Abkehr von den schönen Worten

Der Kunst als gesellschaftlichem Faszinosum verschließt sich auch die Literatur nicht. Besonders interessant sind Texte, die sich als Konzeptkunst lesen lassen.

Längst hat die Anziehungskraft der bildenden Kunst die Aura des Kunstwerks hinter sich gelassen; auch das Marktgeschrei, das in Strömen fließende Geld sind Themen, die in Gesellschaftsspalten und auf Wirtschaftsseiten aufgegriffen werden. Seit Gottfried Keller seinen „Grünen Heinrich“, den erfolglosen Kunstmaler Heinrich Lee, losziehen ließ, auf dass er sein Glück versuche, haben sich die Verhältnisse also empfindlich geändert. Und während Kellers Heinrich als Bildungsromanantiheld kläglich scheitert, nicht einmal in die Fußstapfen seines als Kunsthandwerkers zu Wohlstand gelangten Vaters zu treten vermag, stellt sich in zeitgenössischen Texten, die einen Werdegang in der bildenden Kunst nachzeichnen, häufig eher die Frage: Wie wird der Maler zum Millionär? Kunst ist zum gesellschaftlichen Faszinosum geworden, an dem auch die Literatur teilhaben möchte.

Als artgerechte Einstiegslektüre für Interessierte eignet sich etwa der (nicht ins Deutsche übersetzte) Roman „An Object of Beauty“ des Schauspielers und Kunstsammlers Steve Martin. Martin erzählt den Werdegang der überaus ehrgeizigen Kunstparvenus Lacey Yaeger: Ihre Lehr- und Wanderjahre führen sie aus einem Auktionshaus zu einem Kunsthändler, bis hin zu ihrer eigenen, auf zeitgenössische Kunst spezialisierten Galerie, wobei ihr Erfolg – bezeichnend für die enge Verquickung von Kunst und Geld – im September 2008 mit dem Kollaps des Finanzmarkts zu einem jähen Ende kommt. Bis dahin scheffelt Yaeger Geld, denn das Wertsteigerungspotenzial der Arbeiten von jungen, zum Teil noch unbekannten Künstlern ist enorm: „Zeitgenössisches ist billig, ich kann den ganzen Tag lang einkaufen. ,Sammler‘ ist ein zu nettes Wort für das, was ich bin. Ich bin ein Shopper“, bringt es einer von Yaegers Kunden auf den Punkt.

Auch der Autor des Achtzigerjahre-Erfolgsromans „Fegefeuer der Eitelkeiten“, Tom Wolfe, hat sich in seinem bisher letzten Titel, „Back to Blood“, der Kunstwelt zugewandt. Die Handlung ist in der multiethnisch pulsierenden Metropole Miami angesiedelt und streift, was angesichts der Magnetwirkung der Kunstmesse Art Basel Miami kaum anders möglich ist, auch diesen Kosmos. Als „Super Bowl der Kunstwelt“ bezeichnet der Autor diese Verkaufsveranstaltung, und er lässt Milliardäre als „schmutzige alte Maden“ über die Messefläche hereinbrechen, wo sie ihre Gelüste in einem exklusiven Preview-Zirkel ausleben.

Nur leicht chiffriert tauchen Figuren wie der einflussreiche Galerist Harry Goshen auf, unschwer als Larry Gagosian zu erkennen, während sich unter die berühmten Kunstkäufer die Schauspieler Leon Decapito und Kanyo Reade mischen. Für zusätzlichen Suspense sorgt ein in das Kunstmilieu eingestreuter Kriminalfall – „Back to Blood“ ist ein typisches Produkt der amerikanischen Entertainmentindustrie.

Ein Bild wird zum Verhängnis

Einen bleibenderen Eindruck hinterlassen Texte, in denen der Leser gleichsam zum Betrachter wird, Literatur, die sich an der bildenden Kunst beteiligt, sie in sich aufnimmt oder aus sich heraus entstehen lässt. Dazu eine Vorbemerkung: Die ersten zehn Seiten seiner „Ordnung der Dinge“ widmet Michel Foucault einer minutiösen Beschreibung und Analyse der „Meninas“ von Diego Velázquez. Das Besondere an der von Velázquez gewählten Darstellungsweise besteht nicht nur darin, dass der Maler vor seiner Staffelei zu sehen ist und es sich um ein Selbstporträt des Kunst schaffenden Künstlers handelt. Nein, die Reflexion seiner Situation geht einen Schritt weiter, denn der Betrachter der „Meninas“ erblickt sich selbst in einem an der rückwärtigen Wand angebrachten Spiegel als Porträtierter (er nimmt somit die Position des spanischen Königspaares ein), das Porträt selbst entzieht sich den Blicken: „Der Maler ist ein wenig hinter sein Bild zurückgetreten“, lautet der erste Satz Foucaults.

