Mein Opa, der Rockgitarrist

Nonkonformistisch: O. P. Ziers etwas anderer Familienroman „Komplizen des Glücks“.

Eines Tages steht ein Fremder vor der Tür und behauptet, der Onkel des Ich-Erzählers zu sein, der, Jahrgang 1980, gut eine Generation jünger ist als der Autor. Ist er wirklich ein Mitglied der Familie mit dem sprechenden Namen Wirring, die doch seit drei Generationen aus Einzelkindern zu bestehen schien?

Nichts an dieser Familie entspricht den Klischees von Familienromanen. Mutter Wirring ist keine konservative Gluckhenne, sondern eine Aktivistin der Protest- und Ökologiebewegung, die sich vorzugsweise jenseits von Kindern, Küche und Kirche aufhält. Dem hypochondrischen Vater kommt die Rolle zu, das Kleinkind, also den Erzähler in seiner erinnerten Vergangenheit, vor der Verwahrlosung, wenn nicht gar vor dem Hungertod zu schützen.

Mit großer Ausführlichkeit und ironischer Distanz berichtet dieser Erzähler, der „wohl zeitlebens mehr der Beobachter als der Akteur bleiben“ würde, von seiner Umgebung und den Bedingungen seines Erwachsenwerdens. Verbindungsglied zwischen der vitalen Mutter und dem neuen Onkel ist der gemeinsame Vater, der Großvater des Erzählers, ein Rockgitarrist, der einst unter dem Namen Peter Wire aufgetreten ist und Dennis Hopper ähnlich sah.

Ziers Roman entwirft eine Welt, deren Normen von den Normen einer konformistischen Gesellschaft abweichen. Die Konflikte, die sich daraus ergeben, werden eher angedeutet als ausgeführt. Schon der Opa musste erfahren, dass Freunde aus seiner Generation, „Kinder aus Akademiker-, zumindest aber aus Lehrerfamilien“, die gegen ihre Nazi-Eltern rebelliert hatten, es nicht ertragen konnten, dass ihnen da „jemand aus einer lupenreinen, sozialistischen Arbeiterfamilie“ gegenüberstand und „doch nicht alle Jugendlichen mit solchen Nazi-Eltern geschlagen waren wie sie“. Ein Vater, der den Namen einer politisch engagierten Mutter angenommen hat, ist auf dem Dorf auch zwei, drei Jahrzehnte später noch ein Stein des Anstoßes, wie dem Erzähler schmerzlich klar wird.

Ohne Gestus der Anklage erzählt

Die Familie des Erzählers wird nicht idealisiert, aber sie gewinnt unsere Sympathie wie die exzentrische Familie von Opa Vanderhof in Frank Capras Film „You Can't Take It With You“.

Spät, erst in der zweiten Hälfte des Romans, begegnet der Opa, der verreist war, dem inzwischen aufgetauchten sterbenskranken Onkel, also seinem unehelichen Sohn. Der erzählt in einem langen Kapitel seine Geschichte, die die Erfahrungen der Wirrings relativiert. Auf der vorletzten Seite folgt eine Pointe, die hier nicht verraten wird.

O.P. Zier erzählt diese Außenseitergeschichte ohne Verbissenheit, ohne den Gestus der Anklage, auch mit Selbstironie. Sein Tonfall ist eher gelassen als aufgeregt. Zier liebt längere Satzgefüge, die Journalisten heutzutage von den Redakteuren gestrichen und in eine Folge von kurzen Hauptsätzen umgewandelt werden, weil sie ihren Lesern das Verständnis komplexer Sätze nicht mehr zutrauen. Diese anhaltende Zurichtung hat zur Folge, was sie als Ursache behauptet. Die derart dressierten Leser dürften in der Tat Schwierigkeiten haben, mit Ziers Syntax Schritt zu halten. Seine Zuneigung gilt dem nachgestellten Relativsatz, dessen Sinn es ist, einem Substantiv im Nachhinein eine Spezifikation zu verleihen. Seine Logik führt also vom Allgemeinen zum Besonderen und beschreibt somit eine Denkbewegung. Es sind die Details, auf die es O.P. Zier ankommt. ■

O. P. Zier

Komplizen des Glücks

Roman. 360S., geb., €22,90 (Residenz Verlag, St. Pölten)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2015)

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