Ich habe es nicht so erlebt, als ich es erlebte

Franz Xaver Hofer hat wie kein anderer die verschwundene bäuerliche Kultur des oberen Mühlviertels gespeichert. Nun erscheint Prosa aus dem Nachlass.

Ich bin ein bewusster Blick“ hieß eine Gedenkveranstaltung für den allzu früh verstorbenen Franz Xaver Hofer, bei der 17Künstler und Schriftsteller aus seinem Werk ausgewählte Passagen vortrugen. Die große Zahl der um ihn Trauernden bezeugte wieder einmal seine soziale wie künstlerische Integrität. Er war, alles andere als ein Vereinsmeier, in vielen Innviertler Vereinen engagiert, auch als Mitherausgeber der geschätzten Kulturzeitschrift „Landstrich“ – eine Selbstlosigkeit, die dazu geführt hat, dass ihm Kraft und Zeit gefehlt haben, einige seiner Texte und Buchprojekte im Sinn einer Veröffentlichung abzuschließen.

Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Verlag einem Autor über den Tod hinaus die Treue hält. Für Karl Stutz in Passau offensichtlich eine Selbstverständlichkeit. Nun ist, nach dem noch zu Lebzeiten Hofers erschienenen Gedichtband „Leo“ (2011) und der großartigen Erzählung „Sigmund oder die Kälte“ (2013), ein weiterer Prosaband aus dem von seiner Witwe, der Malerin Helga Hofer, betreuten Nachlass erschienen.

Mit seinem „bewussten Blick“, der ein trotziges, zwanghaftes Betrachten und Sinnieren einschließt, beobachtet der junge Hofer die bäuerliche Welt im oberen Mühlviertel, in die er 1942 hineingeboren wird, und verfolgt das mitunter rätselhafte Treiben der Erwachsenen mit einem wertfreien Staunen und zugleich aus kritischer Distanz: „Möglicherweise war ich einsam / Ich habe es nicht so erlebt / als ich es erlebte“, heißt es im Gedicht „Einsam oder nicht“ am Ende des Buches. Schreibt er detailversessen über Erdäpfel, Vogelnester, „Holzschlepfa“, seinen Großvater, über Getreidehalme, die zur Zeit der Mahd in Bodennähe noch feucht sind, oder über das Anfertigen eines Traktors aus einer Zwirnspule et cetera, so schreibt er dabei zugleich über sich selbst, über ein Sichfinden und allmähliches Zurechtfinden. Dieser Prozess kann, da erst nach Jahrzehnten zur Sprache gebracht, nur eine Annäherung an die Struktur jener kindlichen Seele von ehedem darstellen.

An anderer Stelle der subtilen Prosa, in der er oft von einer nüchternen oder lakonischen Beobachtung unvermittelt zu einer Selbstbeobachtung wechselt, heißt es: „Mein Bezug zu den Dingen war so groß, weil ich allein war. Ich kam nicht an die Menschen heran, trotz großer Liebesgefühle und Liebesbemühungen. So wurde mir die Gegend, jede Unebenheit, zum Ereignis. Ich habe die Oberfläche der Erde sehr plastisch und sinnlich erlebt. Mit Untergrund, Farbe, Feuchtigkeit, Gerüchen, Pflanzenkleid.“

Dieses von der Notwendigkeit der täglichen Arbeit und vom Rhythmus der Jahreszeiten geprägte Leben auf dem elterlichen Hof und der näheren Umgebung ist in seiner sinnlichen Präsenz für das sensible Kind, das ohne Vater aufwächst, eine Herausforderung, nicht selten eine Überforderung, der er seine Verweigerung entgegensetzt.

Bald zeichnet sich ab, dass er dieser Welt, die von ihm so viel Zeit für Dinge abverlangt, die er nicht versteht (Prozessionen, die Maiandacht unter dem „Kletzenbirnbaum“ etwa), entfliehen muss. Tatsächlich kommt er nach der vierten Klasse Volksschule ins Petrinum nach Linz/Urfahr (er soll Priester werden) und nach einer nicht bestandenen Mathematiknachprüfung ins Gymnasium nach Schlierbach, wo er später Margret Bilger kennenlernen wird, die dort, in der Glaswerkstätte, an ihren Glasfensteraufträgen für Kirchen arbeitet. Der Ton dieser, manchmal nur aus Aufzählungen, Sinneseindrücken bestehenden Kapitelchen (die Titel ergeben ein Panoptikum der Menschen,Gebräuche und Geräte, die sein mit zunehmendem Alter forciertes Erwachen aus magischen und religiösen Projektionen begleitet haben) darf als lyrisch bezeichnet werden.

Das Soziologische und Poetische gehen hier eine seltene Symbiose ein, sind ergänzende „Verfahren“ oder auch Filter, die eine höchst eigensinnige Betrachtung einer Kindheit auf dem Land ergeben, aus einem Blickwinkel, der andere Akzente als etwa jene von Josef Winkler in seinem Frühwerk (oder die Antiheimatromane der 1970er-Jahre) setzt. Dieses Buch sollte jedenfalls auch von der Germanistik näher betrachtet werden. ■

Franz Xaver Hofer

Immer werde ich ein wenig anders sein als der, den ich beschreibe

Eindrücke aus Kindheit und Jugend. 136S., Ln., €17,30 (Stutz Verlag, Passau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2014)

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