Das Model, ihr Porträt und der Anwalt

Überfrachtet: Zu viele Themen in Bernhard Schlinks Roman „Die Frau auf der Treppe“.

Er kann es nicht lassen. Es sei eben zu verführerisch, sich nicht vollends festlegen zu müssen, hat Bernhard Schlink einmal bekannt. Allein Jurist zu sein und als Richter und Universitätsprofessor die Karriereleiter nach oben zu klettern war ihm zu wenig, die Lorbeeren des Autors schienen zu verlockend. Spätestens seit der Verfilmung seines Romans „Die Vorleserin“ ist er auch international gefeiert. Inzwischen ist er 70 und hat sich aus vielen Ämtern zurückgezogen, die er lange Zeit innehatte. Umso mehr Raum bleibt für seine Kunst – oder doch auch fürs Leben? Dennnicht zuletzt um dieses Zweigespann geht es in seinem Roman „Die Frau auf der Treppe“.

Hauptfigur ist ein Anwalt kurz vor dem Ruhestand, verwitwet, drei erwachsene Kinder. Ein Vertragsabschluss für einen Klienten bringt ihn von Frankfurt nach Sydney. Vor der Heimreise findet er sich in der Art Gallery wieder und fällt dort aus allen Wolken: Er steht vor einem Bild, das ihn auf schmerzhafte Weise in seine Zwanziger zurückkatapultiert, „Frau auf der Treppe“.

In die Frau, die dafür Model gesessen ist, war er vor vielen Jahren unsterblich verliebt. Sie hat damals seinen Blick auf sich und die Welt vollends gewendet. Doch Irene, wie sie heißt, hat mit seinen Gefühlen nur gespielt und ihn dann fallen gelassen. Sie ist untergetaucht, mit ebenjenem Bild im Gepäck, bei dessen Diebstahl er ihr geholfen hatte. Und nun hängt das Kunstwerk in Sydney in einer Ausstellung und konfrontiert den Anwalt mit seinen Träumen von früher.

Klar, dass sich der Ich-Erzähler auf die Suche macht nach der geheimnisvollen Leihgeberin. Er spürt Irene auf und ist sofort wieder gefesselt, obwohl er nun eine kranke, müde Frau vor sich hat. Was will er von ihr? Und vor allem: Wieso hat sie ihn zu sich gelockt? Das Bild ist ein Köder.

Liebesgeschichte und Kriminalfall

Bernhard Schlinks Roman läuft recht flott dahin, trotz vieler stilistischer Schlampigkeiten und der ihm eigenen, ab und zu auch ermüdenden sprachlichen Geradlinigkeit. In die Liebesgeschichte verwoben ist ein Kriminalfall in Sachen Kunst. Wem gehört ein Bild – dem Käufer oder dem Maler, dessen geistiges Eigentum es immer bleiben wird?

Irenes Ehemann hatte das Porträt in Auftrag gegeben, doch der Künstler konnte sich nie wirklich von ihm trennen. Zumindest das Model hat die Seiten gewechselt und den Gatten verlassen, um mit dem Maler zusammenzuleben. Beide Männer kreisten um Irene. Oder waren sie nur in das Bild verliebt, das sie von ihr hatten?

Als die „Frau auf der Treppe“ in Sydney auftaucht, bedeutet das nicht nur für den Anwalt eine heiße Spur, sondern auch für die beiden Kontrahenten. Auf einer einsamen Insel spitzen sich die Ereignisse zu.

Bernhard Schlink muss zaubern, um sein Kammerspiel aufgehen zu lassen. Entsprechend bemüht wirkt es dann auch. Er hat dem Roman gewichtige Themen aufgeladen. Die Frage nach den Sehnsüchten unter den verkrusteten Lebensentwürfen, nach der Wehmut, zu wenig riskiert zu haben: die Bilanz angesichts des näher rückenden Todes, vielleicht auch das Ausrichten des eigenen Wertesystems. Große Sätze, viel Bedeutung. Die Frau auf der Treppe gerät dabei ins Stolpern. ■

Bernhard Schlink

Die Frau auf der Treppe

Roman. 244 S. geb., € 22,80 (Diogenes Verlag, Zürich)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2014)

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