Stümper gegen Versager

Am 25. Juli 1934 versuchten die Nazis, Österreich in Besitz zu nehmen. Die Ermordung des Kanzlers stand aber nicht auf der Agenda, so Kurt Bauer in seiner Untersuchung „Hitlers zweiter Putsch“. Dass Dollfuß bei der Aktion erschossen wurde, war nur eine von unzähligen Pannen.

Der Plan war denkbar einfach: das Bundeskanzleramt überfallen, die Regierung zum Rücktritt zwingen, den Rundfunk besetzen– nazitreue Truppenteile erledigen den Rest. Dollfuß und die Seinen wollte man „in allen Ehren kaltstellen“. Österreich sollte dieser Tage auch noch nicht angeschlossen, sondern gleichgeschaltet werden. Anton Rintelen, der ehemalige christlichsoziale Landeshauptmann der Steiermark und mehrmalige Minister, war als Kanzler von Hitlers Gnaden vorgesehen. Die zentrale Figur der Aktion war der ehrgeizige Rudolf Weydenhammer, ein führender Industrieller aus München, wohnhaft am Starnberger See und auch nach 1945 eine beachtliche Nummer. „Befehlsgemäß“ wollte er den Putsch leiten, fuhr am 23.Juli nach Wien, um die letzten Vorbereitungen der dafür vorgesehenen SS-Standarte 89 selbst zu überwachen.

Der Staatsstreich selbst stand aber unter keinem guten Stern. Zuerst wurde die Ministerratssitzung vom 24. auf den 25.Juli verschoben, und dann folgte eine Panne der nächsten. Noch am 24.Juli wurde der Plan von Johann Dobler, einem involvierten Polizisten und NSDAP-Mitglied, verraten, wohl, weil er kalte Füße bekommen hatte. Anderntags passierte, wie Kurt Bauer schreibt, gar Folgendes: „Der militärische Leiter Fridolin Glass, der vor Ort im Bundeskanzleramt die Befehle geben sollte, versäumte die Abfahrt der Kolonne. Die Putschisten waren, als sie das Kanzleramt besetzten, führerlos.“

Dass unter solchen Voraussetzungen überhaupt das Kanzleramt besetzt werden konnte, der Staatsstreich also nicht schon im Vorfeld verunglückte oder verhindert wurde, ist darauf zurückzuführen, dass die austrofaschistische Staatsmacht sich noch dümmer als die Nazi-Terroristen anstellte. So waren die Versager letztlich den Stümpern unterlegen. Nicht einmal die massiven Eingangstore des Bundeskanzleramts wurden geschlossen. Das taten erst die Nazis, als sie drinnen gewesen sind. Hineinzukommen war jedenfalls kinderleicht. Die regierungstreuen Polizisten und Wachleute in der Umgebung wurden entwaffnet und gefangen genommen.

Von den anwesenden Sicherheitsleuten wurden die uniformierten Eindringlinge vorerst als Verstärkung wahrgenommen, waren doch auch absurde Gerüchte über einen sozialdemokratischen Anschlag in die Welt gestreut worden. Alles hatte in diesen Stunden eine surreale Note bekommen. Da liefen mehrere Filme ab, und zwar in einer Realität diverser Kollisionen. Trotzdem sollte man sich mit Häme zurückhalten. Auch wenn es ein Putsch der Dilettanten gewesen sein mag, die Tragik im Allgemeinen war um vieles größer als die Komik im Besonderen. Der Zug Richtung Faschismus war abgefahren. Einige Jahre später, im März 1938 machte ja dann die dosierte Variante der rasenden Platz.

Die Ereignisse im Kanzleramt sind nicht mehr genau zu rekonstruieren. So ist nicht auszuschließen, dass Dollfuß sich tatsächlich gewehrt hat oder die Angreifer sich ihrerseits von ihm angegriffen gefühlt haben. Auf jeden Fall dürfte eine unglückliche Verkettung zu des Kanzlers Tod geführt haben. Engelbert Dollfuß sollte nicht umgebracht werden, aber irgendwie geschah es dann doch, dass ihn zwei unplatzierte Schüsse getroffen haben, wobei einer letztlich tödlich gewesen ist. Bauers Schluss: „Bei nüchterner Betrachtung des Tathergangs und der weiter damit zusammenhängenden Umstände spricht allerdings nichts dafür, dass Dollfuß vorsätzlich ermordet wurde.“

Wie der Titel des Buches postuliert, legt sich der Autor darauf fest, dass Hitler nicht nur vom Putsch gewusst, sondern ihn dezidiert in Auftrag gegeben hat. Hitler war „Inspirator und Befehlsgeber“. Vor allem Goebbels Tagebücher, deren Veröffentlichung erst 2006 abgeschlossen wurde, legen das nahe. Dessen Notizen vermerken zum 24.Juli: „Sonntag: bei Führer General von Hammersteins Nachfolger, General von Reichenau, dann Pfeffer, Habicht, Reschny. Österreichische Frage. Ob es gelingt? Ich bin sehr skeptisch.“

Bauer jedenfalls ist überzeugt: „Es ist ohne jeden Zweifel Hitlers Putsch! Seine Untergebenen haben ab Sommer 1933 laufend Putschpläne an ihn herangetragen. In der zweiten Junihälfte 1934 schien ihm der passende Zeitpunkt gekommen. Deshalb ordnete er die Durchführung des Putsches an. Anders gesagt: Hitler befahl ihn.“ Zu diesem riskanten Manöver mit ungewissem Ausgang hatte Hitler sich laut Bauer auch deswegen entschlossen, weil er zu Unrecht meinte, Mussolini habe ihm beim Zusammentreffen in Venedig grünes Licht gegeben. Nach der gescheiterten Aktion versuchte Hitler jedenfalls, alle Spuren zu verwischen. Betont wurde nunmehr die Eigenmächtigkeit der Unterläufel.

Der Band ist gründlich recherchiert, ohne uns mit einem Zwei-Etagen-Buch zu ärgern. Alle Belege und Verweise werden im Anmerkungsapparat akribisch angeführt. Die getätigten Aussagen und Schlüsse sind in hohem Grad plausibel. Was an diesem Buch gefällt, ist, dass es belletristische wie wissenschaftliche Vorgaben erfüllt, ohne dass sich diese massiv in die Quere kommen. Bauer schreibt anschaulich und kurzweilig, formuliert prägnant wie amüsant. Ein kriminalistisches Gespür ist dem Autor nicht abzusprechen. Selbst wo Abschnitte zu Untersuchungsprotokollen geraten, bleibt es spannend.

Etwas kleinlich erscheinen aber die wenigen Passagen, in denen Bauer noch einmal seine Kritik an der Kollegenschaft (besonders Gerhard Jagschitz) ausbreitet. Implizit sind jene Differenzen im ganzen Buch zugegen; dass Bauer hier nochmals explizit nachtreten muss, hätte er nicht nötig gehabt. ■

Kurt Bauer

Hitlers zweiter Putsch

Dollfuß, die Nazis und der 25. Juli 1934. 303 S., geb., € 24,90 (Residenz Verlag, St.Pölten)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2014)

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