Kopfüber in den Bäumen

Literatur pur: Carolina Schuttis novellistischer Abschluss ihrer Trilogie über Kindheiten.

Ein schmales Bändchen. Aber welcher Gehalt! Carolina Schuttis Novelle „Eulen fliegen lautlos“ ist der letzte Band ihrer Trilogie über Kindheiten. Schon in den vorangegangen Romanen, „wer getragen wird, braucht keine schuhe“ (2010) und „einmal muss ich über weiches gras gelaufen sein“ (2012) hat sich die Innsbrucker Autorin mit Einsamkeit, Fremdheit, Heimat- und Sprachlosigkeit sowie Schuld beschäftigt. Nun verdichtet sie diese Themen noch einmal zu einer nahezu klassischen Novelle.

Leitmotiv sind die Schuhe des Vaters, in denen der kleine Jakob nächtens durch den Schnee stapft. Am Beginn der Erzählung lehrt ihn der Vater, die Schuhbänder zu schnüren: „Schau genau hin, so wird es gemacht.“ Am Schluss des Buches sind die Schuhbandeln zwar richtig geschnürt, „einmal kreuz und einmal quer“, wie sich's gehört, doch das schwächliche Kind kann die schweren Schuhe nicht so heben wie der Vater. Dieses Ende kann man als Jakobs Versuch lesen, endlich doch hinaus in die Welt zu gehen, auch wenn es beschwerlich ist.

Denn anfänglich ist es ihm, dem dünnen, in der Sprachentwicklung zurückgebliebenen Knaben, untersagt, sich allzu weit vom Haus zu entfernen. Es sitzt deshalb oft im Keller und streichelt das Fuchsfell, das der Vater an einen Mantel nähen lassen wollte. Es passiert nicht viel im Leben Jakobs. Die einzige Abwechslung ist, als ein Fallschirmspringer kopfüber in den Bäumen von Vaters Wald landet. Damit ist der Zenit der Ereignisse des Buches auch schon überschritten.

Schuttis Texte sind der Literaturinstitutsliteratur ganz entgegengesetzt. Keine rasanten oder dramatischen Szenen, keine globalisierte Welt, durch die sich die Figuren bewegen. Ihre Bücher bestechen durch inhaltliche Reduktion, durch höchste Konzentration auf die Sprache und ihren Rhythmus. Sie deutet an und spart aus und öffnet für den Leser so große Räume. Mitunter sogar wörtlich, wenn Jakob etwa auf den Kometen wartet und der Vater ihn mit dem Ausruf „ein Satellit, ein Satellit“ aus seinen Träumen reißt.

Mit viel Sinn für die Musik

Mit einem einzigen Absatz wird hier ein ganzes Universum aufgemacht. Erzeugt wird diese Weite nicht zuletzt durch formale Strenge. Präzise wie bei Annette von Droste-Hülshoff sind Rhythmuswechsel, sind Metaphern, sind die durch Aufzählungen erzeugten Beschwörungen gesetzt. Dabei kommt der 1976 geborenen Autorin sicher ihre Ausbildung zur Konzertgitarristin und Sängerin zugute. Dass sie aber einen Sinn für die „mathematische Sprache“ der Musik entwickelt hat, das könnte auf ihren Sprachverlust zurückgehen. Denn die Anglistin und Germanistin hat die Sprache, die sie als erste erlernt hat, verloren. Als sie als Jugendliche ihre Verwandten in Polen besuchte, verstand sie nichts mehr.

Die vorliegende Trilogie ist deshalb auch der Sehnsucht nach der Sprache ihrer Kindheit geschuldet. „Ich habe gehofft, in Träumen meiner Muttersprache zu begegnen“, sagt die Hauptfigur im Roman „einmal muss ich über weiches Gras gelaufen sein“, für den Carolina Schutti der Alois-Vogel-Literaturpreis 2012 zuerkannt wurde. Im nun vorliegenden letzten Teil hat sie ihre ohnedies dichten Texte zu Literatur pur komprimiert.

Umso befremdlicher sind die völlig unpassenden Germanismen darin: Die Schuhbandln werden als Schnürsenkel durch die Ösen gezogen, und statt dass die Mutter Erdäpfel schält, werden Kartoffeln gepellt. Das ist gerade bei einem so genau gearbeiteten Text schade. ■

Carolina Schutti

Eulen fliegen lautlos

Novelle. 64 S., geb., €14,90 (edition laurin, Innsbruck)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2015)

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