Napoleons Comeback und Ende: Waterloo, Mutter aller Schlachten

Nach seiner Rückkehr aus Elba wird Napoleon von seinen alten Freunden im Triumphzug nach Paris geleitet.
Nach seiner Rückkehr aus Elba wird Napoleon von seinen alten Freunden im Triumphzug nach Paris geleitet.(c) Imago
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Wegen Waterloo hätte Napoleon nicht zwingend abdanken müssen. Doch der arrogante Spieler war nicht imstande, sich von der Alleinherrschaft über Frankreich zu distanzieren. Damit war die Partie schon zwei Monate vor Waterloo verloren. Neues von der Mutter aller Niederlagen.

Es ist nicht gut, einen Mann, der nach dem harten Büroalltag noch die Nacht mit wilden Tänzen und anspruchsvollen Frauen verbringt, um sechs Uhr in der Früh zu wecken. Trotzdem nahm sich der Kammerdiener des österreichischen Staatskanzlers Metternich am Morgen des 7.März 1815 die Freiheit, es war nämlich eine Depesche mit dem Vermerk „Dringend“ vom Generalkonsulat aus Genua eingetroffen. Metternich legte den Brief ungeöffnet auf den Nachttisch und versuchte weiterzuschlafen. Das gelang nicht recht, ein guter österreichischer Beamter ignoriert keine Depesche, daher griff er nach dem Schreiben: Es stammte vom englischen Kommissär Campbell, der die Aufgabe hatte, den nach Elba verbannten Napoleon zu überwachen. Doch: Dieser war verschwunden.

Drei Tage später erfuhr man, dass der Gesuchte in Frankreich an Land gegangen war. Die Nachricht schlug im vergnügungssüchtigen Wien wie eine Bombe ein. Hier tagte schon seit einem halben Jahr der große Friedenskongress, der die Aufgabe des Neuaufbaus Europas nach den verheerenden Napoleonischen Kriegen übernommen hatte. Ab nun gab es keine Festivitäten mehr in Wien: „Der Walzer wird unterbrochen, vergebens spielt das Orchester weiter, man blickt sich an, man befragt sich. Alles hastet, man bleibt stehen.“ Nur knapp zehn Monate hatte Napoleons Zwangsurlaub in seinem Miniaturkaiserreich Elba angehalten, das an einem einzigen Tag zu durchwandernde Eiland war eine Demütigung für den vormaligen Herrn Europas, der sich wie ein moderner an den Felsen geschmiedeter Prometheus gefühlt haben musste. Mit grimmiger Genugtuung verfolgte er die Zerrissenheit seiner Gegner und den Unmut der Franzosen über das restaurative Bourbonenregime.

Die Schlacht von Waterloo: Ironischerweise hat die Niederlage Napoleons Nachruhm nicht geschadet. Die Faszination bleibt.
Die Schlacht von Waterloo: Ironischerweise hat die Niederlage Napoleons Nachruhm nicht geschadet. Die Faszination bleibt.(c) imago stock&people (imago stock&people)

Dass Napoleon scheinbar mühelos wieder die Zügel der Macht ergreifen und eine Armee aus dem Boden stampfen konnte, erschreckte alle, die in Wien seinen Untergang gefeiert hatten. Obwohl man mit klarem Verstand erkennen musste, dass seine Chancen gering waren, saß die Angst vor ihm so tief, dass sich unter den versammelten Kongressteilnehmern Paranoia breitmachte, hatte es doch den Anschein, dass man wieder am Ausgangspunkt von 1813 stand. Napoleon bemühte sich gleichzeitig, seine Rückkehr an die Macht als interne französische Angelegenheit darzustellen, die die anderen Mächte nichts angehe. Doch das wurde von den in Wien versammelten Souveränen nicht akzeptiert: „Zum ersten Mal in den internationalen Beziehungen maßte sich eine Gruppe von Staaten faktisch das Recht an, sich zugunsten des übergeordneten Wohls Europas in die internen Angelegenheiten eines anderen Landes einzumischen“ (Zamoyski).

Das Solidaritätsgefühl, das zuletzt unter den Alliierten so sehr gefehlt hatte, kehrte wieder auf die politische Bühne zurück. Es stellte sich als Glücksfall heraus, dass sie so viel Zeit in Wien verplempert hatten und der Kongress noch immer tagte. Wären die Monarchen bereits wieder in alle Winde zerstreut gewesen, hätte man sich mittels Kurieren austauschen müssen, der mühsame diplomatische Verkehr zwischen den Hauptstädten hätte Zeitverlust bedeutet und Missverständnisse hervorrufen können. So aber vergaßen sie die tiefe Zerstrittenheit wegen der Aufteilung Polens und Sachsens und festigten die brüchig gewordene Entente: Das europäische Mächtekonzert organisierte sich zur Abwehr des gemeinsamen Feindes neu.

