Knistern auf dem Linzer Schlossberg

Flott und amüsant: In seinem Roman „Die Anatomie der Träume“ stellt Wilfried Steiner genüsslich das Innenleben des Linzer Kulturbetriebs aus.

Hier auf dem Schlossberg erleben 90 Prozent der Linzer Bevölkerung ihren ersten Kuss“, sagt die attraktive Autorin Irene Augustin zu ihrem Gegenüber. Dieses, der Wiener Dramaturg Konrad Pinetti, erkennt in diesem Moment die Botschaft aber nicht, tut nicht das, was Unzählige vor ihm auf dem Linzer Schlossberg in trauter Zweisamkeit schon getan haben und lässt diese wie auch andere Gelegenheiten verstreichen, die schöne Frau zu erobern. Das tastende Sich-näher-Kommen der beiden Menschen ist einer der Handlungsstränge in Wilfried Steiners Roman „DieAnatomie der Träume“. Sein Ich-Erzähler soll für ein Wiener Theater, an dem er als Dramaturg arbeitet, einen Roman von Irene Augustin über das Jahrhundert der Psychoanalyse für die Bühne adaptieren, was nicht so recht gelingen will.

Wiederholt trifft sich der schüchterne Pinetti mit der selbstbewussten Schriftstellerin,dabei knistert es zwar jedes Mal gehörig zwischen beiden, doch kommt er nicht voran – beruflich wie privat nicht. Bei seinen Recherchen taucht er allerdings immer tiefer in Freuds Forschung, Bretons Schriften und Mahlers Musik ein und geht den Beziehungen zwischen diesen Persönlichkeiten nach.

Wilfried Steiner legt in dem Roman mehrere Ebenen an, zwischen denen er kapitelweise hin und her springt. Da ist einmal die Basisgeschichte zwischen Pinetti und Augustin. Dazwischen ist der Alltag am Theater eingestreut, die Proben zum neuen „Lear“ mit zwei Stützen des Hauses in den Hauptrollen. Eine andere Ebene sind Auszüge aus dem fiktiven Buch der fiktiven Irene Augustin sowie die dramaturgischen Umsetzungsversuche durch Pinetti.

Es liest sich zumeist flott und mitunter auch amüsant. Speziell wenn Steiner, der auch künstlerischer Leiter des Posthofs in Linz ist und sich spürbar in der Branche auskennt, das Innenleben eines Kulturbetriebs schildert. So etwas wird immer gern gelesen, und die Beschreibungen der Allüren, Eifersüchteleien und Eitelkeiten sind stets unterhaltsam. Steiner gelingen da auch durchaus witzige Dialoge.

Allerdings zieht es sich, wenn er in den Roman im Roman wechselt. Dann bekommt das Ganze etwas bemüht Sachbuchhaftes. Das Thema mag dem Autor wohl ein Anliegen gewesen sein, den Text kostet es aber einiges an Schwung. Alles ist sicher gut recherchiert, wirkt jedoch hemmend für den, der mehr an der Handlung und weniger an den Auseinandersetzungen der Surrealisten des 20. Jahrhunderts interessiert ist. Zudem heben sich diese Einschübe sprachlich nicht so deutlich vom übrigen Text ab, dass der Wechsel zwischen mehreren Ebenen faszinieren könnte. Wenn aber schon mit verschiedenen Elementen gearbeitet wird, wäre es die Herausforderung gewesen, sie auch im Duktus so voneinander abzugrenzen, dass sie eine unterschiedliche Autorenschaft zu suggerieren vermögen.

Steiner ist jedoch ein wortmächtiger Erzähler, der gerne beschreibt: Bilder, Musikstücke, Räume. Nach der dritten mehrere Absätze langen Impression einer Mahler-Sinfonie möchte man allerdings dem Autor zurufen, dass es nun auch wieder gut ist. Neben einigen Kleinigkeiten, die man sich eleganter wünschte, stört zudem ein in der Literatur verbreiteter Manierismus: Außer von seiner Exfrau, die ihn beim Vornamen nennt, wird der Dramaturg vom gesamten Personal des Romans mit „Pinetti“ angeredet. Nie erscheint ein „Herr“ davor. Aber wo kommt das in der Realität, außer beim Militär, vor? Es handelt sich um eine Marotte, wie sie auch im Fernseh-„Tatort“ üblich ist, wo sich die Kommissare, einander seit Jahren vertraut, lediglich mit dem Nachnamen anreden. Doch niemanden scheint das zu stören, weil sich der Rezipient bereits an diese unnatürliche Kommunikations-Künstlichkeit gewöhnt zu haben scheint.

Abgesehen von solchen Kleinigkeiten – oder sind es gerade sie? –, lässt „Die Anatomie der Träume“ den Leser mit ambivalenten Eindrücken zurück: Steiners Sprache lebt von spritzigen Ideen, auch wenn sie mitunter klischeehaft oder angestrengt gerät. Die Konstruktion der Geschichte ist hingegen durchwegs gelungen. Krönung des mehrschichtigen Aufbaus ist ein Breton-Zitat auf der vorletzten Seite, das alle Ebenen in sich vereint, gleichsam alle Fäden bündelt. ■

Wilfried Steiner

Die Anatomie der Träume

Roman. 272 S., geb., €24,90 (Metroverlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2015)

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