der globalisierten Sinnkrise mit einem Hang zum Esoterischen, unter dem Motto: Genau hinschauen.

Der Forderung nach Einheit von Zeit, Ort und Handlung kommt am ehesten der Beitrag von Jürgen Sarnowsky über die Tempelritter des Hochmittelalters nach. Sie fallen insofern aus dem Rahmen, als sie mitnichten ein Geheimbund sein wollten.

Die Regeln der Templer mit hunderten Bestimmungen, schreibt Sarnowsky, enthielten keinerlei okkultes Wissen, sondern praktische Bestimmungen für das Alltagsleben. Kern der Ordenstruppen waren die schwer bewaffneten, in geschlossener Formation antretenden Ritter. Auf diesen Bereich konzentrierten sich die Regeln. Erforderlich war höchste Disziplin. Das Selbstverständnis der Templer speiste sich aus der Vorstellung, Kämpfer gegen die Feinde der Kirche zu sein. Zu Gralsrittern, fährt Sarnowsky fort, wurden die Templer erst in der Fantasie des Wolfram von Eschenbach („Parzival“ entstand vermutlich im ersten Jahrzehnt des 13.Jahrhunderts).

Und später der Richard Wagners, kunstreligiös eingestimmt als „unsäglich“ reiner Glaube. Angepatzt hingegen wurde die Aura der adligen Schwerthelden im Schauprozess gegen sie, angestrengt von der französischen Krone ab Oktober 1307. Die Vorwürfe (gleichgeschlechtlicher Verkehr, Urinieren auf das Kreuz, Hostienschändung) hat Sarnowsky im Arsenal der heiligen Inquisition geortet, deren Folterkeller der Wahrheitsfindung dienten. Die Hinrichtungen fanden öffentlich statt, durch Verbrennung auf Scheiterhaufen, vor den Augen des Hofs und der Pariser Bevölkerung.

Das historisch fassbare Nachleben des Ordens der Templer, schließt Sarnowsky, gestaltete sich weniger spektakulär. Auf Zypern, im Königreich Aragon und in Portugal wurden die Templer von den Johannitern aufgenommen, auch beim Deutschen Orden waren sie willkommen. Letzterer erlaubt einen Seitenblick auf dessen Eisernes Kreuz und auf Adolf Hitler, dem es im Ersten Weltkrieg verliehen wurde.

Erhellend wirkt, dass aus all den Aufblätterungen des Geheimbündlerischen vom alten Ägypten bis in die Gegenwart ein trübes Licht auf die Herren der Schöpfung fällt, wie von Klaus Theweleit beschrieben („Männerphantasien“, 1977). Der „Panzer gegen die Frau“ (Theweleit) erweist sich als hidden agenda einer Geisterbahn, die sonst nur verwirrend bliebe.

Das gilt auch für die „Propaganda Due“ (Kapitel3), die im gegenwärtigen Italien spielt, mit Silvio Berlusconi (Mitgliedsnummer 1816) in einer Nebenrolle. Den Logenbrüdern der P2 dient die Damenwelt allenfalls als Material für Herrenwitze. Ferner steht im Land der Mafiosi die Verschwiegenheitspflicht ganz oben auf der Liste der Tugenden sozialer Aufsteiger. Bis dato, ist im Kapitel3 zu lesen, zieht der Boss von P2 seine Fäden, existiert eine Mitgliederliste der Eingeweihten, unbehelligt von Staatsanwälten und sonstigen Ermittlern.

Und der Spion, der aus der Kälte kam, Edward Snowden sein Name, steht für den entscheidenden Link von den Geheimbünden zu den Nachrichtendiensten. Snowden könnte sich auf die Bibel berufen: Was Euch ins Ohr geflüstert wird, das verkündet von den Dächern (Matthäusevangelium 10,27).

Paranoia light? Die Doku zum Buch über Geheimbünde wurde am 5.Jänner 2014 vom ZDF gesendet. Ein Video ist erhältlich. Wer genau hinschaut, wird schnell erkennen, dass Paranoia allgegenwärtig ist. Für weitere Quotenhits ist gesorgt. ■

Gisela Graichen, Alexander Hesse

Geheimbünde

Freimaurer und Illuminaten, Opus Dei und Schwarze Hand. 384S., geb., €20,60 (Rowohlt Verlag, Reinbek)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2014)

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