Nur die Preußen brauchten lange

Hazel Rosenstrauch zeigt in „Congress mit Damen“, wie diese 1814/15 in ihren Salons hinter dem Rücken der Diplomaten und gekrönten Herrscher die Fäden zogen. Gräfin Fuchs galt gar als „Königin“ des Kongresses.

Es war ein Ereignis von europäischem Rang, und Wien war für mehrere Monate gleichsam die Hauptstadt des Kontinents: Der Wiener Kongress begann im Herbst vor 200 Jahren. Allerdings wird das Jubiläum in diesem Jahr vom Gedenken an das Ausbrechen des Ersten Weltkriegs überschattet.

Dabei wurden beim Wiener Kongress 1814/15 Entscheidungen getroffen, die in direkter Linie auf den Ersten Weltkrieg zuführen. Das wird bei der Lektüre des Buches von Hazel Rosenstrauch deutlich. Immer wieder zieht sie aktuelle Parallelen etwa zwischen dem Kongress und der Unentschlossenheit der heutigen EU.

Der Schwerpunkt ihres Buches ist aber den Frauen des Wiener Kongresses gewidmet. Jenen, die in ihre prunkvollen Salons einluden, die Mächtigen berieten und Gespräche vermittelten. Denn es war durchaus nicht so, dass der Kongress lediglich tanzte und nichts weiterbrachte, gemäß dem Aperçu des Fürsten de Ligne, auch waren die Beiträge der Frauen keineswegs auf Belustigungen und Bettgeschichten beschränkt.

Die Autorin stellt überraschend selbstständige, gebildete und kluge Frauen vor, die mitunter den Kongress in ähnlicher Weise wie jene Männer, die nach der Niederlage undVerbannung Napoleons Europa neu ordnen sollten, beeinflusst haben. Rosenstrauch zeigtein Wien, das aus allen Nähten platzt: Die 238.000 Einwohner große Stadt beherbergt zur Zeit des Kongresses fast das Doppelte an Menschen. Jeder König, jeder Fürst ist mit seinem Gefolge angereist, unterschiedliche Kulturen treffen aufeinander.

Anfangs sind die Wiener noch begeistert, können sich nicht sattsehen an den bunten Uniformen, feierlichen Ein- und Umzügen, Feuerwerken. Wien versteht es, seine Gäste bei Laune zu halten: mit täglich stattfindenden Festen, Tanzveranstaltungen oder einem Maskenball für 10.000 geladene Gäste. Pomp und Prunk regieren die Kaiserstadt. Salieri etwa dirigiert ein Konzert mit 100 Klavieren, Beethoven ein Orchester von 1000 Musikern.

Zwischen all dem Treiben halten Damen der ersten und zweiten Gesellschaft ihre Salons, in denen die „Entscheider“ gern gesehene Gäste sind. Rosenstrauch erzählt, dass die Gräfin Fuchs als die „Königin“ des Kongresses beschrieben wurde, zu den Soireen von Molly Zichy-Ferrari nur besonders auserwähltes Publikum Einlass fand. Spötter unterschieden die Frauen, die beim Kongress mitmischten, in „Elegänse und Intelligänse“.

Weniger steif als in der Hocharistokratie soll es bei den Empfängen von Fanny von Arnstein zugegangen sein. Man spielte dort Theater oder machte Musik. Sie gehörte zur zweiten Gesellschaft, dem Geldadel, den für ihre Leistungen geadelten Juden in der Habsburger-Monarchie. In Berlin mussten jüdische Salonièren konvertieren, wollten sie Zutritt zur Gesellschaft bekommen, in Österreich gewährte das Toleranzpatent Juden schon seit drei Jahrzehnten diverse Freiheiten. Rahel Levin kam von Berlin nach Wien, nannte sich hier Friederike Varnhagen von Ense und wurde von Heinrich Heine als „geistreichste Frau des Universums“ bezeichnet.

