Wedeln als Lebensstil

Gründlich: eine Studie über den Arlberg als Geburtsstätte des modernen Skilaufs.

Der alpine Skilauf ist endgültig als Thema der empirischen Kulturforschung etabliert. Ein Buch untersucht beispielhaft die Entwicklung des Skilaboratoriums Arlberg. Manchmal ist das Lesen eines Buches fast so gut wie das richtige Ding. Skifahren am Arlberg zum Beispiel.

Die Kulturtechnik des modernen Skilaufs ist zu einem guten Teil auf den Hängen des Arlbergs entstanden. Die Kulturwissenschaftler Sabine Dettling und Bernhard Tschofen haben ein mehrjähriges Forschungsprojekt zur Entwicklungsgeschichte des Skilaufens auf dem Bergmassiv zwischen Tirol und Vorarlberg zu einem Buch von seltener Klugheit und sinnlicher Ausstrahlung zusammengefasst. „Skikultur am Arlberg“ macht augenscheinlich, warum die sprichwörtliche Bewegung auf „zwei Brettern“ eine derartige Anziehungskraft ausübt und Österreich als industrieller, ideeller und personeller Exportartikel dient.

Vordergründig geht es um die Erschließung der Region mithilfe von Sportgeräten, die Menschen seit Jahrtausenden zur Jagd im Winter verwendeten. Der Lilienfelder Erfinder Mathias Zdarsky oder der Nazi-Gegner Hannes Schneider, Erfinder der „Arlberg-Technik“, haben die Bretter alpintauglich gemacht und Lehrmethoden entwickelt, um ihre Verwendung allgemein zugänglich zu machen. Filmkünstler wie Arnold Fanck, der Begründer des Bergfilm-Genres, und die Opportunistin Leni Riefenstahl haben die Ästhetik des Skischwungs formuliert.

Der Wiener Ingenieur und Jude Rudolf Gomperz ließ sich 1905 in St. Anton nieder, er propagierte den Ski-Tourismus, wurde von den Einheimischen verraten, von den Nazis ermordet und vorübergehend aus der Dorf-Chronik gestrichen. Der Arlberg wurde zum Ausbildungszentrum der zivilen Weltskilaufgemeinde, und während der Weltkriege wurden dort Tausende Soldaten zu geländegängigen Bergjägern gedrillt. Der Arlberg diente Skipredigern als Rohstoff und Anschauungsobjekt für ihre Geschichten, die erst die Öffentlichkeit und damit die Grundlage des Tourismus schufen.

Schwärmerei für das „Natürliche“

Diese Bewegungskultur öffnete den Einheimischen die winterlichen Berge vor ihrer Haustüre und zog Gäste aus aller Welt in die „unberührte Natur“. Die Natur wurde berührt, verändert, mit tradierbaren Begriffen kodifiziert und in befahrbare Hänge und Gipfel eingeteilt. Die Schwärmerei für das „Natürliche“ hatte das Objekt ihrer Schwärmerei im selben Augenblick „entweiht“, da sie seine Unberührtheit für die eigene Exaltiertheit benutzte. Der Skilauf ist insofern auch eine Sonderform der Bergbegeisterung mit ihren esoterischen bis faschistischen Ideologiesplittern. Und er ist bei aller Schwärmerei für Natur, Luft, Sonne und Körperertüchtigung eine Schöpfung der Moderne, er beruht auf der Ingenieuerskunst vom Straßen- bis zum Bindungsbau. Und er eröffnete einen neuen, für schneesichere Bergdörfer hoch lukrativen Geschäftszweig, der zwar Entspannung und Naturnähe verspricht, aber oft Hektik und Promi-Getue liefert.

Und doch schimmert in den ORF-Übertragungen von den Rennen des Skiweltcups fallweise noch für Sekunden das geradezu heilige Staunen durch, das der Anblick eines vor den Skispitzen unberührt daliegenden Tiefschneehangs auslöst. Tschofens und Dettlings Buch beginnt 1880 und endet 1960, die Auswüchse des modernen Skirennsports werden kaum berührt, hoffentlich sind sie einer ähnlich gründlichen Aufarbeitung vorbehalten. ■

Bernhard Tschofen, Sabine Dettling

Spuren – Skikultur am Arlberg

356 S., ca. 700 Abb., geb., € 34 (Bertolini Verlag, Bregenz)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2015)

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