Cool und unendlich jung

Er war die schillerndste Figur der „Wiener Gruppe“: Konrad Bayer, der Dandy der österreichischen Literatur. Vor 50 Jahren nahm er sich das Leben. Aus diesem Anlass erscheint sein Montageroman „der kopf des vitus bering“ in der „Reihe Österreichs Eigensinn“.

Konrad Bayer, das ist so etwas wie die ewige Jugend der österreichischen Avantgarde. Am 10.Oktober 1964, also ziemlich exakt vor 50 Jahren, beging der damals erst 32-jährige Autor in Wien Selbstmord. Manche seiner Freunde behaupten, dass auch noch dieses tragische Ende zu den Experimenten gehört, die der Dandy mit sich und seinem sozialen Umfeld getrieben hat. Die Frage, ob er, der sich in die Wohnung einer Freundin zurückgezogen und dort das Stadtgas aufgedreht hat, früh genug gefunden wird, hat an jenem Abend eine klare Antwort erhalten. Als man den Dichter in der Küche ausgestreckt auf einem Notbett liegend fand, war es für Rettungsmaßnahmen zu spät.

In einem seiner Texte hat Bayer beschrieben, wie es ist oder sein könnte, wenn man daliegt und das Gas langsam den Raum füllt. An Bewusstseinsveränderungen, ausgelöst durch Extremsituationen und Drogen, zeigte der Autor immenses Interesse. Grenzbereiche der Erfahrung wurden von ihm in persönlichen Experimenten ausgelotet, zur Darstellung der so eröffneten Räume bedurfte es innovativer literarischer Mittel. Der Protest, der sich mit dieser Lebensform verband, war nicht allein gegen die biederen österreichischen 50er-Jahre gerichtet. Bayer ist bis heute eine schillernde und faszinierende Figur geblieben, gerade deshalb, weil seine Art des Protests gegen Konventionen insgesamt und der Wahrheitsanspruch seiner Literatur ein ganz radikaler war.

In der Literatur Bayers führt der Weg zur individuellen Wahrheit über den Skeptizismus. In seinem schmalen Lebenswerk (kaum mehr als 600 Seiten, die Gerhard Rühm nach dem Tod des Freundes herausgegeben hat) zerlegt Bayer alle vorschnellen Überzeugungen. „Alle unsere vorfahren“, so heißt es in „der stein der weisen“, „haben die sprache zusammengebosselt und ihre reaktionen damit eingerüstet und so wurde mit der sprache alles gleich gemacht und nun ist alles das gleiche und keiner merkt es.“

Franz Schuh hat darauf hingewiesen, dass die Texte Bayers die Ordnungen der Macht, die gern aus großen repräsentativen Einheiten gebaut erscheinen möchten, schon aufgrund ihrer formalen Anlage denunzieren. Die Texte Bayers sind stets kleingeschrieben und splittern sich in viele unverbundene Teile auf. Daraus ergeben sich rhizomartige Strukturen, die eher einer Theorie des Antiödipus entsprechen als den vorgegebenen Notwendigkeiten des Buchmarkts. Tatsächlich hat Bayer auch nur zwei Bücher im klassischen Sinn vorgelegt: sein wichtigstes Buch, „der sechste sinn“, über das der Autor mit Rowohlt einen Vertrag hatte und das Fragment geblieben ist, und „der kopf des vitus bering“, ein Montageroman, der jetzt in einer Neuausgabe erscheint.

Wie kaum ein anderer Text Bayers trägt dieses Buch die formale Patina des literarischen Experiments. Das Montageverfahren tritt im „kopf des vitus bering“ besonders deutlich zum Vorschein. Aus vielen heterogenen Zitaten und in zu Serien geordneten Einzeltexten fügt Bayer ein Bild der titelgebenden Person zusammen. Ein Anhang mit thematisch weit verstreuten wissenschaftlichen Zitaten rundet die Sache nach hinten hin ab. An dem Arktisforscher Vitus Bering (1681–1741) hätten ihn, so schreibt Bayer im Vorwort zum Buch, einige Anekdoten interessiert, die Anlass waren, hier ein außergewöhnliches Schicksal und ein paar eigene Gedankengänge zu vermuten. Die Wahl der Figur versteht Bayer nur als einen Standort, von dem aus Beziehungen hergestellt werden, gleichsam so, „wie der fischer ein netz wirft in der hoffnung, etwas zu fangen“. Dass es im „kopf des vitus bering“ nicht um eine Darstellung der historischen Figur geht, sondern um die Relationen, die deren Geschichte zur Person des Autors hat, sollten sich die Leser des Buches vor Augen halten. Auch die Lektüre des Textes ist hier eine Forschungsreise in unentdecktes Territorium.

Angetan war Bayer vor allem von Berings Ende. Mit seinem Schiff steckte er im Eis fest, gezeichnet von Skorbut. Diese Krankheit gab ihm wahnhafte Erfahrungen und – so will es der Autor – fast schamanistische Fähigkeiten. Das Feststecken im Eis korreliert bei Bayer mit einem Feststecken in der Sprache. Die ganze Originalität seiner Literatur wendet er auf, um dem Erstarren im Konventionellen zu entgehen. Wie kaum ein anderer Autor der österreichischen Avantgarde setzt Bayer dabei in seinen Texten auf ein Mittel, das man als eine Art von erkenntnistheoretischem Humor bezeichnen könnte.

Ernst Bloch brachte es in einer spontanen Kritik nach einer Lesung Konrad Bayers vor der Gruppe 47 auf den Punkt: „Die Geschichten [aus dem ,sechsten sinn‘] machten großen Eindruck auf uns alle, und das Philosophische ist auch nicht zu verkennen. Eine Form von Heimatlosigkeit ist hier auf der Welt, und eine Sprengung des Verabredeten, und zwar bezeichnenderweise mit Witz. Das ist alles sehr gemütlich und alles gleichzeitig sehr unheimlich.“

Oswald Wiener, der langjährige Weggefährte, hat dazu später angemerkt, dass es gar nicht die Literatur war, die Bayers Wirkung ausgemacht hat, sondern seine charismatische Person und die Art, wie diese Person im Sozialen wirkte. Nicht allein Texte, sondern auch Bilder und Sounds gehören zu Bayers Hinterlassenschaft. Etwa seine Bewegungen auf einer offenen Terrasse über dem Meer in Ferry Radax' Film „Sonne halt!“, unterlegt von der Zeile: „nachdem sie hunderte von bieren getrunken hatten, tanzten sie ganz einfache schritte.“ Das schaut noch heute verdammt cool und unendlich jung aus. ■


Konrad-Bayer-Symposium: mit Oswald
Wiener, Gerhard Rühm, Friedrich Achleitner, Ann Cotten u.a., 18. bis 21.September, Neuberg an der Mürz und Kunsthaus Mürzzuschlag (www.kunsthausmuerz.at).

Konrad Bayer

der kopf des vitus bering

Mit einem Nachwort von Günther Eisenhuber. 100 S., Ln., € 20 (Jung und Jung Verlag, Salzburg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2014)

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