Caroline Pichler, patriotisch deutsch und selbst Schriftstellerin, beherbergte bei ihren Gesellschaften während des Wiener Kongresses die Romantiker, etwa Friedrich und Dorothea Schlegel. Künstler waren bei ihr zu Gast, eine eigene, dritte Gruppe der Gesellschaft. Ehefrauen und Verwandte bestimmten die Politik dieser Tage ebenfalls mit: Die Lieblingsschwester des Zaren, Großfürstin Katharina Pawlowna, war auch seine politische Vertraute. Ebenso half die Gattin des Fürsten Metternich, der gleichsam Gastgeber des Kongresses war, diesem in seinen politischen Geschäften, obwohl sie wusste, dass er sie regelmäßig betrog. Zwei seiner Geliebten wohnten pikanterweise im selben Wiener Palais: Katharina Bagration und Wilhelmine von Sagan. Von zweiter will Friedrich Gentz, rechte Hand Metternichs und graue Eminenz des Kongresses, „vieles gelernt haben“. Kaiser Franz soll von seiner Frau, Maria Ludovica, auf die die deutschen Patrioten gesetzt haben, gesagt haben: „Sie hat zu viel Geist für mich.“

Am anderen Ende der Skala stehen die Musen, Kokotten und Gespielinnen der Reichen, etwa die Tänzerin Emilia Bigottini, die alsbald der Spionage verdächtigt wurde. Überhaupt konnte Rosenstrauch offenbar so reichlich fündig werden, weil die Staatspolizei bei all den gesellschaftlichen Ereignissen mithörte, Aufzeichnungen führte und das Spitzelwesen blühte. Dies mag nur ein Beispiel für Ähnlichkeiten zur jüngsten Geschichte und Gegenwart, etwa zur Stasi der DDR, sein.

Nach nicht einmal der Hälfte des Buches weitet die Autorin ihr Thema aus, wohl, weil nun über die Frauen beim Wiener Kongress doch das Wichtigste gesagt ist. Dann erzählt sie über die Geschichte des politischen Ereignisses generell, tut dies aber immer wieder mit erstaunlich aktuellen Bezügen: So wirkte sich der Kongresstourismus auf den Wohnungsmarkt in Wien aus: Nicht nur wegen des zunehmenden Mangels an Wohnungen wurden die Wiener des Treibens in ihrer Stadt bald überdrüssig. Das aufkommende Bürgertum lehnte zudem das libertinäre Leben des Adels ab. Auch verschuldete der Staat sich hoch, um all den Aufwand als Gastgeber finanzieren zu können, während Kaufleute und Dienstleister in jenen Monaten das große Geschäft machten und in der Gesellschaft aufstiegen. Die Autorin sieht außerdem Ähnlichkeiten zu heute, was „Beschleunigung, Spekulationsblasen und das Weinen über verlorene Werte“ betrifft.

Auch wenn Rosenstrauch beim Wiener Kongress einen Masterplan und eine Gesamtkonferenz vermisst, so mutet er doch erstaunlich modern an: Nicht nur, dass erstmals Frauen so viel Einfluss auf das Geschehen wie nie zuvor haben. Der Kongress ist eine erste gesamteuropäische Veranstaltung mit zähen Verhandlungen und Ergebnissen, mit denen niemand richtig zufrieden ist. Lobbys spielen eine Rolle, wechselnde Bündnisse und Intrigen. Rosenstrauch erinnern Zank um Länder und Gebietstausch an ein „Monopoly“-Spiel.

Die Österreicher als Gastgeber haben allerdings erkannt, dass die unterschiedlichen Kulturen, politischen Ansprüche undAnimositäten aus vergangenen Kriegen nur über ein entspannendes Rahmenprogramm zu entschärfen und die Repräsentanten der europäischen Länder nur so zusammengeführt werden konnten. Der Zeremonienmeister schreibt in einem Bericht, nur „die Preußen brauchten lang, um zu begreifen, dass die Lustbarkeiten für ein Klima der Toleranz sorgen“.

Auch wenn Europa nach dem Kongress alles andere als gut geordnet war, auch wenn sich weithin Polizeistaaten etablierten: Nach ihm war eine neue Zeit angebrochen, es war nicht mehr so wie vorher. Und dazu hatten nicht zuletzt starke und kluge Frauen beigetragen. ■

Hazel Rosenstrauch

Congress mit Damen

Europa zu Gast in Wien 1814/15. 144 S., geb., €18,90 (Czernin Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2014)

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