Die Sprache der Nacht

Die Traditionalistin, als die sie in den 1960er-Jahren von der Avantgarde angesehen wurde, war Christine Busta in ihrer Lyrik sicher nicht. Ihr 100.Geburtstag könnte ein Anlass sein, nicht nur ihre Wortneubildungen, sondern auch ihre Dialektgedichte zu entdecken.

Ihr Kinderbuch „Die Sternenmühle“ kaufen viele, deren Kindheit es begleitet hat, noch heute für ihre Enkelkinder, doch sonst ist es seit ihrem Tod am 3.Dezember1987 recht still um Christine Busta geworden, obwohl posthum noch zwei Gedichtbände und der mit einer Audio-CD angereicherte Auswahlband „Einsilbig ist die Sprache der Nacht“ erschienen sind. In den 1950er-Jahren hat sie sich ihren Platz in der ersten Reihe der österreichischen Lyrik erschrieben, in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre geriet sie gegenüber den dominierenden Tendenzen der sprachexperimentellen und der politischen Lyrik ins Abseits und wurde als sprachkonservative Traditionalistin wahrgenommen. Liest man ihr Werk heute neu, könnte man in ihren besten Gedichten durchaus Strukturparallelen mit den lakonisch verknappten Versen von Elfriede Gerstl oder auch des frühen Rainer Kunze erkennen.

Die am 23.April1915 – vor 100 Jahren also – geborene Christine Busta hat die Wörter und die Grammatik der Alltagssprache nie aufgebrochen, doch sie konnte überraschende Metaphern und Wortneubildungen wie „Brotstern“, „Nimmergrün“ oder „Amselstumm“ schaffen. Jedenfalls verstand sie sich nicht als jenes Monument gegen die Avantgarde, als das sie gelegentlich von Moderne-Verweigerern verehrt wurde. Geschadet hat ihr mit Sicherheit auch, dass sie aufgrund ihrer produktiven Anverwandlung christlicher Bildwelten als katholische Dichterin rezipiert wurde – vereinnahmt von kirchlichen Kreisen, in denen ihre Gedichte allzu leicht zu Predigtzitaten verkamen, und punziert von jenen, die mit katholischen Traditionen nichts am Hut haben wollen.

Beiden Seiten sollte eine Selbstdefinition Christine Bustas in Gedichtform zu denken geben, die sich in dem aus dem Nachlass herausgegebenen Band „Der Atem des Wortes“ findet: „Ich bin eine durch/das Christentum/gebrochene Heidin.//Aber ich bin für diese/Brechung dankbar.“ Die belebte, ja geradezu personalisierte Natur kann als eine poetische Konkretisierung dieser „heidnischen“ (naturreligiösen) Einstellung gelesen werden.

Ein Schock war das Bekanntwerden von Christine Bustas Involvierung in den Nationalsozialismus durch einen 2008 im Sonderzahl-Verlag erschienenen Materialienband, in dem auch Texte aus dem Busta-Nachlass im Innsbrucker Brenner-Archiv präsentiert wurden. Busta war NSDAP-Mitglied und aus der katholischen Kirche ausgetreten, und noch am 20.Juli1944 schrieb die damals 29-Jährige an ihren Mann, den Musiker Max Dimt, einen glühenden Nationalsozialisten: „Eben erfuhr ich im 22-h-Nachrichtendienst vom Anschlag auf den Führer, und Du darfst mir's glauben, dass ich dem Himmel danke, dass er fehlging. Es wäre wohl unausdenkbar, wenn jetzt seine Hand vom Steuer sänke!“ Zitiert man diese Briefstelle, muss man aber zugleich darauf hinweisen, dass Busta nie dumpfe Blut-und-Boden-Lyrik geschrieben oder Preisgedichte auf den Führer und den Anschluss verfasst hat, wie sie sich im „Bekenntnisbuch österreichischer Dichter“ von Gertrud Fussenegger, Josef Weinheber oder Franz Tumler finden.

