Der Mystiker mit dem Hammer

In seinen Schriften, von Gerhard Wehr herausgegeben und kundig erläutert, zeigt sich Thomas Müntzer – erst Mitstreiter, später Gegner Martin Luthers – wehrhaft und kontemplativ.

Wenn in zwei Jahren Martin Luthers Thesenanschlags vor 500Jahren gedacht wird, dann wird vielleicht auch eine Kerze für einen seiner anfänglichen Mitstreiter angezündet, der die Reformvorschläge ernster als Luther selbst nahm. Das kurze Leben (er wurde nur 35 Jahre alt) des Thomas Müntzer füllt kaum eine Biografie, auch, weil wenig darüber bekannt ist. Gerhard Wehr hat deshalb nun eine Auswahl seiner Schriften herausgegeben und kommentiert.

Zum Rebellen wird man nicht geboren, sondern gemacht. Das war bei Michael Kohlhaas so, das ist bei dem wenige Jahrzehnte davor lebenden Thomas Müntzer so. Ersterem hat Kleist ein fulminantes literarisches Andenken bewahrt, Letzterer ist nach seiner Hinrichtung totgeschwiegen worden. Weder für die Kirchen (katholische und evangelische) noch für den Staat und schon gar nicht für deren Bündnis war dieser Mensch mit rigoroser Moral und ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn opportun.

Dabei hätte sich Europa möglicherweise die bleierne Zeit des Absolutismus erspart, wären weite Teile des Kontinents damals nicht lutherisch, sondern müntzerisch geworden. Etwaiger Nachteil: Statt der Feudalstaaten hätte es Gottesstaaten gegeben. Denn Müntzer war zweifellos christlicher Fundamentalist. Wie er sich die Bestrafung der Gottlosen vorgestellt hat, geht aus seinen Schriften nicht eindeutig hervor, aber in seiner berühmten Fürstenpredigt liest man: „Ein gottloser Mensch hat kein Recht zu leben, sofern er die Frommen hindert.“ Das lässt für Ungläubige nichts Gutes erahnen.

Doch anders als etwa IS-Terroristen hätte er keine Geschäfte mit „wuchersüchtigen Bösewichtern“ und nicht gemeinsame Sache mit „heuchlerischen und hurenhengstischen Pfaffen“ gemacht. Denn für Müntzer waren „die bösen Geistlichen Schlangen und die weltlichen Herren und Regenten Aale“, die gemeinsam das Volk aussaugen. Deshalb beging er auch den Kardinalfehler, den Luther wohlweislich vermied: sich keine Verbündeten unter den Mächtigen zu suchen. Müntzer schloss sich ausschließlich dem Volk an, in dessen (deftiger) Sprache er predigte und dem er von seinen Berufskollegen Folgendes berichtete: „Sie hatten aber keinen Glauben an Gott, sondern es waren gottlose Heuchler und Schmeichler, die (nur) reden, was die Herren gerne hören.“ In seiner letzten Lebensphase meinte er damit auch Martin Luther.

Denn just zu der Zeit, als der Revolutionär Müntzer mit einer kleinen Schar Bauern gegen die herrschaftlichen Landsknechte aufbricht, schreibt der Reformator zu Wittenberg an seiner Schmähschrift „Wider die räuberischen Rotten der Bauern“. Dieser Verrat an der Sache des Volkes hat sich schon in Luthers Bibelübersetzung von 1522 abgezeichnet, hieß es darin doch: „Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urteil empfangen.“

Müntzer dagegen interpretierte den von Luther dafür zugrunde gelegten Römerbrief ganz anders und forderte, dem Volk das Schwert zu übergeben, wenn die Obrigkeit ihrer Ordnungspflicht nicht nachkomme. Denn dann wäre sie nach Müntzer „vor Gott“ vertragsbrüchig und damit zu bekämpfen. Er teilte die Rechtsmeinung des mittelalterlichen „Sachsenspiegels“, der nicht nur das Recht, sondern gar die Pflicht des Einzelnen enthielt, ungesetzliche Handlungen der Obrigkeit zurückzuweisen. Für staatliche und kirchliche Obrigkeiten ein Fall von Anarchismus. In späteren Jahrhunderten beriefen sich allerlei „Widerständler“ auf Müntzer, so etwa Henry David Thoreau in seinem Essay „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“.

Müntzer war aber nicht nur Revolutionär frühkommunistischer Art, sondern auch Mystiker. An vielen Stellen seines überschaubaren Werks spricht er sich gegen die Buchgelehrsamkeit der „Klüglinge“ aus, die er „die Schriftstehler“ nennt. Insbesondere in seinem „Prager Manifest“ wettert er gegen die „eselfurzigen Doktoren“, die „der Geist der Furcht Gottes nicht ergriffen“ hat und „die nur fressen und saufen und stehlen“.

Er selbst hingegen hat seine „ganze Aufmerksamkeit und allerhöchsten Fleiß aufgewandt, um vor den anderen Menschen zu erkennen, wie der heilige, unüberwindliche Christenglaube gegründet ist“. Für ihn kann „der Mensch nicht mit dem Kopf durch den Himmel laufen“, sondern er muss „in die Leidensgestalt der Kreaturen hinein“. Solidarität und Kontemplation: Das waren die Kernelemente von Müntzers Botschaft. Für das Lebens- und Leserecht der Schwachen hat er seinen Kopf hingehalten: Am 27.Mai 1525 – vor 490 Jahren – wurde er in Mühlhausen enthauptet. ■

Gerhard Wehr (Hrsg.)

Der Mystiker Thomas Müntzer

160S., geb., €10 (Marix Verlag, Wiesbaden)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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