Einstein und der „Sumpf der Metaphysik“

Mit dem biografischen Roman „Reisende in Sachen Relativität“ widmet sich Manfred Rumpl dem heimischen Physik-Nobelpreisträger Erwin Schrödinger.

Nun kann man nicht sagen, dass sich Österreich um seine großen Geister zu ausschweifend kümmert – als Prominenz gelten hierzulande eher altersgeile Baumeister oder sonstige Schaumschläger. So hat es sich Manfred Rumpl nicht leicht gemacht, mit „Reisende in Sachen Relativität“ einen biografischen Roman über den Nobelpreisträger Erwin Schrödinger (von 1887 bis 1961) vorzulegen. Vielleicht liegt es an seinem schwierigen Metier, dass der Physiker einer breiten Öffentlichkeit nicht bekannt ist, obwohl sein Konterfei von 1983 bis zur Euro-Einführung die 1000-Schilling-Note geziert und die Post auch eine Briefmarke aufgelegt hat.

Manfred Rumpl beginnt den Roman mit einem der letzten Tage des schwer an Tuberkulose Erkrankten und beendet ihn mit dessen Begräbnis. Dazwischen erschließt sich ein reiches Leben – an Denkansätzen, Forschungsergebnissen, (zum Teil erzwungenen) Ortswechseln und diversen Frauengeschichten samt unehelichen Kindern.

Die Frauen des erotisch leicht Entflammbaren: Rumpl erzählt von den Jugendlieben, von einer aufgelösten Verlobung, von der exzentrischen Maya (hinter der sich wohl Hildegund March verbirgt, Ehefrau eines Physikers), die Schrödinger bei einem Vortrag des späteren Freundes Albert Einstein in Wien trifft und der er später immer wieder begegnet, von seiner Ehefrau Anny (einer guten Seele, die selbst auswärts liebte, aber keine Kinder bekommen konnte), von peripheren Beziehungen durch die Jahre.

Die Orte: Rumpl verzichtet bei den Kapiteln auf Nummerierung oder einen kurzen Satz als Titel. Er setzt am oberen Seitenrand eine Ortsleiste von zwölf Städten und Stätten, wobei der Handlungsort des Folgenden fett gedruckt ist. Eine hübsche Idee, die durchaus auf die entsprechende Jahreszahl hätte erweitert werden können, da der Autor manchmal die zeitliche Abfolge durchbricht. Die Orte stehen nicht nur für verschiedene Phasen seines Lebens, sondern auch für seine jeweiligen Zustände.

Wien etwa für die Kindheit, wo er mit fünf Jahren in eine antisemitische Demonstration gerät, für Inflation nach 1918, Studienzeit und erste Einwurzelung in den Wissenschaftsbetrieb sowie für die letzten Lebensjahre, ja -tage, Berlin, Dublin, Oxford, Princeton, Zürich für den gefragten Universitätslehrer, Görz für die Traumatisierung im Ersten Weltkrieg, Arosa für eine neunmonatige Kur wegen seiner frühen TBC-Erkrankung, Semmering für einen Besuch als Jugendlicher bei einer befreundeten Familie (mit hübscher Tochter), Duino für eine Verzweiflungsreise, als er die falsche Meldung geglaubt hat, sein verehrter Lehrer Boltzmann habe Selbstmord begangen, Graz, das er nach dem NS-Einmarsch als Gegner der Hitlerei fluchtartig in Richtung Irland verlassen musste, obwohl er einen peinlichen Huldigungsartikel verfasst hat, um ungestört weiterforschen zu können, Alpbach schließlich als Ort seines Begräbnisses.

Rumpl sieht die Wurzeln von Schrödingers wissenschaftlicher Neugier in der Kindheit: Der Vater, selbst naturwissenschaftlich interessiert, auch wenn er aus Geldgründen einem Brotberuf nachgehen musste, machte schon den Knaben auf die „Wunder der Natur“ aufmerksam; die Mutter, mehr dem Musischen zugetan, erweckte bei ihm die Freude an Kultur und Philosophie – so war der Gymnasiast Erwin Theaterfan und begeisterte sich für Grillparzer, Shakespeare, Schiller und Schnitzler.

Das Ergebnis waren teilweise kühne Assoziationen zu simplen Naturbeobachtungen, die zu komplizierten Thesen und Formeln führen konnten und in die erfolglose Suche nach der „Theorie von allem“ mündeten. So führten seine Betrachtung von Schneegestöber und einer Windhose zu der Frage, wie man einander durchdringende Wellen darstellen könne – vielleicht der erste Schritt zur Schrödinger-Gleichung, für die er 1933 den Nobelpreis erhielt, legt der Autor nahe. Obwohl ihn der Freund Albert Einsteinvor dem „Sumpf der Metaphysik“ gewarnt hatte, wilderte der Physiker auch in weit entlegenen Gebieten, um den Geheimnissen des Lebens auf die Spur zu kommen.

Rumpls Buch ist ein unterhaltsamer und leicht zu lesender Roman – auch für Menschen, die von der Hochgebirgsphysik nur Einsteins herausgestreckte Zunge voll verstehen. Eingestreute Traumpassagen, Visionen und Fieberträume als Beispiele für die zu wissenschaftlichen Ergebnissen führende Intuition runden die penibel recherchierten Fakten ab. Aber oft lohnt es sich nachzudenken, ob ein harmloses Wort wie Welle nun normal oder physikalisch gemeint ist. ■

Manfred Rumpl

Reisende in Sachen Relativität

Roman. 290S., geb., €22,90 (Picus
Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2015)

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