„Bei Lilien gehe ich über Leichen“

Für Barbara Frischmuth ist der Garten auch ein ästhetisches Projekt, das sie zu sprachlichen Orgien in der Beschreibung der blühenden Beete treibt. „Der unwiderstehliche Garten“: ein prächtiges Buch über Pflanzenpflege und ein dezentes Buch übers Altern.

Mehr als ein Vierteljahrhundert lang ist Barbara Frischmuth in die Rolle einer leidenschaftlichen Gärtnerin hineingewachsen – in schwierigem Terrain auf 800 Metern Seehöhe in Altaussee und lang bevor der Lifestyle das Thema entdeckt hat. Diese Entwicklung sorgte aber zumindest dafür, dass ihre bisher drei Gartenbücher die verdiente Beachtung fanden.

„Der unwiderstehliche Garten“ ist der Titel des neuen Buchs, das erstmals mit feinen Illustrationen, oder eigentlich bildlichen Ergänzungen der deutschen Künstlerin Melanie Gebker, in 25 Abschnitten von Frischmuths Beziehungsgeschichte mit Pflanzen erzählt. Wir erfahren, was sie mit ihnen erlebt, von ihnen gelernt und über sie erfahren hat. Das passiert in der täglichen Arbeit, aber auch durch die systematische Lektüre von Büchern über biologische Prozesse in der Pflanzenwelt. Dafür ist die kurze Winterruhephase da, in der freilich auch schon alles für die kommende Saison lustvoll geplant und vorbereitet sein will.

Was aber ist ein Garten? Probehalber versucht die Autorin am Anfang eine vorsichtige Definition: Er ist eine Ansammlung von Leben, in der Pflanze, Tier und Mensch ihren Platz finden. „Meine Garten-WG“ war folgerichtig der Untertitel ihres vorigen Buches zum Thema. Oder ist der Garten doch eher ein „Zoo für Pflanzen, die sich wie gefangene Wildtiere nicht mehr selbst erhalten können“? Für Frischmuth ist er auf jeden Fall auch ein ästhetisches Projekt, das sie zu sprachlichen Farborgien in der Beschreibung der blühenden Beete treibt. Zugleich ist „Der unwiderstehliche Garten“ ein überaus dezentes Buch über das Altern, nicht nur, wenn die Autorin ein welkendes Pelargonienblatt mit dem eigenen Handrücken vergleicht.

Am Anfang steht die Idee, aus pragmatischen Gründen den Garten zu verkleinern – also Beete auflassen, Topfpflanzen reduzieren, mehr Wiese zulassen. Der dabei unausbleibliche „Delogierungsbescheid“ für eine Reihe von Pflanzen ist ein schwieriges Unterfangen für jemanden, der sorgfältig die Etiketten aller je ausgepflanzten Arten verwahrt, samt Landkarte der Pflanzorte. Bei manchen steht der Verweis „Verkommen“, andere wurden als Projekt aufgegeben. Denn auch die Vorlieben der Gärtnerin sind wandelbar.

Im wahrsten Sinn des Wortes hochgezüchtete Irissorten, die gestützt werden müssen, um „auf ihren High Heels“ nicht einzuknicken, haben im Lauf der Jahre an Attraktivität verloren. Dazu kommen die Erinnerungsbilder an alles, was „über die Jahre hin durch den Garten zieht“ und mit den Übergriffen der „Wilden“ immer andere Akzente ausbildet. Da beginnt die schwierige Frage der Unkrautdefinition, eine Machtfrage. Es ist ein Kampf um Bestimmungsgewalt und Deutungshoheit, grundiert von der „Ahnung, dass sie auf unseren Gräbern wachsen werden“. Für den Garten hingegen ist der Tod des Gärtners kein Problem, er wird tun, „was Pflanzen und Tiere immer tun, sich verändern und die Kompetenzen neu verteilen“.

Wie in ihren Romanen geht es Barbara Frischmuth auch in ihren Gartenbüchern darum, eingefahrene, in diesem Fall menschenzentrierte Sichtweisen zu relativieren. Die Vegetationsperiode kann man menschlich an der Blüte festmachen, oder pflanzlich an der erfolgreichen Keimung des Samens. Und wer denkt schon daran, dass in der Welt der Pflanzen alles, was wir an ihnen schätzen, die Düfte, die Substanzen, die Aromen, Teil eines Kommunikationssystems ist, in dem chemische Prozesse der Verständigung dienen, untereinander ebenso wie mit Fressfeinden oder Bestäubern? Diagramme vom „Wood Wide Web“ des Waldes haben gezeigt, wie Bäume unterirdisch ihre Sämlinge schützen, wie Fichten im Winter das Netzwerk der Pilze als „Handelsweg“ nutzen, um den kahlen Laubbäumen mit überschüssigem Zucker auszuhelfen.

Die Schönheit der Blütenpflanzen aber ist eng mit Geschlechtlichkeit verbunden, und nicht nur darin „sind sich Menschen, Tiere und Pflanze ähnlich geblieben“ über die Jahrmillionen. Auch wenn Pflanzen Menschenstimmen wohl nicht hören können, so ist die Gärtnerin aus Leidenschaft doch stets geneigt, vieles als Reaktion auf ihre fürsorgende Zuneigung zu interpretieren und an der Vorstellung festzuhalten, dass sich Sympathie auch zwischenartlich übertragen kann. Sie hört die Hilferufe ihrer Schützlinge, wässert, jätet, setzt um, düngt, stützt ab und mordet allfällige Schädlinge – „bei Lilien gehe ich über Leichen“. Ein Idyll ist ein Garten schließlich nie; schon die Kraft der Sämlinge ist eine Monstrosität. In China folterte man Menschen, indem man ihre Körper von Bambussprossen durchbohren ließ.

Das Projekt Gartenverkleinerung im Interesse der Arbeitsreduktion ist nach einem couragierten Anfang, als aus einem aufgelassenen Beet eine beschauliche Sitzecke wurde, jedoch gründlich missglückt. Dafür sorgen Angstkäufe bei jedem Besuch im Baumarkt, Lustbestellungen bei Spezialgärtnereien – die als Geheimtipp-Product-Placement auch benannt werden –, kleine Selbstbetrügereien, aus denen quasi ungewollt ein neues Beet entsteht, und ein prinzipieller Horror Vacui: „Die Natur und ich dulden keine Leerstellen.“ So bleibt arbeitstechnisch alles beim Alten, und das ist gut so, schließlich hält Gärtnern jung, und wir dürfen uns auf Frischmuths nächsten Roman freuen. ■


Barbara Frischmuth und Michael Kiehn treten am 15.April um 16.30 Uhr im Botanischen Garten der Universität Wien, Ecke Mechelgasse/Praetoriusgasse, in einen literarisch-wissenschaftlichen Dialog.

Barbara Frischmuth

Der unwiderstehliche Garten

Eine Beziehungsgeschichte. Mit Illustrationen von Melanie Gebker. 240S., geb., €24,90 (Aufbau Verlag, Berlin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2015)

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