Attentat auf einen Hengst

Karge Kunst: Anmerkungen zu Rodrigo Rey Rosas doppelbödiger Novelle „Stallungen“.

Der Guatemalteke Rodrigo Rey Rosa erzielt merkwürdige literarische Effekte. Einerseits versteht er es, den Leser in den Bann seiner Geschichten zu ziehen; andererseits hat man sie trotz der spannenden Handlung bald wieder vergessen.

Was einem jedoch in Erinnerung bleibt, ist Rey Rosas lapidare, emotionsfreie Sprache: weil sie so gar nicht zu den Gewaltexzessen zu passen scheint, von denen seine Bücher künden. Ein belangloses Detail, eine winzige Irritation oder ein unerwarteter Vorfall setzt die Handlung in Gang und erfasst über kurz oder lang auch den Ich-Erzähler. Aber noch am Siedepunkt des Geschehens, wenn es um Leben oder Tod geht, reiht der Autor einen knappen, leidenschaftslosen Satz an den andern. Weil er sich, beim Schreiben, keinen Plan macht und kein Ziel setzt, stecken seine Prosastücke voll unerwarteter, improvisierter Wendungen. Sie brechen jäh ab. Ihr offenes Ende hat etwas Bedrohliches an sich. Auch das bleibt einem im Gedächtnis.

Auf Rey Rosas Roman „Stallungen“ aus dem Jahr 2006, den der Septime Verlag nun mit der zutrefferenden Gattungsbezeichnung Novelle und in der ebenso behutsamen wie stilsicheren Übersetzungvon Elisabeth López-Semeleder vorlegt, treffen alle erwähnten Kennzeichen seines Schreibens zu.

Die Fabel des Buches ist simpel und drastisch zugleich: Bei einer Pferdevorführung auf der Finca einer Millionärsfamilie, nahe der Pazifikküste, fällt ein teurer spanischer Hengst einem Brandanschlag zum Opfer. Der Ich-Erzähler macht sich eher halbherzig daran, den Hintergründen dieses Attentats nachzuspüren. Die Gefahr, in die er dabei gerät, stellt Rey Rosa beiläufig dar, ohne jene Dramatik, die ihr doch eigen wäre. Man könnte sagen, dass der Autor damit der Alltäglichkeit der Verbrechen in seiner Heimat Rechnung trägt.

Genozid an indigener Bevölkerung

Denn in Guatemala haben sowohl die strukturelle Gewalt – die der Reichen gegen die Armen – als auch der jahrzehntelang betriebene Genozid an den indigenen Gemeinschaften zur Verrohung in allen gesellschaftlichen und individuellen Bereichen geführt. Drohungen, Erpressungen, Entführungen, Verstümmelungen, Lynchmorde bilden, um einen seiner Romantitel aufzunehmen, den „Rohstoff“ der absichtsvoll kunstlosen Literatur Rey Rosas. Dabei versteht er sich nicht als politischer – und offenbar nicht einmal als besonders engagierter – Autor. „Als literarisches Problem“, hat er einmal gesagt, „interessiert mich die Moral mehr als die Politik. Meine Art zu schreiben ist die von einem, der die Welt nicht versteht und sie mittels der Literatur zu begreifen versucht.“

Es erscheint paradox, dass Rodrigo Rey Rosas Werk zwar dem Anspruch gerecht wird, die soziale Realität Guatemalas abzubilden, aber wenig Berührungspunkte mit dem Romanschaffen anderer zentralamerikanischer Schriftsteller aufweist. Sein Lehrmeister war der US-amerikanische Schriftsteller Paul Bowles, mit dem er sich Mitte der 1980er-Jahre in Tanger angefreundet hatte. Von Bowles stammt die Kargheit und Flüchtigkeit seiner Prosa.

Präzision und Einfachheit, so Rey Rosa, lassen sich erlernen. Das Doppelbödige, Mehrdeutige einer Geschichte hingegen sei der Persönlichkeit des Erzählers geschuldet. Insofern ist der 56-jährigeweitgereiste Autor und Übersetzer ein Erzähler mit verdecktem Charakter. ■

Rodrigo Rey Rosa

Stallungen

Novelle. Aus dem guatemaltekischen Spanisch von Elisabeth López-Semeleder. 118S., geb., €16,90 (Septime Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2014)

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