Die drei Töchter Allahs

Der Ethnologe Walter Dostal blickt als Feldforscher auf die arabische Welt. Sein Band „Von Mohammed bis al-Qaida“ beschreibt die Vielfalt religiöser Ausdrucksformen in der Welt des Islam.

Auf dem Buchmarkt ist Mekka
bestens vertreten. Von Abdellah Hammoudi bis Ilija Trojanow, die über ihre Pilgerreisen berichteten, über den in Paris lebenden türkischen Schriftsteller Nedim Gürsel und seinem neuen Roman „Allahs Töchter“ bis hin zum vorliegenden Band mit wissenschaftlichen Studien „Von Mohammed bis al-Qaida“. Autor Walter Dostal ist Emeritus für Ethnologie in Bern und Wien und Präsident der Hammer-Purgstall-Gesellschaft, deren erste Studie ebenfalls Mekka gewidmet ist.

Dostal betont, dass sein Blickwinkel der des Sozialanthropologen ist. Deshalb kann von ihm nicht das Bild des massenmedientauglichen Einheits-Muslims erwartet werden. Ihm geht es viel eher darum, Muslime als Träger verschiedenster religiöser Ausdrucksformen zu zeigen. Schon im Vorwort beruft er sich auf den Autor von „Rundschreiben über die Vergebung“, der einst sagte: „Die Bewohner der Erde zerfallen in zwei Gruppen: die einen haben Vernunft, aber keine Religion, die anderen haben Religion, aber keine Vernunft.“ Die Rede ist von Abu l'Ala al-Ma'arri (973 bis 1058), dem muslimisch-arabischen Poeten, Gelehrten und kritischen Rationalisten, von dem Dostal meint, niemand würde sich heute mehr an ihn erinnern. Diesbezüglich kann ich Entwarnung geben, al-Ma'arri steht bei jüngeren Schriftstellern und Essayisten aus dem islamischen Bereich wieder hoch im Kurs, ob sie nun Abdelwahab Meddeb, Navid Kermani oder Ranjit Hoskoté heißen. Übrigens ist bereits 2002 bei C. H. Beck eine von Gregor Schoeler edierte deutsche Ausgabe unter dem Titel „Paradies und Hölle“ erschienen.

Dostal ist nicht nur Professor, er ist auch Feldforscher, der seit 1956 immer wieder auf der arabischen Halbinsel, vor allem im Jemen, seiner wissenschaftlichen Arbeit nachgegangen ist und dabei auch veritable Entdeckungen gemacht hat. Beim Lesen dieses Buches wird einem wieder so recht bewusst, was wissenschaftliches Arbeiten in diesem Sinn bedeutet, wie mühsam es sein kann, durch eigene redliche Forschung zu Ergebnissen zu kommen, die der Überprüfung standhalten und doch meist nur Details sind, die eine These nicht endgültig erhärten, sie jedoch wahrscheinlicher machen.Wohingegen die Schreibtischgelehrten, wie mein alter Ethnologie-Professor in Graz, Alois Closs, sie nannte, ihre Thesen durch Kompilieren des von anderen erarbeiteten Materials und mit einem geschmeidigeren Schreibstil zu vertreten suchen.

Der Band beginnt also mit dem Kultort Mekka, Schauplatz des Aufbruchs zum Islam und somit den Spuren megalithischen Brauchtums gewidmet, dem Kultverband der Hums, dem Kulturheros Qusayy sowie der Vernichtung der 360 Götzen, zu denen auch Allat, Manat und al-Uzza, die drei Töchter Allahs, gehörten. Nach genauer Prüfung der Quellen stellt Dostal im Gegensatz zu dem, was ich noch an der Universität gelernt habe, fest, dass die Handlungsfreiheit der Frauen und ihr sozialer Status durch das islamische Recht eben doch eingeschränkt worden sind.

Es findet sich eine Fülle von Informationen zu interessanten Thesen in diesen vier Arbeiten, doch sollte man schon ein wenig über die Geschichte Arabiens und der islamischen Kultur wissen, um sie entsprechend würdigen zu können. In der zweiten Studie geht es um die Entstehung der islamischen Hochkultur, die keineswegs im luftleeren Raum stattgefunden hat, und um ein realitätsnahes Bild der Islamisierung und der späteren Revitalisierungsbewegungen anhand dreier Beispiele: Kafiristan, das heutige Nuristan, die Mahdiya-Bewegung im Sudan und dem Wahhabismus in Saudiarabien, allesamt Versuche im ausgehenden 18. sowie im 19. Jahrhundert, dem Islam wieder seine ursprüngliche Effektivität zu verschaffen.

Ein Blick auf die Mu'taziliten, die im Bagdad der frühen Abbassidenzeit für den freien Willen eintraten, und auf die Isma'iliten, deren Bekenntnis unter anderem von neuplatonischen Lehren und Esoterik im ursprünglichen Sinn geprägt ist, schafft die Überleitung zur „Frage der vorislamischen Survivals im Islam“. Zu diesem Thema steuert Dostal auch eigene Erfahrungsberichte und Forschungsergebnisse bei, und zwar am Beispiel von jemenitischen Heiligengräbern, die auch als Zufluchtsstätten dienten, und weiterer vorislamischer Bräuche, die bis vor Kurzem noch geübt wurden.

Die letzte Arbeit, „Im Zwischenspiel islamisch-radikaler Kräfte und eigener Erfahrungen als Nicht-Muslim“, ist die spektakulärste. Sie enthält einen kurzen Abriss der Geschichte des islamischen Terrorismus sowie eine Genealogie von al-Qaida. Dem Autor ist es wichtig zu differenzieren, Widerstandskämpfer von Glaubenskriegern zu unterscheiden und die verschiedenen Beweggründe für einen Einsatz in Afghanistan nicht außer Acht zu lassen.

Am interessantesten erscheint mir dabei der Bericht von der Gründung eines Dialog-Forums durch den Präsidenten der Jemenitischen Organisation für Menschenrechte, Qadi Hamud Abd ul-Hamid al-Hitar, das dazu dient, Afghanistankämpfer in ihre ursprüngliche Gesellschaft zu reintegrieren. Das Arbeitspapier hieß: „Der Dialog und seine Auswirkungen in der Bekämpfung des Terrorismus.“ Dass dabei nicht leichtsinnig mit Schuld umgegangen wird, ist an den Ergebnissen abzulesen. Zwischen dem 5.September und dem 11.November 2002 wurden 104 ehemalige Kämpfer zur Teilnahme am Dialog zugelassen, nur 36 wurden rehabilitiert. Ein praktikabler Kontrapunkt zum Gefangenenlager Guantánamo der USA auf Kuba. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2008)

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