Bustas publiziertes Werk ist nicht nur völlig frei von jeder Nazi-Mentalität, sondern es gibt darin auch das Gedicht „Historische Reminiszenz“, das sich davon unmissverständlich distanziert: „Verdächtig/ist uns/ frenetischer Beifall.//Er blieb uns/als Vorhut und Nachhut/klatschender Schläge/ im Ohr.“ Geradezu genial greift Busta hier die in der Medienberichterstattung noch immer vorkommende Wendung „frenetischer Applaus“ auf und demaskiert mit den Wörtern „Vorhut“ und „Nachhut“ deren militaristische Unterströmung, um dann das Beifallklatschen mit klatschenden Schlägen zu parallelisieren.

In diesem Zusammenhang darf man auch nicht vergessen, dass Christine Busta intensiven Kontakt zu einer Schriftstellerin hatte, die 1938 aus Österreich emigriert war: Paula Ludwig, für die sie 1962 den Trakl-Preis durchsetzte, um sie „literarisch wieder einzubürgern“ und an ihr „ein österreichisches Versäumnis gutzumachen“, wie Christine Busta an das Unterrichtsministerium schrieb.

Liest man freilich Zitate aus Bustas Briefwechsel mit Paula Ludwig, vor allem aber mit Hilde Domin und Ilse Stern, einer in Kalifornien lebenden ehemaligen jüdischen Mitschülerin, so fällt die totale Hilflosigkeit Christine Bustas auf, mit den Exilerfahrungen dieser Schriftstellerinnen adäquat umzugehen; wenn sie dazu nicht überhaupt schweigt, sind ihre Antworten weit unter ihrem sonstigen sprachlichen Niveau. Warum das so ist und vor allem, warum sich Christine Busta nie zu ihrer NS-Vergangenheit geäußert hat, bleibt eine offene Frage. Man sollte sich hüten, sie vorschnell und eindimensional zu beantworten.

Eine große Überraschung ist jedenfalls, dass es zum 100.Geburtstag tatsächlich so etwas wie eine „neue Busta“ zu entdecken gibt: eine Sammlung von Dialektgedichten aus dem Nachlass. Dieses bisher unbekannte Dialekt-Experiment ist schon als solches interessant, aber auch die „Bauart“ der Gedichte ist ganz anders als die der hochsprachlichen Busta-Gedichte. Raffinierte Monologe und Miniszenen werden entworfen, Rollengedichte von teilweise beachtlicher Aggressivität, nicht selten aus der Perspektive eines Mannes gesprochen; dazwischen finden sich auch autobiografische Einsprengsel wie „Meine Firmung“.

Dass diese Gedichte durchgehend hochsprachliche Überschriften aufweisen, die als interpretierende Zusammenfassung in Kontrast zum eigentlichen Text stehen, ist ein besonderer Reiz. In einigen Fällen weiß man nicht, ob das Gedicht eine gehörte Aussage wiedergibt oder als Selbstaussage Bustas zu lesen ist. Sozialdiagnosen in nuce stehen neben zärtlichen Liebesgedichten, und zwischen Sprachreflexionen findet sich ein unkonventionelles religiöses Gedicht wie „Ein Traum“: „Auf amoe/is a vom Kreiz owagstiegn,/hod aan nochn aundan/augschaud/und gsogt:/,Varnogelte Bande.‘/ Daun woara vaschwundn.“

Christine Busta hat einen Teil dieser Gedichte auf Tonkassetten eingelesen – offenbar als Vorbereitung für eine Lesung; die übrigen sind in der Interpretation Christine Nöstlingers auf der beigegebenen CD zu hören – ein großer Genuss, der vor allem für Nichtwiener die Lektüre der Lautumschrift des Dialekts erleichtert.

Ob Busta diese Gedichte nicht publiziert hat, weil sie den Dialekt als mündliche Sprachform verstanden hat, ob sie nicht mit der damaligen Dialektmode in Verbindung gebracht werden oder ihre Lesergemeinde nicht enttäuschen wollte, lässt sich nicht mehr sagen. Hauptsache, die Gedichte wurden gefunden und ediert – sie sind kein Beiwerk des Œuvres von Christine Busta, sondern ein eigener neuer Strang. ■

Christine Busta

Erfreuliche Bilanz

Dialektgedichte. Mit Interpretationen von Christine Nöstlinger. Hrsg. von Christine Tavernier-Gutleben. 196S., geb., €24 (Otto Müller Verlag, Salzburg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2015)

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