„Jeff Koons war eben aus seinem Sessel aufgestanden, seine Arme in einem Anflug von Enthusiasmus nach vorn gestreckt“, beginnt indessen Michel Houellebecq seinen 2010 mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Roman, „Karte und Gebiet“. Auch bei Houellebecqs Text handelt es sich um eine Variante der Mise en abyme: Der in die Erzähltheorie aus der Heraldik eingeführte Begriff bezeichnet die Abbildung eines Bildes im Bild. In ihrer ursprünglichen Form findet die Mise en abyme ohne Medienwechsel statt, Houellebecq jedoch beschreibt hier das Œuvre seines Protagonisten, Jed Martin, so detailliert und mehrere Werkphasen berücksichtigend, dass eigentlich nur mehr die Ausführung mit den Mitteln visueller Gestaltung ausständig ist: Die Literatur nimmt als Konzeptkunst ein bildnerisches Werk vorweg.

Jed Martin beginnt seine erfolgreichsten Jahre als Fotograf, der Ausschnitte von Michelin-Landkarten verschiedener französischer Regionen in Großaufnahmen abbildet. Er wendet sich später in der „Serie einfacher Berufe“ der Darstellung von Personen mit eindeutigem beruflichen Hintergrund zu. „Bill Gates und Steve Jobs unterhalten sich über die Zukunft der Informatik“ lautet der Titel eines der Bilder. Das eingangs Beschriebene heißt „Damien Hirst und Jeff Koons teilen sich den Kunstmarkt“. Houellebecq, der sich in dem Buch selbst vorkommen und in einer von vielen Parallelhandlungen zu Tode kommen lässt, verfasst als Romanfigur in „Karte und Gebiet“ einen umfassenden Katalogbeitrag über Jed Martins Arbeiten. Eben dieser Text wird dem fiktiven Houellebecq später zum Verhängnis.

Die Romanfigur Houellebecq nämlich, ein von vielen gehasster, unbequemer Zeitgenosse, wird zuletzt deshalb ermordet, weil ihm Jed Martin das Porträt „Michel Houellebecq, Schriftsteller“ als Honorar für seinen Katalogtext überlässt. Als Notiz am Rande kann vermerkt werden, dass kein anderes Objekt oder auch unvollendetes Manuskript im Haus des Schriftstellers als ausreichend kostbar angesehen wird, um als Motiv herzuhalten. Die bildende Kunst sticht die Literatur aus, wenn man so will.

Keines seiner Gemälde zwar, doch immerhin die Verortung seines Ateliers in einem noch nicht gentrifizierten, unwirtlichen Stadtteil wird zum Verhängnis von Iwan Friedland, einer der drei Hauptfiguren in Daniel Kehlmanns Roman „F“. Iwan versucht sich anfangs selbst als Künstler, wird später zum Kunsthistoriker und reüssiert schließlich als Nachlassverwalter des Malers Heinrich Eulenböck, seines verstorbenen Lebensgefährten, indem er den Großteil von Eulenböcks auf dem Kunstmarkt gefragten Werken posthum selbst schafft. Iwan Friedland bewerkstelligt damit einen Kurzschlusseffekt im Kunstbetrieb: Er verleiht einer Kunst, die er mit postmodernen Mitteln selbst schafft, kraft des Gewichts seiner Expertenstimme Gewicht und schafft nicht nur Eulenböcks Œuvre als Maler, sondern auch das Künstlerkonstrukt selbst, das er in einem seiner Texte wie folgt beschreibt: „Ein zurückgezogener Aristokrat, ein stolzer Außenseiter, der die Kunst seiner Zeit mit Verachtung verfolgt und keine Entwicklung versäumt hat. Auf vielen Bildern, ausgeführt mit feinem Spott, findet sich irgendwo die Arbeit eines Künstlers jener Gegenwart abgebildet, die er für nichtswürdig hält.“

