Ecstasy, nur ohne Euphorie

Tao Lin publiziert üblicherweise im Internet. In seinem Roman „Taipeh“ lässt er seinen Helden Paul, einen Endzwanziger, auf der Suche nach Gefühlen durch die Staaten irren. Leider ist ihm alles zumindest „vage“ oder „diffus“.

Das Internet und die sozialenMedien verändern nicht nur, wie wir leben und arbeiten, sondern lassen auch die Literatur nicht unbeeinflusst. Abseits der schon länger anhaltenden Debatte, inwieweitE-Books gedruckte Bücher irgendwann verdrängen könnten, stellt sich dabei auch eine Frage, die hierzulande noch kaum diskutiert wurde: Zeitigt die Art und Weise, wie Maschinen heute weite Teile unseres Lebens bestimmen, nicht auch Auswirkungen auf Autoren und ihr Schreiben?

Anders gefragt: Wo bleibt eigentlich der Roman der Facebook-Generation? Auftritt Tao Lin. Der Sohn taiwanesischer Eltern, der in Florida aufgewachsen ist und heute in New York lebt, ist das, was man einen Autor der nächsten Generation nennen könnte. Seine Texte veröffentlichte er bisher vor allem im Internet beziehungsweise im Eigenverlag, seine Leserschaft hat er über Twitter und Facebook gefunden. Will er etwas nachschlagen, geht er nicht in eine Bibliothek, sondern lädt sich die entsprechenden Werke herunter. In einem Interview hat er erzählt, während des Schreibens von „Taipeh“ vor allem Fernando Pessoa und Schopenhauer gelesen zu haben – auf seinem iPhone.

Dass sein Roman ganz normal zwischen zwei Buchdeckeln erscheint und auch mit den üblichen Werbemechanismen der Verlagsbranche gepusht wird, mag auf den ersten Blick wie ein Widerspruch erscheinen. Aber „Taipeh“ ist alles andere als ein konventioneller Roman. Das beginnt schon bei der Handlung: Es gibt eigentlich gar keine.

Als Leser folgt man dem jungen Autor Paul auf seinen Wegen durch New York, die USA und zu seinen inzwischen wieder in Taiwan lebenden Eltern, die er einmal im Jahr in Taipeh besucht. Er trennt sich von seiner Freundin, Michelle, lernt andere junge Frauen kennen und beginnt dann mit Erin eine längere Beziehung. Die beiden konsumieren leistungssteigernde Medikamente und andere Drogen. Sie schreiben oder arbeiten an anderen, nicht näher ausgeführten Projekten. Manchmal hat Paul eine Lesung. Aber im Grunde passiert kaum etwas.

„Taipeh“ ist durchzogen von dem Ennui, der das Leben vieler Menschen um die 30 prägt. Man hat ein Universitätsstudium absolviert, womöglich mit tollen Noten, aber dennoch keinen Plan oder nur eine Ahnung, was man mit sich und seinem Leben anfangen will. Tatsächlich scheint Paul auch kaum an neuen Texten zu arbeiten. Lieber dreht er mit Erin im Drogenrausch unter Zuhilfenahme seines MacBook absurde Filme in Warhol-Manier. Wovon die meisten auftretenden Figuren leben und wie sie ihren massiven Drogenkonsum finanzieren, bleibt wie vieles in „Taipeh“ sehr vage. Nicht umsonst scheinen „vage“ und „diffus“ Lieblingsbegriffe von Paul zu sein. Auf Fragen anderer Figuren antwortet er meist mit „Ich weiß es nicht“. Oder er antwortet mit einer Gegenfrage: „Was meinst du?“ Einfache Dinge und Abläufe des täglichen Lebens sind für ihn so kompliziert wie Quantenphysik.

Bald einmal stellt man sich bei der Lektüre die Frage, was Paul für ein Problem hat. Er scheint ein hochintelligenter Kerl zu sein. Warum schreibt er nicht einfach ein Meisterwerk? Warum vergräbt er sich entweder in seinem Zimmer oder zieht nächtelang ziel- und wahllos von Party zu Party und schläft auf fremden Sofas? Irgendetwas scheint ihn immer zu bremsen, zurückzuhalten.

