Mit billigem Anzug im Regen stehen

Gekratze an der Oberfläche: Richard Walls Kurzprosa über sein Leiden an der Gegenwart.

In der Leere das Sitzen in der Drift der Tage.“ Ein recht pompöser Titel, mit Verlaub. Und lang. Kann einen neugierig machen. Oder misstrauisch. Ich bin eher von der misstrauischen Sorte. Was will dieser Titel? Mich erstaunen, blenden, zum Lesen auffordern, mich gar einstimmen auf Großes? Genau hier hakt mein Misstrauen ein: Das vorgeplant Große hat so seine Mucken, es geht schnell ein, wie ein billiger Anzug, mit dem man in den Regen kommt. Und auf einmal schaut das Große recht lächerlich aus, klein und zerschlissen in all seiner Neuheit. Doch langsam. Erst einmal lesen.

Also gut, es treibt ihn um, Richard Wall, das ist bald klar, hält sich kurz auf, zieht weiter und weiter und glossiert emsig drauf los, wo immer er steht, was immer ihm aufstößt, was immer ihm unterkommt. Berichtet muss werden, auch wenn so mancher Kram, der einem begegnet, ruhig unbedacht bleiben dürfte.

Pars pro toto: Eine derart läppische Begegnung mit Maria Lassnig darf man getrost für sich behalten. Auch wenn man Ilse Aichinger in spätpubertärem Eifer hinterherläuft, muss man es nicht verkünden. Und so stolpert Wall weiter von da nach dort, vom Heute ins Gestern, von Mensch zu Mensch, von Huhn zu Rebhuhn, vom Garten zu einer Ausstellung, von Robert Musil zu Seamus Heaney, weiter und weiter und wieder zurück. Und legt überall ein Ei.

Zum Beispiel dieses: Eine Welt ohne Religion stellt sich Wall vor. Als ob damit alles Unheil ersterben würde. Es könnte sich allmählich herumgesprochen haben,dass Religion als Vorwand herhalten muss, die so eigenartig benannten Religionskriege nicht um der Religion willen geführt werden, sondern immer, wahrhaft immer massive wirtschaftliche Interessen dahinter stehen. Und ist es nicht die Religion, so ist der Mensch ausreichend fähig, sich genug andere Gründe für seine Auswüchse und Exzesse zu erfinden. Aber die grandiosen Denkgebäude der Religionen, errichtet dem Absoluten, wären verloren.

Und wendet sich mit Grausen ab

Wall scheint überhaupt unglücklich mit seinen Tagen zu sein, den Tagen, in denen er leben muss. „Ist es ein Wunder, wenn man sich von dieser aufgemotzten, von Schwachsinnigen regierten Unzumutbarkeit, genannt Gegenwart, die zudem immer hässlicher wird, mit Grausen abwendet?“ Das altbekannte Leiden an der Zeitgenossenschaft. Mit Gelassenheit den Dingen, die eben sind, wie sie sind, doch keinesfalls stillstehen, sondern immer und eben auch gerade jetzt neue Wege suchen, zu begegnen ist seine Sache nicht. Nicht gerade neu.

Man erfährt eigentlich kaum etwas, was man nicht schon irgendwo läuten gehört hätte, vielleicht in anderem Zusammenhang, doch auch dort schon vorgedacht. Originäres ist Mangelware, Gängiges zieht sich einen gewendeten Anzug über. Denn was immer Wall angreift, es bleibt beim Gekratze an der Oberfläche – keine Wege ins Innere. Dem Denken geht die Luft aus, bevor es tief eingeatmet hat. Kaum etwas, was eine x-beliebige, schnell geschriebene Zeitungsglosse übersteigen würde.

Nur im Kapitel „Aus der wilden Provinz“ blitzt so manches auf, es blitzt ein wenig, dann geht's zurück in die biedere Stube. Und es gilt: Wo immer man hingreift, es bleibt der leicht schale Geschmack eines Gut-gemeint-Bemühens. ■

Richard Wall

In der Leere das Sitzen in der Drift der Tage

Kurzprosa. 232 S., brosch., € 19,80

(Löcker Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2015)

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