Wie viele Klafter Holz ist sie wert?

In „Wald“, ihrem dritten Roman, schildert Doris Knecht, wie eine erfolgreiche Karrierefrau aus ihrem gewohnten Leben fällt – und hart aufprallt. Mag die Natur da draußen auch noch so schön sein, Loos-Bar ist sie keine.

Mit den Stilettos hat alles begonnen, mit diesen knallroten, mörderisch hohen Lacksandalen von YSL. Sündhaft teuer und dazu noch grauenhaft eng und unbequem. Aber sexy, das jedenfalls, das richtige für einen Abend in der Loos-Bar, befindet Marian. Jetzt einen Drink, um die Riemchen nicht mehr zu spüren, die sich schmerzhaft ins Fleisch drücken. Das hilft. Ein paar Gin Tonics später nimmt das Desaster seinen Lauf. Es heißt Bruno, ist groß, charmant, witzig und führt mitten in den Abgrund. Der da liegt in einem abbruchreifen Haus in den Voralpen, gefühlte Ewigkeiten von allem entfernt, was Yves Saint Laurent in seine Kreationen verpackt hat.

Gerade erst ist die Verfilmung ihres Erstlings, „Gruber geht“, angelaufen, da erscheint der dritte Roman von Doris Knecht. „Wald“ erzählt die Geschichte einer Frau, die aus ihrem gewohnten Leben fällt und dabei hart aufprallt. Eine Art Emanzipation und darin das Porträt einer weiblichen Selbsterfahrung unserer Tage: unsentimental, zupackend und hellsichtig.

Mit vierzig verheiratet sein, die Karriereleiter weiter nach oben klettern und sich als Modedesignerin in Wien und auch international durchsetzen: Das war Marian Malins Plan. Vieles davon ist geglückt. Ein Shop in bester Lage, ein präsentabler Mann samt ernsthaften Heiratsabsichten, der Gärtner für die Dachterrasse, der Shiatsu-Masseur. Doch die Trennung von ihrem Verlobten und die destruktive Affäre mit Bruno werfen Marian aus der Bahn. Die Krise treibt sie in den Ruin. „Sie war mit den Lehman Brothers nicht verwandt, das geschah alles weit weg in Amerika, was hatte sie damit zu tun?“ Marian strampelt sich ab, vergeblich. Sie verliert das Geschäft, den Job, die Wohnung und den Freundeskreis. Bis sie nur mehr eine Lösung sieht: unterzutauchen, „nichts mehr zu haben und nichts mehr zu sein“.

Die 1966 in Rankweil (Vorarlberg) geborene Doris Knecht zeichnet eine Frau, die es gewohnt ist, ihre Ziele mit Tatkraft zu verfolgen und zuzugreifen, wenn sich Chancen bieten. Nach der finanziellen Talfahrt landet sie in einem verlassenen Haus „im Hinterfurz“, das sie von ihrer Tante geerbt hat. Früher hat sie sich einen Kuhdreck um Gemüsebeete oder Obstgärten geschert. Nun werden Kohlrüben, Birnen und Pilze zur Rettung. Dazu die Schnapsflaschen, die sie im Keller aufstöbert. Den ersten Winter übersteht sie kaum. Mit dem Frühling wendet sich ihr Blick.

Die Stadt- wird zur Landmaus. Marian (schon der Name „modern, kreativ, geheimnisvoll, androgyn“) wird wieder zu Marianne, zu jener, die sie wirklich ist, jenseits der gesellschaftlichen Erwartungen und Vorgaben. Ein ziemlich langer Weg. Je weiter der Roman voranschreitet, umso mehr schwimmt auch er sich von Mustern frei, wirkt selbstbewusst, entschlossen, oft sogar komisch, ohne dabei die Hauptfigur zu verraten.

Marian ist eine Heldin, die es ordentlich durchbeutelt. Die Gedanken an die früheren Lebensgewohnheiten verfolgen sie hartnäckig, die Häutung ist schmerzhaft. Der Schnaps hilft bei Anfällen von Verzweiflung und bei Zahnschmerzen, wenn man sich keinen Arzt mehr leisten kann. Vielleicht hat auch der Sommerhimmel Trost zu bieten. Marian legt sich auf eine Wiese, sucht nach Sternschnuppen und schickt ihre Wünsche ins All: einen kräftigen Espresso, ein paar Yogastunden, ein Peeling. Oder eine Nacht in Paris, Bettwäsche aus schiefergrauem Leinen und einen Abend im veganen Restaurant. Jedenfalls aber eigenes Geld und einen Internetzugang. Bis ihr die Wünsche ausgehen, selbst sie sind endlich.

