Verführung ist die wahre Gewalt

Madame Bovary, Anna Karenina, Effi Briest – drei untreue Frauen der Weltliteratur. „Die Kunst des Ehebruchs“: eine anregende Untersuchung von Wolfgang Matz.

Eine Mischung aus Verdammnis und Lust“ nannte der Franzose Gustave Flaubert den Ehebruch. Diese Höllenfreude wollte er als Erzähler genau erkunden, und so stürzte er sich mit dem Furor des Entzauberers romantischer Gefühlsseligkeit in die Beschreibungslust. Mitleidlos ließ er dabei seine Emma Bovary ins offene Messer ihrer Selbstenttäuschung laufen. Aber er hatte, wie Émile Zola es sah, „die Formel des modernen Romans“ gefunden.

Ganz anders verhielt es sich in England. „Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle, im Besitz eines schönen Vermögens, nichts dringender braucht als eine Frau.“ So lässt Jane Austen ihre Eheanbahnungsfibel „Stolz und Vorurteil“ beginnen, und sie endet denn auch mit dem honigmondenen Freudenfest des Ringtauschs. Ein späterer Bruch des Treueschwurs war nicht vorgesehen: Die angelsächsischen Frauenvereine und Lesezirkelleiterinnen wussten argwöhnisch zu verhindern, dass in der Literatur für weibliche Leser das finale Hochzeitsglück durch Zweifel an dessen Bestand getrübt wurde.

Genau das hielt der Russe Tolstoi für eine elementare Lüge. Seine Anna Karenina entflieht einer für sie schal gewordenen Ehe in die Arme eines Liebhabers, der sie auch tatsächlich liebt. Dem Glück des Paares steht neben den überspannten Erwartungen nicht die Wahrheit ihrer Gefühle im Weg, sondern die gesellschaftliche Ächtung. Der Verlust der bürgerlichen Existenz entreißt ihnen das Fundament eines dauerhaften Lebensglücks.

Wir sind lesend im Europa des 19.Jahrhunderts, und „Die Kunst des Ehebruchs“, die anregende Studie des Münchner Literaturwissenschaftlers Wolfgang Matz, ist eine wahre Genusslektüre für Liebhaber eines weltliterarischen Dreigestirns: Flauberts „Madame Bovary“, Tolstois „Anna Karenina“ und Fontanes „Effi Briest“.

In der Literatur setzten die großen Romane einen entscheidenden Perspektivenwechsel durch: Sie stellten die ihrer Ehe entlaufenen Frauen als Romanheldinnen ins Zentrum des emotionalen Geschehens und durchleuchteten so vor allem auch für ihre Leserinnen mit kritischem Licht die patriarchale Gesellschaft. Sie öffneten dadurch nicht nur der Demokratie ein Stück weit die Schleusen, sondern setzten auch Maßstäbe für die Entwicklung einer offenen, das Gefühl und den Selbstwert nicht länger unterdrückenden Kultur. Diese Selbstverwirklichung der Frau entsprach dem unausgesprochenen Lebensgefühl der Zeit.

Für die Liebe alles aufs Spiel zu setzen – dieses Wagnis gingen Frauen mit einem Mal offensiv ein. Die Sehnsucht nach Selbstbestimmung wurde übermächtig. Die Frauen wollten endlich lieben, wen sie möchten. Zumeist waren ihre Ehen von den Eltern arrangiert worden: nach deren Gutdünken, weniger was die Liebesfähigkeit des Mannes, vielmehr was die materielle Unterlage betraf.

Aus diesem Grund waren die Ehemänner vielfach arriviert und, wie beispielsweise in allen drei Romanen, um eine Generation älter als ihre jungen Frauen. Die Autoren legen nahe: Dies war in den von ihnen geschilderten Ehen dem gegenseitigen Verständnis und der Entwicklung der wechselseitigen Gefühle nicht eben zuträglich. Leere und Langeweile waren oft die Begleiter dieser Ehen und provozierten die ungetreuen Abenteuer. Am schwächsten erscheint Effi Briest: ein unflügges Wesen, das aus unreifer Neugier einen Seitensprung wagt.

„Verführung ist die wahre Gewalt“, heißt es schon bei Lessing. Und Verbot ist das wirksamste Lockmittel. Wie nicht nur die literarischen Beispiele des 19.Jahrhunderts zeigen, waren die Strafen für Ehebruch damals noch drakonisch. Deshalb schreibt Matz: „Das Spiel der Frauen geht ernsthaft nur als Spiel um Leben und Tod, und so müssen die drei großen Romane die Sache noch einmal, vielleicht zum letzten Mal, auf die äußerste Spitze treiben.“ Es gibt kein Entweder-oder, und solch tragische Ausweglosigkeit macht, neben der tiefgründigen Erfassung der seelischen und gesellschaftlichen Vorgänge, bis heute die Faszination dieser Ehebruchsepen aus.

Und was sagt Wronskis Mutter nach Anna Kareninas selbst gewähltem Tod? „Ja, sie hat geendet, wie eine solche Frau enden musste. Was sind das bloß für verzweifelte Leidenschaften! Da muss ständig etwas Besonderes bewiesen werden. Das hat sie nun bewiesen. Hat sich zugrunde gerichtet und zwei wunderbare Menschen dazu.“ Das ist die alte Sicht. Die neue hat sich durchgesetzt, sodass – zumindest im Westen – keine Menschenopfer mehr nötig sind. Ganz anders noch immer in islamischer Tradition, wo es bis heute zu Steinigungen bei ehelicher Untreue kommt. Ein Gutteil des Fortschritts bei uns ist auch der künstlerischen Darstellung zu verdanken. ■

Wolfgang Matz

Die Kunst des Ehebruchs

Emma, Anna, Effi und ihre Männer. 320S., Ln., €25,60 (Wallstein Verlag, Göttingen)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2014)

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