Es war gerade die Osterwoche 1815, sie hatten reichlich Gelegenheit, in den Kirchen den Allmächtigen anzuflehen, sie von dem Bösen zu erlösen. Danach wurden die Truppen mobilisiert. Frankreichs Vertreter beim Kongress, Talleyrand, der es so geschickt verstanden hatte, die verfemte Nation wieder in den Reigen der großen Staaten zu integrieren, wurde sichtlich nervös: Ihm war klar, dass jetzt die Messer gewetzt wurden, um den Kuchen neu aufzuteilen. Es stand zu befürchten, dass es Frankreich diesmal an die Gurgel gehen würde.

Der große Gegenspieler. Strippenzieher Clemens Fürst Metternich half mit, die Allianz gegen Napoleon neu zu festigen.
Der große Gegenspieler. Strippenzieher Clemens Fürst Metternich half mit, die Allianz gegen Napoleon neu zu festigen.(c) imago stock&people (imago stock&people)

Die nun folgenden Cent Jours, die hundert Tage zwischen der Landung Napoleons an der französischen Küste und seiner endgültigen Niederlage in der Schlacht bei Waterloo am 18.Juni 1815 gegen ein vereinigtes britisch-niederländisches und preußisches Heer unter den Feldherren Wellington und Blücher ist faszinierender Stoff für historisch Interessierte.

Seit Florian Illies' Revue durch das Vorkriegsjahr mit dem schlichten Buchtitel „1913“ scheinen Jahreszahlen auf dem Buchcover Konjunktur zu haben. Adam Zamoyski gelang mit seinem spannenden Bestseller „1812“ über den Russland-Feldzug Napoleons ein großer Erfolg, kein Wunder, dass Zamoyskis deutscher Verlag nun mit „1815“ den Erfolg fortzusetzen sucht und den Titel der englischen Originalausgabe, „Rites of Peace“, ignoriert. Im Jahr 1815 kommt das Buch erst nach 500 Seiten an, es liefert bis dahin eine breite Geschichte des Wiener Kongresses mit all seinen faszinierenden Akteuren, die ihren grandiosen Poker um Staaten und Völker über viele Monate zelebriert haben.

Die große Erzählkunst des britischen Historikers findet in den vielen Schicksalswendungen der Jahre 1814 und 1815 einen dankbaren Stoff: Wie der listige französische Diplomat Talleyrand seine Netzwerke nützt, wie der begnadete Strippenzieher Metternich auch an Tagen der höchsten Anspannung noch Zeit für glühende Liebesbriefe findet, wie der russische Zar, Alexander, in einer religiösen Wahnvorstellung sich von Gott berufen sieht, die Welt zu retten, wie die ständige Furcht davor, von den anderen über den Tisch gezogen zu werden, die Diplomaten und Monarchen immer wieder in Kriegspsychosen treibt. Denn die österreichisch-russisch-preußisch-englische Allianz, die Napoleon besiegt und nach Elba verbannt hat, droht mehrmals an ihrer atavistischen Beutegier zu zerbrechen.

Wie Vieh wird die Bevölkerung ganzer Landstriche auf den Konferenztischen hin- und hergeschoben. Zamoyski geht hier sehr hart mit seinen Protagonisten um, urteilt am Ende dann kritisch über die Folgen des Wiener Kongresses: Er habe ein Trugbild von Stabilität geschaffen, ein politisches Weltbild durchgesetzt, das vielen Nationen eine politische Existenz absprach und eine besonders groteske Form monarchischer Herrschaft konserviert. Ganzen Klassen und Nationen sei dadurch ihr Anteil am gesellschaftlichen Wohlstand vorenthalten worden, Sozialismus und aggressiver Nationalismus hätten zu wuchern begonnen, bis sich das „europäische Konzert“ im Ersten Weltkrieg kämpfend vernichtet habe. Die Vereinbarungen von 1815 ursächlich mit den schrecklichen Verheerungen des 20.Jahrhunderts in Verbindung zu bringen, weist Zamoyski schließlich aber in den Schlusssätzen seines Buches doch zurück.

Zu den Gedenktagen von Waterloo sammeln sich die kostümierten Schlachten-Fans.
Zu den Gedenktagen von Waterloo sammeln sich die kostümierten Schlachten-Fans.(c) imago stock&people (imago stock&people)

Der deutsche Historiker Volker Hunecke konzentriert sich auf die 100 Tage, die der „Invasion eines einzigen Mannes“ auf französischem Boden folgten, auf sein Hasardspiel, das Rad der Geschichte um ein Jahr zurückzudrehen, selbst auf die Gefahr hin, erneut gegen den Rest Europas Krieg führen zu müssen. Doch wie wollte Napoleon sein Kaisertum wiederherstellen? Hunecke breitet hier die spannende Verfassungsrevision vor dem Leser aus, die Napoleon den Franzosen schmackhaft machen wollte, um seiner Herrschaft Legitimität zu verschaffen, doch er stieß an die Grenzen seiner politischen Durchsetzungsfähigkeit: Die Mehrheit der Franzosen misstraute der von ihm propagierten Läuterung zum liberalen Konstitutionalisten. Er hatte zwar die Armee hinter sich. Doch: „Man kann mit Bajonetten alles machen, außer sich draufsetzen“ (Talleyrand).