Plötzlich riecht es nach Glück, oder bescheidener: nach Zufriedenheit. „Das leise Gefühl, dass das hier nicht nur eine Zwischenstation war, nicht nur Schicksal, sondern, dass es vielleicht Zukunft hatte oder haben könnte, und dieses Gefühl war merkwürdigerweise nicht beängstigend. Und, ach ja, und das Zahnweh hatte aufgehört, einfach so.“ Aus etlichen Szenen und manchen manieristischen Sprüngen und Schnörkeln ist die beliebte „Falter“- und „Kurier“-Kolumnistin Doris Knecht herauszuhören. Die Schilderung von Marian als Karrierefrau wirkt designt, schielt auf die Pointe und versackt immer wieder im Klischee. Es scheint so, als würde Knecht sich als Schriftstellerin noch nicht ganz vertrauen, trotz des Erfolgs, den sie mit ihren Büchern eingefahren hat. Ihr Roman „Gruber geht“ schaffte es 2011 auf die Longlist des Deutschen Buchpreises, der Familienroman „Besser“ zu einer Anerkennung durch die Stiftung Ravensburger Verlag.

Bei der Beschreibungen der träge dahinfließenden Tage in der dörflichen Abgeschiedenheit zeigen Sprache und Tonfall ihre Eigenart. Oft sind es belanglos anmutende Sequenzen, die einen unglaublichen Sog entwickeln. Zu beobachten, wie Marian aufwacht, die Kälte im Schlafzimmer wahrnimmt, den rosa Streifen am Himmel. Wie sie die Angel schultert und durch den Wald pirscht, wie sie am Wehr auf einen Fang wartet und die Forelle ausnimmt: Das wird mit unglaublicher sprachlicher Präzision geschildert. Keine Robinsonade, keine romantische Beschwörung des Landlebens oder der Segnungen der Natur. Doris Knecht nimmt uns einfach in diesen fremden Alltag mit, in den Marian zusehends mehr hineinwächst.

Sie trifft auf Franz: zu alt für sie, zu stämmig und dazu noch behaart. Einer, der mehr mit Heiligenschnitzereien als mit den Skulpturen auf der Documenta anfangen kann. Ein Franz wäre in Wien als „amouröse Möglichkeit“ nie zur Diskussion gestanden. Aber nun ist er da, zeigt Marian, wie man fischt, stellt Kaffee, Zucker und Haarshampoo auf den Küchentisch und liegt regelmäßig in ihrem Bett. Wie viele Klafter Holz ist sie ihm wert? Franz ist verheiratet und katholisch, die Nachbarn zerreißen sich das Maul, eines Tages steht das Wort Hur auf ihrer Türe. „Ist nur ein Geschmier“, meint Franz lapidar.

In den wortkargen Gesprächen zwischen den beiden und in der Liebesgeschichte, die sich zögerlich anbahnt, steht jedes Wort am richtigen Platz. Auch die Dramaturgie des Romans ist stimmig. Die Schilderung von Marians Tagesablauf, die Erinnerungen,Reflexionen und Dialoge sind leichthändig ineinandergeschoben, der Spannungsbogen hält. Da ist Doris Knecht ganz bei sich und dem, was sie kann.

„Wer ist sie, wer ist sie noch?“ Die Loos-Bar-Marian scheint hinter den sieben Bergen verschwunden. Die neue Marian hadert nicht mehr mit ihrem Los. Früher hat sie gewusst, was möglich und denkbar ist. Doch nun ist vieles offen. „Ihr einziger Maßstab war sie selbst.“ Und: Alles kommt, wie's kommt. Auch das Ende des Romans, etwas unvermittelt und wunderbar lakonisch. Man spürt Bedauern. ■


Doris Knecht stellt am 7. April, 20 Uhr,
im Wiener Rabenhof, Rabengasse 3,
ihren Roman vor.

Doris Knecht

Wald

Roman. 272 S., geb., € 20,60 (Rowohlt Berlin Verlag, Berlin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2015)

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