Auch Kehlmann beschreibt in „F“ genauestens die Werke von Eulenböck/Friedland. Bilder wie „Urlaubsfoto Nr.9“ („Gemälde, das einen französischen Martkplatz und eine Niki-de-Saint-Phalle-Plastik zeigt“) oder die „Marktszene“ („Ein dramatischer Moment in einem Auktionshaus, das Publikum starrt gebannt zum Auktionator, der im Begriff ist, den Zuschlag für eine monochrom blaue Leinwand von Yves Klein zu erteilen“) machen den Leser zum Betrachter.

An einem Verwirrspiel, das in der Kunstszene seinen Ausgang nimmt, beteiligt sich wiederum der deutsche Popliterat Joachim Lottmann in seinem im Frühjahr erschienenen Roman „Endlich Kokain“. Er lässt nicht nur den in Berlin lebenden Wiener Künstler Stefan Draschan als Kokainlieferanten seines Romanhelden Stephan Braum auftauchen, sondern er führt auch die von Stefan Draschan als Kunstfigur geschaffene Künstlerin Elena Muti in seinen Roman ein. Muti, die bei Lottmann als sogenannte Galerina vorkommt („In allen Galerien der Welt traf man sie an: dünne, ätherisch-schöne Frauen zwischen 25 und 35, leicht verblüht, kunstsinnig und eingebildet, mit einem Hang zum Masochismus und zum Dienen“), dient dem echten Draschan als Projektionsfläche für die Arbeit eines Kunstkollektivs, das unter dem Namen Elena Muti als vorgebliche Urheberin firmiert.

Das Kulturprodukt zählt

Ebenfalls beteiligt an diesem Verwirrspiel, das Lottmann mit „Endlich Kokain“ stützt, ist Draschans in Wien lebender Bruder, Thomas. Lottmann arbeitet beide Draschans sowie die Kunstfigur Muti in seinen Roman ein, dessen Gipfelpunkt eine orgiastische Kunstparty zu Ehren des aus dem Koma erwachten Kunstmalers Josef Hölzl ist. Ein Echo der Situation in „F“: Auch bei Lottmann malt die Figur Thomas Draschan Hözl-Bilder, um die steigende Nachfrage nach Arbeiten des Malers, der im Koma liegt, befriedigen zu können.

Nicht dem Kunstmarkt, sondern, in allerdings kaum da gewesener Form, zuvorderst dem Literaturbetrieb widmet sich Marlene Streeruwitz in ihrem Roman „Nachkommen“. Das Feilschen um Bücher als Kulturprodukte beschreibt sie aus ernüchterter Perspektive ähnlich entrückt, wie sich die zuvor erwähnten Schriftsteller der bildenden Kunst nähern. So ist in „Nachkommen“ fast nie von dem Roman der Protagonistin Nelia Fehn die Rede, sondern, wenn Verleger und Investoren oder Messebesucher sprechen, stets nur von ihrem Buch – also einem für das System relevanten Objekt. Und ebenso selten, wie in „Nachkommen“ die Menschen, auf die Nelia Fehn trifft, ihren für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman tatsächlich gelesen haben, würdigen Besucher in den von Tom Wolfe oder Steve Martin beschriebenen Millionärslofts die sagenhaft wertvollen Kunstwerke an den Wänden ihrer Gastgeber eines interessierten Blickes.

Doch auch in „Nachkommen“ taucht die Kunst wie ein Damoklesschwert am Horizont der Literatur auf: Die wichtigste Investorin in Nelia Fehns Heimatverlag sucht nämlich nach dem Zerwürfnis mit ihrem literaturliebenden Ehemann ein neues Betätigungsfeld: „Ich glaube, ich werde mich lieber in die bildende Kunst hineininvestieren“, sagt sie, und: „Aber ich finde die bildende Kunst einfach mehr sexy. Männlicher.“ Wie bezeichnend, dass mit diesen Worten die vermögendste Literaturmäzenin in einem Buchmarktroman ihre Abkehr von den schönen Worten vollzieht. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2014)

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