Ein Abgrund, der nicht gähnt

Ferdinand Raimund oder: Endlich startet die historisch-kritische Ausgabe – mustergültig.

Am Anfang war das Wunder. Es war bei Gott. Der Gläubige wurde belohnt: mit Potenz und Fruchtbarkeit im Alter; mit prächtigem Haarwuchs, der übermenschliche Kraft garantierte. Wem Gott wohlwollte, vor dem tat sich die Erde auf und verschlang seine Feinde.

Die Aufklärung lehrte den Menschen, ohne den Wunderglauben auszukommen. Das ging nicht. Sie kam nicht gegen das Bedürfnis der Menschen nach Allmacht an. Die Zensur ist schuld, die verhindern wollte, dass auf der Bühne Schindluder mit Gott getrieben wurde: Die Autoren griffen auf den heidnischen Aberglauben zurück. Feen und Geister vermochten, den Menschen mit der Erfüllung seiner Wünsche auszustatten, und verliehen ihm Zauberkräfte, mit denen er unermesslich reich, militärisch überlegen und unbeschränkt mobil werden konnte. Aber er muss Vorgaben beachten, Vorschriften einhalten, darf die Ressourcen nicht vergeuden. Der Mensch ist abhängig von höheren Mächten, durch ihre Gnade wird er omnipotent. Das ist Zauberei und deshalb unwirklich. Aber der größenwahnsinnige Traum vom Superheldentum setzt sich auch in ungläubigeren Zeiten fort. Durch einen gefundenen Schatz kann der Graf von Monte Christo stellvertretend für Gott Vergeltung üben. Der Druide weiß einen Trank zu brauen, durch den Asterix zum Samson wird. Chemie ist Magie, weiß „Heisenberg“, der Drogenkönig in der Kultserie „Breaking Bad“.

Ferdinand Raimund hat es von Anfang an verstanden, die zauberischen Möglichkeiten der Volkstheaterbühne kritisch zu nutzen. In der Vorlage für seinen „Barometermacher“ erbt ein Prinz Zaubergeräte, deren Herkunft nicht genannt wird. Von einer Fee ist nicht die Rede. Die Lehre des Märchens: Hüte dich, du vertrauensseliger Tor, vor weiblicher Intrige! Raimund führt eine Fee ein. Ihre Insel ist ein konstitutionelles Fürstentum. Die Fee kann nicht willkürlich herrschen, sie ist vom Schicksal (der Verfassung) abhängig, demzufolge sie verpflichtet ist, alle hundert Jahre einem Menschen die Zaubergeräte zu übergeben, die ihn reich, mächtig und ambulant machen. Welchem sie die Glücksgüter zukommen lässt, bleibt ihr überlassen. Sie wählt nicht den Würdigsten oder den Höchstgestellten, sondern einen schiffbrüchigen Glücksritter, der sein Gewerbe, das Barometermachen, mangels Nachfrage an den Nagel gehängt und das Weite gesucht hat. Auch er verliert seine zauberkräftigen Geräte an eine intrigante Prinzessin, lässt sich aber von deren Dienerin bei der Zurückgewinnung helfen. Die Frauenfeindlichkeit der Vorlage wird dadurch gemildert.

Während er im „Barometermacher“ nochstark auf wienerisches Ambiente in Ausdruck, Gepflogenheiten, Anspielungen setzte, hebt Raimund den „Diamanten des Geisterkönigs“ auf eine höhere Stufe. Klug genug zu beteuern, wie zensurgefügig er sei, unterläuft er doch das Reglement. Die Zensur schützt das regierende Herrscherhaus in seinem Gottesgnadentum. Raimund macht daraus die Personalunion von Gott, der als Geist abgefälscht ist, und irdischem Herrscher, dem Geisterkönig. Das ist genau genommen eine Infamie. Wie in vorchristlichen Gesellschaften herrscht ein Gottkönig, dessen Allmacht sich die Menschen nicht entziehen können. Ein überirdischer Absolutismus stellt die in Österreich geltende Abhängigkeit von Kirche und Kaiser in den Schatten, schafft eine fiktive Hierarchie, die die irdische relativiert und dadurch infrage stellt. Insofern sind Raimunds Zaubermärchen politische Kasperliaden. Sie sind nie vordergründig revolutionär, aber abgründig destruktiv. Der Mensch ist vollkommener Untertan. Er hat keine Chance, sein Leben selbst zu bestimmen. Das wird sich erst im nächsten Stück, dem „Mädchen aus der Feenwelt oder Der Bauer als Millionär“, ändern.

Es ist eine begrüßenswerte Tat der Herausgeber, die schon führend an der großen Nestroy-Ausgabe beteiligt waren, und des Verlages, nach vier Jahrzehnten, in denen Raimunds Stücke nur in unscheinbaren Einzelausgaben erhältlich waren, eine kritische Gesamtausgabe seiner Werke zu veranstalten. Sie gibt die Urfassungen nach der Originalhandschrift wieder, fügt alle Lesarten und Varianten an und ist mustergültig kommentiert.

Wenn es etwas auszusetzen gäbe, dann ist es der aus ökonomischen Gründen notwendige Verzicht auf die Faksimiles der Manuskripte. Sie hätten die Entzifferungsleistung der Herausgeber auf staunenswerte Art bekräftigt. ■

Ferdinand Raimund

Der Barometermacher auf der Zauberinsel, Der Diamant des Geisterkönigs

Historisch-kritische Ausgabe, Band I. Hrsg. von Jürgen Hein und Walter Obermaier. 624 S., geb., € 41,10 (Deuticke Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.