Die falsche Schwester

Kunstkrimi: Josef Nyáry geht der Geschichte von Mona Lisas Zwillingsschwester nach.

Um Leonardo da Vinci spinnen sich viele Geheimnisse, er hat von jeher Rätsel aufgegeben. War er eine Art frühneuzeitlicher Magier mit nekromantischem Einschlag oder ein Denker, der die moderne Naturwissenschaft vorweggenommen hat?

Einig ist man sich darüber, dass er ein Universalgenie war und in Wissenschaft und Kunst gleichermaßen Geniales geleistet hat. Von einer Kunst, die Leonardo nicht minder gut beherrscht zu haben scheint, liest man jedoch wenig: von seiner Kunst, sich zu stilisieren. Denn bei aller Genialität ist Leonardo auch der Forscher, dessen Schriften bestenfalls zur Skizze – oft im wahrsten Sinn des Wortes–herangereift sind, und er ist der Maler, der kaum je ein Werk vollendet hat. Insgesamt sind es nicht mehr als 15(!), die man ihm entweder ganz oder zumindest teilweise zuschreibt. Es war sein ungebrochenes Bestreben, die Wirklichkeit in seinen Gemälden so wahrheitsgetreu wie möglich darzustellen, das ihn schwer zufrieden sein ließ. Der „göttliche Künstler“ scheiterte in gewisser Weise an seiner empirischen Sichtweise auf die Welt und an seinem Hang zur Perfektion, der schon fast psychotisch gewesen sein dürfte.

Leonardo hat Begonnenes, das seinen Vorstellungen nicht zur Gänze entsprochen hat, einfach liegen gelassen. Oder er hat es öfter gemalt. Die „Mona Lisa“ etwa? Vor einiger Zeit präsentierten Experten der „Mona Lisa Foundation“ in einem Hotel in Genf ein zweites Bild der „Gioconda“, die nach ihrem Fundort benannte „Isleworth Mona Lisa“. Die Sensationsmeldungen in den Zeitungen überschlagen sich: „Zweite ,Mona Lisa‘ gefunden!“, „Zwillingsschwester der ,Mona Lisa‘ entdeckt!“ Jedoch auch Zweifel mehren sich: „Sensation oder Ente?“

Seit damals kreist die Forschung erneut um die Frage, ob jene zweite „Mona Lisa“ auch wirklich ein Werk jenes Renaissancemalers ist, um den sich schon zu seinen Lebzeiten die wundersamsten Mären gewoben haben. Viele Fachleute sind skeptisch. Sie halten das Bild für eine Kopie, noch dazu für eine schlechte. Es wäre auch nicht die erste. So sind etwa allein drei Fälschungen – eine im Besitz von Benjamin Guggenheim – am 14.April 1912 mit der Titanic untergegangen.

Der Diebstahl aus dem Louvre

Josef Nyáry präsentiert hier nun die Ergebnisse seiner Recherche um die Geschichte der beiden „Mona Lisas“. Sie lesen sich wie ein packender Kunstkrimi, wenn er etwa von dem kuriosen Diebstahl der echten „Mona Lisa“ aus dem Louvre im Jahr 1911 erzählt – ein italienischer Patriot wollte sie damals lieber wieder in Florenz, also ihrer Heimat, sehen–, oder wie ein Handbuch für potenzielle Fälscher, wenn Nyáry den komplizierten Techniken des Kopierens von Alten Meistern auf den Grund geht. Natürlich geht es auch um die schwer durchschaubaren Machenschaften des Kunstmarkts: Die „Isleworth Mona Lisa“ wäre im Fall ihrer Echtheit von geradezu unschätzbarem Wert für ihren jetzigen Besitzer. Es gibt also ein ganz handfestes Interesse, sie als die legitime Zwillingsschwester der „Mona Lisa“ Leonardos auszuweisen.

Josef Nyáry ist in seinem Buch dem wahrscheinlich letzten Geheimnis, das Leonardo uns aufgegeben hat, nachgegangen, und dies zugleich in äußerst unterhaltsamer wie auch wissenschaftlich fundierter Weise. Seinen historischen Aufriss über die Geschichte der beiden „Mona Lisas“ zu lesen stellt eine große Bereicherung dar, nicht nur für Kunsthistoriker! Ob die „Isleworth Mona Lisa“ nun echt ist oder nicht? Lesen Sie selbst! ■

Josef Nyáry

Das letzte Geheimnis des Leonardo da Vinci

256S., geb., €19,95 (Ecowin Verlag, Salzburg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2014)

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