Der falsche Mogul erzählt

Vespucci, Gast am Hofe Akbars, unterhält den Herrscher mit Erzählungen. Die Märchen aus „Tausendundeiner Nacht“ stan- den Pate für Salman Rushdies Roman „Die bezaubernde Florentinerin“. Eine postmoderne Märchenburleske.

Im Februar war es 20 Jahre her, dass der Ayatollah Khomeini seine Fatwa gegen Salman Rushdie aussprach, wegen des Buches „Satanische Verse“, von denen die Orientalistin Annemarie Schimmel erzählte, die in ihnen ausgesprochenen Lästerungen des Koran hätten in Pakistan und anderswo erwachsene Männer zum Weinen gebracht. Man kann nicht behaupten, der Zorn der Gläubigen sei inzwischen verraucht; zuletzt hat der Karikaturenstreit gezeigt, dass auch ein kleiner Anlass genügt, um die Eiferer erneut in Wallung zu bringen. Rushdies Feinde haben, wie es aussieht, nichts dazugelernt, weniger jedenfalls als auf der anderen Seite Rushdie selbst. Vielleicht ist er auch nur vorsichtig geworden. Schaut man auf seinen jüngsten Roman, „Die bezaubernde Florentinerin“, dann ist von der alten Lust zur Blasphemie nur wenig zu spüren.

Provokationen, die man – vielleicht irrtümlich – von Rushdie erwartet, beschränken sich – aber auch das kann Provokation genug sein – auf das Lob des Polytheismus, besser: des Polyatheismus. „Die wahrhaft Gläubigen“, erwidert der Erste Minister des indischen Moguls auf dessen Frage, was er den Gläubigen sagen würde, wäre er selbst Atheist, die wahrhaft Gläubigen also „haben jeden Grund, an allen anderen Göttern außer ihren eigenen zu zweifeln, und deshalb geben sie mir in ihrer Gesamtheit genügend Anlass, an keinen zu glauben“. So arbeiten also die Strenggläubigen in ihrer Ablehnung aller anderen Religionen an der Beförderung des Unglaubens kräftig mit; eine Nachricht, die keinen Frommen freuen, aber sicher auch keinen von ihnen in seiner Überzeugung beirren wird, im einzig wahren unter lauter falschen Glauben zu leben.

Nichts Neues also, was die theologischen Fronten angeht (oder nur insofern, als Rushdie mehr denn je das Universale, Gesamtmenschheitliche zu seiner Sache erkoren hat), und auch nichts literarisch Neues in seinem zehnten Roman. „Die bezaubernde Florentinerin“ weist all das in Fülle auf, was die Freunde der magisch-realistischen Schule Rushdie'scher Prägung lieben und was ihre Verächter nur schwer ertragen. Wer es üppig, exuberant und postmodern verspiegelt mag, kommt hier ganz auf seine Kosten. Erneut fährt Rushdie das ganze Arsenal seiner fabelhaften erzählerischen Möglichkeiten auf – aber nicht alles ist hier blühende Fantasie. Fünf Seiten Bibliografie am Buchende belegen, dass Rushdie regelrecht geforscht hat, und zwar über zweierlei Welten, die am Ende eine einzige sind: die Welt des Kaiser-Moguls Akbar im indischen Fatehpur Sikri und jene der florentinischen Renaissance und dreier ihrer Protagonisten. Wir schreiben das Jahr 1572. „Im letzten Licht des Tages gleißte der See vor der Palaststadt wie ein Meer aus Gold“, so der Beginn des Romans, in dem sich ein „gelbhaariger“ Reisender seinem Ziel nähert.