Das Interessanteste und gleichzeitigwahnsinnig Schmerzhafte an „Taipeh“ ist die Barriere, die zwischen Paul und anderen Menschen sowie dem ganz banalen, alltäglichen Leben zu stehen scheint. Er findet sein Dasein trostlos, traurig und ist oft müde. Und erst auf Seite 247 spricht er endlich aus, was man dann längst schon vermutet hat: „Ich bin einfach depressiv.“

Stellt das Sprechen weitgehend ein

Das erklärt natürlich einiges. Zum Beispiel, warum Paul so obsessiv mit sich selbst beschäftigt ist, mehr noch als für einen Internetselbstdarsteller üblich, der einiges an Zeit damit verbringt, seine Profile auf diversen sozialen Websites immer wieder zu aktualisieren. Paul tut sich extrem schwer damit, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. „Nach den ersten zwei Monaten seines ersten Studienjahres hatte er das Sprechen in fast allen Situationen eingestellt“, heißt es in einer Rückblende. „Lachte irgendjemand, schlug sein Herz bereits wie nach einem Zwanzig-Meter-Sprint, bevor er irgendetwas denken oder fühlen konnte.“

Um es durch den Tag beziehungsweise die Nacht (tagsüber schläft er meist) zu schaffen, nimmt Paul immer mehr Substanzen: LSD, Adderall, Xanax, Oxycodon, Percocet, Codein, Ritalin „mit psilocybinhaltigen Pilzen versetzte Schokolade“, Kokain, irgendwann sogar Heroin. Die Liste ist schier endlos. Vor allem Adderall hat es ihm angetan. Er beschreibt die Wirkung wie die von Ecstasy, nur „ohne die Euphorie. Es ist gut zum Arbeiten. Es hilft einem, sich zu fokussieren.“ Passend dazu, und weil es im Internet keine Geheimnisse mehr gibt, hat Tao Lin in einem dort erschienenen Gespräch unumwunden zugegeben, seinen Roman auf Adderall geschrieben zu haben.

Ecstasy ohne Euphorie: „Taipeh“ liest sich denn auch wie „Trainspotting“ von Irvine Welsh – nur ohne den Spaß. Oder wie „American Psycho“ von Bret Easton Ellis – ohne die Gewalt. Auf dem Umschlagtext des Buchs finden sich Lobesworte von Ellis: „Mit ,Taipeh‘ ist Tao Lin zum interessantesten Stilisten seiner Generation geworden.“ Leider ist das Zitat unvollständig. Es fehlt der Nachsatz: „Was nicht heißt, dass ,Taipeh‘ kein langweiliger Roman ist.“

Das hat etwas für sich. In Tao Lins oft überlangen Sätzen blitzt immer wieder großes Talent auf. Nur scheint sich der Autor wie seine Hauptfigur nicht im Klaren darüber zu sein, was er daraus machen will. Anstatt eine Geschichte zu erzählen, schreibt Tao Lin einfach seinen banalen Alltag auf. Auf eine Abschweifung folgt die nächste. Irgendwann kommt sich Paul selbst wie eine Abschweifung vor, „die vergessen hatte, von was sie abgeschweift war, und ihren Weg in Form einer verwirrten, wahllosen Suche fortsetzte“.

Über „Taipeh“ zu sprechen ist interessant. Es zu lesen ist jedoch unglaublich anstrengend, ja nur in geringen Dosen erträglich. Über das Leben eines depressiven Internetsüchtigen und Drogenzombies – der bis kurz vor Schluss glaubt, nicht süchtig zu sein, und sich sogar für gesund hält, weil er als Ausgleich praktisch nur Obst und Gemüse isst – würde man vielleicht gern lesen, wenn man eine Beziehung zu der Figur aufbauen und ganz altmodisch mitfühlen könnte. Aber das gelingt bis zum Ende nicht.

Wenn „Taipeh“ einen Ausblick auf die Literatur der Zukunft vermittelt, dann kann man sich auf kalte, trostlose Zeiten einstellen. Muss man zum Glück aber nicht. Denn Tao Lin ist mitnichten das literarische Sprachrohr seiner Generation, sondern ein interessanter Sonderfall. Sein nächstes Buch sollte er nüchtern zu Papier bringen. ■

Tao Lin

Taipeh

Roman. Aus dem Englischen von
Stephan Kleiner. 286 S., geb., € 20,60 (DuMont Buchverlag, Köln)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2014)

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