Man kannte ihn zu gut und vermutete, dass er bruchlos an die Jahre kaiserlicher Herrschaft anschließen wollte, ohne seine Macht zu beschneiden. Am Ende seines Lebens wird es aus ihm herausplatzen: „Die Liberalen, dieses Gesindel, haben mich mit dem Palaver über Verfassung viel Zeit vergeuden lassen.“ Hinterher ist man immer schlauer, durch die Verfassungsmaskerade verlor er Zeit, die er gebraucht hätte, um als Militärdiktator rasch gegen die Alliierten zu ziehen. Hunecke folgert daraus: Indem der eigensinnige und arrogante Spieler Napoleon nicht imstande war, sich von seinen elf Jahren Kaiserreich zu distanzieren, sondern sich vielmehr erneut zum Alleinherrscher über Frankreich aufschwingen wollte, habe er die Partie bereits zwei Monate vor Waterloo verloren. Seine Abdankung am 22.Juni 1815 schließlich erfolgte nach einem parlamentarischen Staatsstreich, allein durch Waterloo wäre sie nicht zwingend gewesen.

Es ist unmöglich, die Geschichte einer Schlacht zu erzählen. Der Satz stammt von einem Berufenen, vom Waterloo-Sieger Wellington. Zu viele Geschichten sind es, die bei einer großen Schlacht miteinander verwoben sind, niemand könne die einzelnen Fäden voneinander lösen. Doch allein auf dem deutschen Buchmarkt gibt es drei Neuerscheinungen, die den Ehrgeiz haben, das Schlachtgeschehen anschaulich zu machen, darunter das Buch des britischen Journalisten Bernard Cornwell („Waterloo“, Wunderlich Verlag), der schön bebildert das gesamte Inventar der vorhandenen Soldatenberichte ausbreitet, aber die gesamte Vor- und Nachgeschichte der Schlacht beiseitelässt.

Das Nachleben von Waterloo

Auch die Studie des deutschen Militärhistorikers Klaus-Jürgen Bremm („Die Schlacht“, Theiss Verlag), der alles über militärische Details bis hin zur Bewaffnung der Soldaten weiß, spricht in ihrer Detailverliebtheit nur Spezialisten an. Somit bleibt als uneingeschränkte Empfehlung – wieder einmal – Johannes Willms übrig, der trotz des irreführenden Titels „Waterloo – Napoleons letzte Schlacht“ die politischen und militärischen Aspekte auf 250Seiten etwa gleichwertig behandelt. Man kennt das Niveau des Autors bereits aus seiner Napoleon-Biografie und der vor Kurzem erschienenen Geschichte der Französischen Revolution, er vereint es wieder mit guter Lesbarkeit. An einigen sprachlichen Patzern merkt man, dass hier ein Jubiläumsschnellschuss vorliegt, doch auf 250 Seiten so viele Themen unterzubringen wie Willms zeugt von großer Könnerschaft. Spannend ist besonders seine Erzählung des Nachlebens von Waterloo in den beteiligten Nationen.

Das Schlachtfeld von Waterloo krönt heute ein Löwendenkmal. Der 200. Jubiläumstag am 18. Juni 2015 wird groß gefeiert werden.
Das Schlachtfeld von Waterloo krönt heute ein Löwendenkmal. Der 200. Jubiläumstag am 18. Juni 2015 wird groß gefeiert werden. (c) imago/alimdi (imago stock&people)

Als ob der große Korse selbst der geschichtsschreibenden Klio die Ereignisse in die Feder diktiert hätte: Kaum jemand assoziiert heute mit der monströsen Schlacht die Sieger, sondern Thema ist immer nur er, der Besiegte: Napoleon, dessen Höhepunkte, Peripetie und schließlich Tragödie nichts an Faszination eingebüßt zu haben scheinen. Die Sieger, Wellington und Blücher, muss man in den Museumsshops lang suchen. Die Schlacht um die Erinnerung gewann der Korse. Sein Bewunderer Chateaubriand wird seit 200 Jahren bestätigt: „Die Welt gehört Bonaparte. Das, was der Zerstörer nicht mehr erobern konnte, vereinnahmt sein Renommee.“

Am Vorhaben, auch noch Sabine Eberts 1080 Seiten dickes Romanepos „1815 – Blutfrieden“ (Knaur Verlag) bis zum Ende zu lesen, ist der Rezensent gescheitert. Er bittet um Vergebung. Jeder hat sein Waterloo. ■

Die besprochenen Bücher:

Adam Zamoyski: 1815 Napoleons Sturz und der Wiener Kongress, C.H. Beck Verlag
Volker Hunecke: Napoleons Rückkehr, Klett-Cotta Verlag
Johannes Willms: Waterloo Napoleons letzte Schlacht, C.H. Beck Verlag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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