Sein Name ist Ago oder auch Niccolo (nach Niccolo Machiavelli, seinem Freund) Vespucci, aber manchmal nennt er sich auch „Mogul der Liebe“, und überhaupt ist dieser Ago oder Niccolo der geborene Erzähler, und dass er behauptet, Akbars Onkel zu sein, könnte wie vieles andere seiner sprühenden Einbildungskraft entsprungen sein. Das Erzählmodell liefern natürlich die Märchen aus Tausendundeiner Nacht, aber hat nicht Florenz mit Boccaccio und seinem „Dekameron“ seine eigene Scheherazade hervorgebracht?

Die Schicksale dreier Freunde

Die Handlung, opulent und verschlungen, wie es sich für Rushdie gehört, besteht im Wesentlichen aus den Erzählungen, mit denen Vespucci, der Gast am Hofe Akbars, den Herrscher unterhält. Namentlich geht es um den Bund und um die Schicksale dreier Freunde in Florenz: Vespucci, Argalia und Machiavelli. Der Erste hat mit seiner Schönheit und seiner Eloquenz die Welt bereist und bezaubert. Der Zweite wurde ein großer Feldherr im türkischen und später im Florentiner Sold und der Ehegatte der Prinzessin Qara Göz, die wiederum in undurchsichtiger Verbindung mit dem Mogul Akbar steht. Und der Dritte, Machiavelli, blieb als Einziger zu Hause in Florenz und erlitt alle Strafen und Demütigungen, die einem Freigeist unter den Medici blühen konnten (die einzige Figur übrigens, die nicht unter Rushdies orientalisierendem Dekor verschwindet).

Das alles ist gut recherchierter und dann postmodern nachbearbeiteter Historienstoff– „Metafiktion“ heißt so etwas wohl, eine Fiktion, die sich ihrer selbst und ihrer Kunstmittel bewusst, allzu bewusst ist, und die dieses Wissen gern vorzeigt. Männliche Abenteurer also einerseits, und verehrungswürdige und absolut geheimnisvolle Frauen andererseits: Das ist in etwa das Figurenrepertoire dieses Romans. Kein lebender Romancier singt beharrlicher das Lob der Weiblichkeit als Rushdie. Doch selbst wenn man den Roman nicht durch die Brille des Gender-Beauftragten liest, geht einem diese indisch-florentinische Märchencamouflage, gerade auch in ihrer voll tönenden Frauenverherrlichung, gehörig auf die Nerven.

Das Märchen, gleich welcher Provenienz, gehört nun einmal zu den einfachen Formen – und auch die postmoderne Märchenburleske nach Art dieses Romans entgeht nicht den Beschränkungen dieser Form. Mit Ausnahme Machiavellis sind alle Figuren hier märchenhaft langweilig, die Männer und die Frauen, auch und gerade die bezaubernde Florentinerin, das „Schwarzauge“. „Als der große Krieger Argalia die überirdisch schöne Qara Köz traf“, so erläutert der „Mogul der Liebe“ dem wirklichen Mogul Akbar, „begann eine Geschichte, die den Glauben aller Menschen erneuerte – Euren Glauben, Großer Mogul, Gatte aller Gatten, Liebhaber aller Liebhaber, König aller Könige, Mann aller Männer! –, an die unsterbliche Macht und außergewöhnliche Kraft des menschlichen Herzens zur Liebe.“

Das sollen wir jetzt glauben? Ist Salman Rushdie, der Spötter und Blasphemiker, nun bekehrt zur universalen Religion der Liebe, oder wem hat er, zu welchem Zweck, diesen Glauben nur in den Mund gelegt? Gedanklich bleibt die Ausbeute seines Romans bescheiden. Sie besagt, dass kulturelle Unterschiede vor der Allmacht von Liebe, Sex und Hedonismus, aber auch vor dem Anspruch auf Toleranz und Freiheit zurücktreten müssen – nicht der Westen hat diese Werte erfunden und nicht der Osten, sondern die Menschheit. Die Einsicht ist gut, sie verdient Verbreitung, aber sie wäre auch ohne den routinierten Mummenschanz dieses Romans zu haben gewesen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2009)

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